Impfturbo zündet erst ab Mai
Pandemie I Die Zulassung des Impfstoffs von Johnson & Johnson ist eine gute Nachricht. Doch noch sind einige Hürden zu nehmen
Berlin Wenn sich im Land die kritischen Stimmen überschlagen, weil beim Kampf gegen die Corona-pandemie vieles nicht funktioniert, dann gibt es kaum einen größeren Gegensatz als die demonstrative Ruhe von Helge Braun. Der Kanzleramtschef versucht alles, um beim Thema Impfen zwischen Wahrheit und Dichtung zu trennen. Der Cdu-politiker ist einer von denen, die das Zahlenmaterial für Kanzlerin Angela Merkel und die Regierung insgesamt aufbereiten, und diese Daten sagen zweierlei aus: Die nächsten Wochen bleibt der Impfstoff eher knapp, aber ab Mai geht es aufwärts und für die Sommerzeit sieht es bislang ziemlich gut aus.
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, kurz Zi, hat eine Simulation ins Internet gestellt, die unter anderem auf den angekündigten Liefermengen und dem aktuellen Impfstand basiert. Demnach könnten Anfang Juli 90 Prozent der Impfberechtigten in Deutschland mindestens die erste Impfung erhalten haben. Legt man den wahrscheinlicheren Wert zugrunde, dass sich nur 80 Prozent der Berechtigten eine Spritze abholen, geht alles schneller. Die Erstimpfung könnte dann bereits in der dritten Juniwoche abgeschlossen sein.
Voraussetzung dafür ist, dass die Impfstoffe wie geplant zugelassen und geliefert werden. Nachdem die EU am Donnerstag den Weg für den
Wirkstoff des Us-herstellers Johnson & Johnson freimachte, ist die Situation deutlich entspannter – auch wenn er nicht sofort zur Verfügung steht. Der Vektor-impfstoff erhöht nicht nur die Verfügbarkeit, er hat zwei Vorteile: Er ist leicht handhabbar, weil er bei zwei bis acht Grad drei Monate lang gelagert werden kann, während andere Medikamente deutlich niedrigere Temperaturen brauchen. Er muss außerdem nur einmal verabreicht werden.
Für Anfang Juli werden in Deutschland nach offiziellen Angaben rund zehn Millionen Impfdosen pro Woche erwartet. Das Problem wird dann nicht mehr die Verfügbarkeit sein, sondern die Frage, wie die Medikamente in die Arme der Impfwilligen kommen. Bis dahin sollen die Impfzentren fünf Millionen Menschen pro Woche versorgen können. Den Rest müssten, womöglich noch unterstützt durch die Betriebsärzte, die Haus- und Facharztpraxen übernehmen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung weist darauf hin, dass 50 000 Praxen mit 20 täglichen Impfungen bis zu fünf Millionen Personen pro Woche immunisieren könnten.
Viele Praxen würden gerne jetzt schon loslegen, der Hausärzteverband ist „erschüttert und fassungslos darüber, dass der längst überfällige Impfstart in unseren Praxen nun weiterhin auf die lange Bank geschoben wird“, wie der Bundesvorsitzende Ulrich Weigeldt unserer Redaktion sagte. Der Arzt bezog sich damit auf Äußerungen der Gesundheitsminister von Bund und Ländern, wonach erst ab Mitte April in den Praxen geimpft werden soll. „Während die Infektionszahlen wieder ansteigen und schnelles Handeln gefragt ist, hat die Politik offenbar nichts Besseres zu tun, als sich in bräsigen Beratungsrunden an bürokratischen Vorschriften und Verteilungsquoten abzuarbeiten“, kritisierte Weigeldt. Die Praxen könnten sofort mit dem Impfen loslegen, erklärte er. „Stehen uns 30 Impfdosen zur Verfügung, bestellen wir 30 Impflinge ein. Sind es 50 Dosen, rufen wir 50 Menschen an. Das ist doch kein Hexenwerk!“
Die Ärzte sind auch deshalb sauer, weil nach Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums von den knapp 12,49 Millionen bisher nach Deutschland gelieferten Impfdosen rund vier Millionen Dosen nicht verabreicht wurden.