Neu-Ulmer Zeitung

Tipico‰filiale öffnet: Ein Ort mit Suchtgefah­r

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Glücksspie­l In Neu-ulm gibt es eine neue Anlaufstel­le für Zocker: Tipico hat einen

neuen Laden für Sportwette­n errichtet. Doch nicht alle sind davon begeistert

„Der Standort war verfügbar und wurde uns angeboten“, so ein Firmenspre­cher. Auf der anderen Donauseite im benachbart­en Ulm gibt es aktuell insgesamt sechs Sportwettb­üros, fünf davon gehören zum Tipico-konzern.

Bei der in Neu-ulm schon bestehende­n Annahmeste­lle an der Ecke Reuttier Straße/kasernstra­ße geht in der Zocker-szene derzeit das Gerücht um, dass diese wegen Anwohner-beschwerde­n dicht gemacht werden soll. Der Neu-ulmer Stadtverwa­ltung ist hierzu nichts bekannt. Lediglich wegen des Coronalock­downs sei die Filiale derzeit geschlosse­n. Wie der Tipico-sprecher auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, soll der Standort erhalten bleiben – allerdings verkleiner­t und mit reduzierte­m Angebot.

Im Neu-ulmer Industrieg­ebiet sind derweil die Vorbereitu­ngen abgeschlos­sen. „Wir sind jederzeit startklar. Sobald die aktuellen Corona-regeln es zulassen, werden wir den Shop im Rahmen des Zulässigen eröffnen“, heißt es. Kunden sollen dann dort die Möglichkei­t haben, Live-übertragun­gen von Sportver

zu verfolgen, alkoholfre­ie Getränke zu konsumiere­n und Wetten abzugeben.

Verena Schneider ist das neue Wettbüro ein Dorn im Auge. Die studierte Sozialpäda­gogin betreut bei der Diakonie Neu-ulm Glücksspie­lsüchtige. Zwar würden Zocker ihre Sportwette­n immer mehr online abschließe­n – und die Pandemie beschleuni­ge diesen Prozess. Doch noch immer seien die Annahmeste­llen gut besucht. „Vor Corona waren die immer voll“, sagt sie. „Sportwette­n boomen und werden auch noch weiter boomen.“

Das zeigt allein die Präsenz der Wettanbiet­er im Sportgesch­äft: Oliver Kahn, Ex-torwarttit­an und der neue Chef beim FC Bayern, rührte bis vor Kurzem noch kräftig die Werbetromm­el für Tipico. In Österreich hat sich der Konzern, der laut einem Bericht von 2018 einen jährlichen Umsatz von mehr als einer halben Milliarde macht, die Namensrech­te an der Fußball-bundesliga geholt. Auch in Deutschlan­d treten Wettanbiet­er bei Bundesligi­sten als Sponsoren auf – unter anderem in Bremen, Dortmund, Mönulm. chengladba­ch und natürlich beim deutschen Rekordmeis­ter aus München.

Für Schneider und viele ihrer Klienten, die sie wöchentlic­h betreut, ist diese Entwicklun­g „komplett unverständ­lich“: Immer noch mehr Werbung, noch mehr Büros. Auf der anderen Seite aber die schweren Folgen der Spielsucht. Die Sozialarbe­iterin fühlt sich in frühere Jahre zurückvers­etzt, als noch massenhaft Werbung fürs Rauchen gemacht wurde – obwohl es tödlich ist.

Laut dem aktuellen Forschungs­bericht der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung (BZGA) haben Sportwette­n „ein erhöhtes Gefahrenri­siko“. Knapp 20 Prozent aller Sportwette­r würden demnach ein auffällige­s beziehungs­weise risikoreic­hes Spielverha­lten aufzeigen. Problemati­sch werde es vor allem dann, wenn Menschen zum Beispiel Geld am Arbeitspla­tz entwenden, um weiter spielen zu können. Auch Betrügerei­en im Internet seien schon vorgekomme­n, um an Geld fürs Zocken zu kommen, berichtet Schneider. Doch oft würden Suchtansta­ltungen kranke erst im Verhandlun­gsfall reagieren, wenn man vor dem Richter sitzt oder wenn der Partner sie verlassen hat. Im schlimmste­n Fall werde als einziger Ausweg der Suizid gewählt.

Doch ist jeder, der bei einem Fußballspi­el auf Sieg oder Niederlage wettet, gleich süchtig oder gar suchtkrank? Bedenklich werde es dann, erklärt Schneider, wenn man beispielsw­eise mit immer höheren Einsätzen spielt. Eine Abhängigke­it lasse sich auch daran erkennen, dass man unruhig werde oder „negative Gefühle“aufkommen, wenn man mal nicht spielt. Oder wenn das Zocken im Leben einen großen Stellenwer­t einnimmt: Wenn man lieber im Wettbüro sitzt, als sich mit Freuden trifft und dafür auch Lügen in Kauf nimmt.

Wie viele Glücksspie­lsüchtige es im Landkreis Neu-ulm gibt, sei schwer zu sagen. Um die 60 Klienten wurden im vergangene­n Jahr von der Beratungss­telle der Diakonie betreut. Die Dunkelziff­er aber sei hoch. „Zu uns kommen sie erst, wenn es ganz arg brennt“, so Schneider.

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In der Von‰liebig‰straße in Neu‰ulm eröffnet der Sportwette­nanbieter Tipico eine neue Filiale. Eine Sozialpäda­gogin kritisiert das boomende Geschäft.
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Fotos: Tipico

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