Neu-Ulmer Zeitung

Umständlic­h hoch drei

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Analyse Ohne eine funktionie­rende Verwaltung kann kein Staat der Welt auskommen. In der Pandemie allerdings schadet die deutsche Regelungsw­ut dem Land mehr, als sie nutzt

nelle Lösungen wichtiger wären denn je, wenn es sein muss auch nach dem Mcdonald’s-prinzip.

Jüngstes Beispiel: Die jetzt geplante Neuregelun­g, nach der auch Hausärzte gegen Corona impfen dürfen, davor aber für jeden Patienten eine Art Attest ausstellen und den Impfakt danach ausführlic­h dokumentie­ren müssen – umständlic­h hoch drei. Viel einfacher wäre es, wenn die Krankenkas­sen wie in Israel regeln würden, wer wann geimpft wird – sie haben ja bereits alle dafür relevanten Daten. Ein kurzer Brief an ihre Versichert­en, dass sie sich innerhalb von zwei Wochen mit dem Schreiben bei ihrem Arzt melden sollen, würde schon genügen. Er muss auch nicht wie die Maskenguts­cheine für Senioren fälschungs­sicher und für teures Geld mit dem Bundesadle­r bedruckt sein.

So weit die Theorie. Die Praxis ist unveränder­t trist. Wie schon in der Flüchtling­skrise sind die einzelnen staatliche­n Ebenen noch immer zu

„Sind nicht vorbereite­t, auf Krisen schnell zu reagieren“

schlecht miteinande­r vernetzt. Damals wussten die Länder im Norden überhaupt nicht, wie viele Menschen gerade an den Grenzen im Süden um Asyl gebeten hatten und wie viele kurz darauf bei ihnen ankommen würden, so miserabel funktionie­rte der Informatio­ns- und Datenausta­usch. Heute kann vermutlich niemand in Deutschlan­d genau sagen, wohin gerade wie viele Schnellund Selbsttest­s geliefert werden und bis wann die Millionen noch auf Halde liegenden Impfdosen verimpft sein werden. Am Geld fehlt es dabei in den seltensten Fällen, das Problem ist strukturel­ler Natur.

Ralph Brinkhaus, der Chef der Unionsfrak­tion im Bundestag, fordert nun einen radikalen Umbau der öffentlich­en Verwaltung: „Das Land ist nicht darauf vorbereite­t, auf Krisen schnell, flexibel und einheitlic­h zu reagieren.“Die föderale Ordnung basiere auf der Welt des Jahres 1949, als die Bundesrepu­blik gegründet wurde. Viele Verwaltung­sprinzipie­n stammten gar noch aus der Zeit der preußische­n Staatsrefo­rm im frühen 19. Jahrhunder­t. „Ich bezweifele“, sagt Brinkhaus, „dass sie noch vollumfäng­lich in die digitale Welt des 21. Jahrhunder­ts passen.“Er ist sich sicher: „Wir brauchen eine Jahrhunder­treform – vielleicht sogar eine Revolution.“

Der Gegner jedoch, die deutsche Ministeria­lbürokrati­e, ist mächtiger als jeder Politiker. „Was kümmert es uns“, frotzeln Beamte gerne, „wer unter uns Minister ist?“

 ?? Foto: ?? Die Lust der Deutschen an der Bürokratie scheint ungebroche­n: Trotz gegenteili­ger Beteuerung­en nimmt die Regelungsd­ichte immer noch zu. Doch das kann in der Ausnahmesi­tuation „Pandemie“verhängnis­voll sein. Monika Skolimowsk­a, dpa
Foto: Die Lust der Deutschen an der Bürokratie scheint ungebroche­n: Trotz gegenteili­ger Beteuerung­en nimmt die Regelungsd­ichte immer noch zu. Doch das kann in der Ausnahmesi­tuation „Pandemie“verhängnis­voll sein. Monika Skolimowsk­a, dpa

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