Goldfinger: Warum so ein Prozessende?
Justiz Statt eines Urteils wurde das große Steuerhinterziehungsverfahren jetzt eingestellt. Das ist
wohl für alle Beteiligten das Beste. Wer weiß, was sonst noch alles herausgekommen wäre
Augsburg Es ist 14.45 Uhr am Montagnachmittag, als der Vorsitzende Richter Johannes Ballis das große Finale im Augsburger Goldfinger-Prozess einläutet. Sein nüchterner Tonfall könnte fast darüber hinwegtäuschen, dass er nichts weniger als einen Paukenschlag verkündet. Das spektakuläre Verfahren um angeblich milliardenschwere Steuerhinterziehung wird nach mehr als einem Jahr Verhandlung eingestellt. Nach diesem Jahr voller Ärger und Unwägbarkeiten huscht nun sogar den Angeklagten Martin H., 49, und Diethard G., 47, ein Lächeln übers Gesicht. Alles vorbei. Ist damit auch alles in Ordnung?
Nun ja. Das Verfahren wirft selbst nach seiner offiziellen Beendigung Fragen auf. Zum Beispiel die: Warum hat die Augsburger Staatsanwaltschaft nach acht Jahren Ermittlungen und schweren Vorwürfen dieser Einstellung jetzt zugestimmt? Oder: Warum hat das Gericht nicht bis zum Ende verhandelt und freigesprochen, wenn es überzeugt ist, dass die Anklage nicht haltbar ist?
Von den ursprünglichen Vorwürfen der schweren Steuerhinterziehung ist nichts übrig geblieben. Das Verfahren ist nach Paragraf 153 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden. Das bedeutet: Das Gericht sieht höchstenfalls eine geringe Schuld und kein öffentliches Interesse mehr an der Strafverfolgung. Die Angeklagten müssen nicht einmal eine Geldauflage zahlen. Das ist durchaus erstaunlich, wenn man bedenkt, dass anfangs das öffentliche Interesse enorm war, die mögliche Summe der hinterzogenen Steuern mit bis zu einer Milliarde Euro beziffert worden war und eine lange Haftstrafe für die beiden Münchner Rechtsanwälte im Raum stand.
So wirkt das Ende irgendwie unklar. Für die Staatsanwaltschaft ist es sogar eine gewaltige Bauchlandung. Und eine Überprüfung durch eine höhere Instanz wie den Bundesgerichtshof kann nicht stattfinden, weil es kein Urteil gibt. Ein Leser schreibt in einem Online-Kommentar: „Einstellung heißt es meiner Ansicht nach meistens, wenn die Richter und Staatsanwälte keine Lust mehr haben und überfordert sind.“
Gehen wir einmal davon aus, dass beides nicht der Fall war. Dennoch stößt die Entscheidung auch bei Topjuristen teils auf Kritik. So sagt zum Beispiel der ehemalige Vorsitzende einer Großen Wirtschaftsstrafkammer am Augsburger Landgericht: „In solchen Fällen verhandelt man durch und entscheidet.“Warum ist es hier nicht passiert?
Dadurch, dass das Verfahren vorzeitig beendet worden ist, bleiben die Gründe zum Teil im Dunkeln. Aber es gibt einige Hinweise. Die Verteidigung mit Richard Beyer, Daniel Dinkgraeve, Katharina Wild, Franziska Zeumer und Linda Thirkettle hat beispiellosen Druck erzeugt. Sie hat für die Staatsanwaltschaft gefährliche Nebenkriegsschauplätze wie den Datenschutz eröffnet, wo während der Ermittlungen offenbar nicht alles korrekt gelaufen ist. Sie hat Strafanzeigen gegen Steuerfahnder und Staatsanwälte gestellt und Privatklagen in England angedroht. Nach Recherchen unserer Redaktion wurde zuletzt sogar ein Antrag auf eine Durchsuchung bei der Augsburger Staatsanwaltschaft und Steuerfahndung gestellt.
Die Staatsanwaltschaft hatte offensichtlich ein lebhaftes Interesse, weitere Aussagen von Steuerfahndern zu vermeiden. Manche hatten mit ihren Zeugenaussagen die Anklage in Bedrängnis gebracht. So kam zum Beispiel erst auf diese Weise heraus, dass zwei Staatsanwälte Dienstreisen zur EU-Justizbehörde Eurojust nach Den Haag und zu Steuerermittlern nach London unternommen hatten. In den Gerichtsakten war davon nichts. Ein anderer hatte bekundet, dass der Fokus der Ermittlungen schon gesetzt war, bevor er seine Arbeit überhaupt aufgenommen hatte.
Zudem wollte die Staatsanwaltschaft anscheinend verhindern, dass weitere Kollegen als Zeugen aussagen müssen. Eine frühere leitende Ermittlerin hatte bereits ihre weitere Aussage verweigert mit dem Hinweis, dass sie sich dadurch möglicherweise einer Strafverfolgung aussetzen würde. Eine andere war noch gar nicht im Zeugenstand. Sie hätte wohl Probleme damit gehabt, zu erklären, weshalb sie einen Steuerfahnder nach Großbritannien geschickt hatte, der dort Büros von Goldhandelsfirmen inspizierte und am Ende doch die Vorwürfe blieben, es seien alles nur „Scheinbetriebsstätten“.
Eine Fortsetzung des Prozesses hätte das Debakel für die Staatsanwaltschaft also nur verschlimmern können. Und für die Angeklagten hat die Einstellung den Vorteil, dass sie keine Revision befürchten und keinen Cent zahlen müssen. Im Gegenzug erhalten sie sogar noch eine Entschädigung vom Freistaat, die in den Millionenbereich gehen dürfte. Und die weiteren Ermittlungsverfahren nach einem anderen Steuermodell namens „Forward“wurden auch gleich mit eingestellt.