Von „Jedermann“bis zur „Vermessung der Welt“
Programm Hofmannsthal, Mozart und Verdi, Erfolgsromane für die Bühne und starke Frauenrollen, das soll die Spielzeit
2021/22 am Theater Ulm bieten – wenn es Corona erlaubt. Auch der künftige Generalmusikdirektor blickt voraus
Ulm „Wovon lebt der Mensch“? Dieses Zitat von Bert Brecht stand über der Ulmer Spielzeit 2020/21. Doch die Saison wurde eine unvollendete, die „Dreigroschenoper“erlebte nur wenige, wenn auch bejubelte Aufführungen – in der nächsten Saison aber, 2021/22, will dass Theater Ulm Antworten geben. Das Motto: „Davon lebt der Mensch“. Was Intendant Kay Metzger vor dem Kulturausschuss der Stadt Ulm nun präsentiere, ist ein Programm mit starken Frauenrollen, brandaktuellen Themen wie Isolation und Radikalisierung, potenziellen Publikumsrennern – und mutigen Großprojekten. Vor allem aber bleibt es ein Programm unter Vorbehalt. „Wir wollen nicht Planungssicherheit vorgaukeln“, sagt Metzger. Er betont, das Theater wolle „ein möglichst hohes Maß an Verlässlichkeit“bieten. Aber: „Dieser Plan würde obsolet, falls es wieder zur absoluten Schließung kommen sollte.“Das eigentliche Leitmotiv der Pläne benennt er knapp: „Mit dem Virus leben.“
In zwei Großprojekten treffen Schauspiel, Musik und Tanz – auf ehrwürdige Kirchenkulisse: „Jedermann“, Hugo von Hofmannsthals „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“, soll in der Wiblinger Basilika St. Martin im Juni 2022 Premiere feiern. Einen Monat später steht dann die „Messa di Gloria“von Puccini auf dem Programm – im Ulmer Münster. Ein Gemeinschaftswerk von Theater und Münsterkantorei.
„La légende de Tristan“– eine historische Wiederentdeckung, eine französische Oper um den Tristanstoff – muss Metzger auf die Saison 2022/23 verschieben, ebenso Kleists
„zerbrochenen Krug“. Vieles rettet das Theater aber aus der vergangenen, zu kurz geratenen Spielzeit in die kommende. Mit Leosˇ Janácˇeks „Katja Kabanowa“soll die Sopranistin Angela Denoke Ende September 2021 ein Debüt feiern – nämlich als Regisseurin. Sie inszeniert die erste Opernaufführung in tschechischer Sprache am Theater Ulm. Das Bühnenbild gestaltet Timo Dentler.
„Le nozze di Figaro“, da lehnt sich der Intendant aus dem Fenster, sei „Mozarts beste Oper“. Für Metzger ist es „ein Werk der starken Frauen und der schwachen Männer“, das ab Dezember 2021 auf dem vorläufigen Programm steht. Dazu gesellt sich „Ariadne auf Naxos“von Richard Strauss, mit Libretto von Hofmannsthal (Februar 2022). Die Premiere des „Rigoletto“, mehrmals schon verschoben, soll im März 2022 stattfinden – für Metzger „die Verdioper zur Me-too-debatte“. So plant das Theater drei Opernproduktionen, eine weniger als üblich. Doch die Sparte wird eventuell ergänzt.
Eine Brücke zwischen der luftigen Leichtigkeit der Operette und den dunklen Episoden ihrer Geschichte in der Ns-zeit, will die Gala „Lippen Schweigen“schlagen. Uraufführung: 1. April 2022. Das Musical „The Addams Family“soll wiederum ein echter Publikumsliebling werden, ab November 2021. Eine schräghumorige Geschichte über die so nette wie gruselige Tv-kultfamilie.
Auch die krisengebeutelte Tanzsparte kündigt Pläne an: Ab Oktober 2021 will die Theater-compagnie
„Nussknacker und Mausekönig“aufführen, da trifft die Märchenversion von E.T.A. Hoffmann auf Klänge von Dukas und Tschaikowsky – die Musik spiele im größten Notfall vom Band, erklärt Metzger. Das Format „Company and friends“eröffnet dann im Februar 2022 wieder den Tänzern die Chance, eigens entwickelten Choreografien zu zeigen.
Im Schauspiel soll das Auftragswerk „Antigone“von John von Düffel am 17. Dezember zur Uraufführung kommen, und mit Ibsens „Hedda Gabler“kommt ab Januar 2022 auch ein Stück auf die Bühne, das eine starke, komplexe Frauenfigur trägt. Dazu gesellt sich die Farce „Das Sparschwein“mit Chansons von Eugène Labiche (März 2022). Brechts „Leben des Galilei“spielt ab
September auf der Podiumsbühne, Lessings „Philotas“ab Oktober. Die Farce „Mein Kampf“, George Taboris satirisch-skurriles Gedankenspiel zum Werdegang von Adolf Hitler, soll im Januar Premiere feiern.
Auch zwei Bestseller der Gegenwartsliteratur holt das Theater ins Schauspiel: Marlen Haushofers Roman „Die Wand“, der von einer Frau in absoluter Isolation erzählt, soll ab November 2021 die Einsamkeit ergründen. „Die Vermessung der Welt“wiederum dreht sich um zwei Genies – der eine entdeckte die Welt in Abenteuerreisen, der andere am Schreibtisch. Der Forscher Alexander von Humboldt und der Mathematiker Carl Gauß. Aus dem Roman, Daniel Kehlmanns Durchbruch, wird in Ulm ein Stück in Kooperation mit der Theaterei Herlingen. Premiere: 19. November 2021.
Im November verspricht das Junge Theater märchenhaft „Die Schneekönigin“von Hans Christian Andersen, und bei „Emil und die Detektive“(April 2022) gestalten Profischauspieler mit jungen Talenten aus der Ulmer Bürgerbühne Kästners Klassiker. „Tanz der Tiefseequalle“(Uraufführung: März 2022) verhandelt wiederum Themen wie Mobbing und Gruppenzwang.
Im Ausschuss war auch der „Neue“zu Gast: Felix Bender, ab diesem Sommer Generalmusikdirektor, stellte sich vor und bedankte sich für das Vertrauen der Stadt. In diesen Tagen werde er, mit Metzger, ein musikalisches Programm entwerfen, mit sinfonischen Konzerten. Vorab verrät er: „Sie werden den großen Wagner aber vorerst nicht im Programm wiederfinden.“Corona bestimmt weiter den Spielraum. Auf der Bühne und im Orchestergraben.