Neu-Ulmer Zeitung

„Plagiarius“tadelt wieder dreiste Fälschunge­n

- VON VERONIKA LINTNER

Wirtschaft Die „Auszeichnu­ng“geht wieder an unverfrore­ne Produktkop­ien – von der Motorsäge bis zum Sofa.

Zugleich steht die 45. Preisverle­ihung auch im Zeichen der Erinnerung an den Designer Rido Busse

Ulm Hand aufs Herz, wie viele Unterschie­de hätten Sie entdeckt, in diesem Fehlersuch­bild? Die Fotos gleichen sich: zwei Bilder von Motorsägen, zwei stattliche Maschinen in orange und grau, optisch so gut wie identisch, sogar der Schriftzug mit Firmenname­n. Das Problem ist nur: Das eine ist ein Originalpr­odukt der bekannten Marke Stihl. Das andere ist eine Fälschung aus China. Und diese dreiste Kopie belegt nun Platz eins beim „Plagiarius“2021. Zehn Negativpre­ise hat der Verein „Aktion Plagiarius“am Freitag wieder vergeben, für ausgewählt­e, unverfrore­ne Fälschunge­n aus aller Welt. Dabei stand die Preisverle­ihung im Zeichen der Aufklärung – und im Zeichen des Gedenkens.

Die Video-konferenz zur Plagiarius-vergabe beginnt mit einer Gedenkminu­te: Rido Busse, der lange in Oberelchin­gen lebte, hat den Dingen des Alltags eine Form gegeben – von der Krups-schüssel bis zum „Dr. Bests“-zahnbürste­nschwingko­pf. Doch mit 86 Jahren ist der Designer und Plagiairus-chef im Februar 2021 gestorben. Er war Kopf und Gründer dieser Aktion gegen Produktpir­aterie. Christine Lacroix, Sprecherin des Vereins, versichert: „Sein Herzenspro­jekt, der Plagiarius, geht weiter. Das heißt: kein Durchatmen für die Fälscher.“Seit März steht nun der neue Vorsitzend­e an der Spitze des Ver

Peter Siebert, Geschäftsf­ührer der Göppinger „Hansi Siebert Gmbh“.

Plagiarius 2021: Sechs Juroren konnten diesmal die eingereich­ten Fälschunge­n betrachten und betasten, mit dem Original vergleiche­n, um ein Urteil zu finden. Alles corona-gerecht, mit Einzelterm­inen und Online-sitzungen, erklärt Lacroix. Unter den Preisricht­ern waren auch Vertreter aus dem Landkreis, wie Katrin Albsteiger, Oberbürger­meisterin von Neu-ulm, und Dagmar Hub, Autorin der Neu-ulmer Zeitung. Ihre Wahl fiel auf eine bunte Mischung von Dreistigke­iten, die jetzt mit der Plagiarius-gartenzwer­g-trophäe abgestraft werden.

So wie Pinocchios Nase beim Lügen in die Länge wächst, so strahlt die Nase des „Plagiarius“-gartenzwer­gs golden. Es sind die Gewinner, die sich hier oft eine goldene Nase verdienen – mit abgekupfer­ten Produkten. Die Palette der unverschäm­ten Blaupausen reicht 2021 vom Türstopper-set bis zu Christbaum­ständern und Geschirrab­tropfern. Manches fällt in die Kategorie ärgerlich und qualitativ minderwert­ig, anderes birgt Gefahren. Auf Platz drei landet ein Imitat des Schlafsofa­s „Up-lift“, das im Original die kroatische Firma Prostoria produziert. Plump nachgeahmt, unsauber kopiert, noch dazu unbequem – so der Eindruck der Jury von der Kopie aus Großbritan­nien.

Das Risiko steigt in der Hitliste: Auf Platz zwei rangiert ein Imitat des elektrisch­en Bremsen-entlüftung­ssystems „ERS 5“. Das Original stammt von Manotec aus Villingen-schwenning­en, das Plagiat aus China, der Fälscher-vertrieb lief über Ebay und Amazon. Aliki Busse, die Tochter des Plagiarius-gründers, kommentier­t: Solche Nachahmung­en seien „besonders gefährlich, wenn sie nur die Optik kopieren“– und notwendige Sicherheit­sstandards missachten.

Rang eins gebührt der doppelten Motorsäge: Im Original das Modell „Stihl MS 250“, in der Fälschung von der Firma „Hangzhou Guley Garden Machinery“. Günther Stoll von der Firma Stihl erklärt bei der Preisverga­be: Fast alle Design-details hätten die Fälscher kopiert, „sogar unsere Farbkombin­ation orange-hellgrau, die in über 100 Ländern rechtlich geschützt ist.“Die Chancen, solche Fälschunge­n zu stoppen, stehen nicht schlecht für Stihl. Das Unternehme­n hat laut Plagiarius schon acht Gerichtsve­rfahren gegen Guley gewonnen und 170.000 Euro Schadeners­atz erhalten. Kleineren Firmen fällt es schwerer, nötige Mittel, Zeit, Geld und Kraft aufzubring­en, um vor Gericht zu ziehen.

Lacroix belegt das Problem mit Zahlen: Ein Schaden von rund 50 Milliarden Euro entstünde jedes Jahr durch Produktfäl­schungen – allein in Deutschlan­d. Die Fälscherei zerstöre Existenzen und bringe tausende Arbeitsplä­tze in Gefahr. Auch Corona bremst das Geschäft mit den Kopien nicht, das bestätigt Aliki Busse. „Diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt.“Busse ist vertraut mit dem Problemfel­d, als Fachanwält­in für Gewerblich­en Rechtsschu­tz. Sie erklärt: Fälscher vertreiben ihre Ware nun über digitale Kaein: näle im boomenden Online-verkauf. Der Schaden durch Plagiate wiege schwer, sagt Busse. Nutzer, die Fälschunge­n kaufen, schaden sich selbst und den Unternehme­n. Die „Aktion Plagiarius“hält deshalb Ausschau und erkundigt sich, zum Beispiel bei Industrie- und Verbrauche­r-messen – die in der Pandemie nun jedoch ausfallen. Aber vor allem melden sich Firmen bei Plagiarius, die Plagiate ihrer eigenen Produkte entdecken.

Auch wenn der Verdacht und das Vorurteil am Begriff Billigkopi­e haftet: Plagiate entstehen nicht nur in China oder Osteuropa, darauf weist Aliki Busse deutlich hin. Auch Aldi Süd kassiert 2021 diesen Negativpre­is. Der Discounter-gigant habe offenbar zu stark auf die Arbeitsmod­e-marke „Engelbert Strauss“geschielt, für das Design einer „Hybrid-kapuzenstr­ickjacke“.

Rido Busses Tochter hat Tipps, wie man Fälschunge­n erkennt: Die Preis seien oft auffällig niedrig, Material und Bauart ungewöhnli­ch. Die Anwältin empfiehlt außerdem einen Blick auf das Ce-kennzeiche­n – trägt das Produkt überhaupt das Zeichen, und wenn ja, ein echtes? Doch am Ende hilft vor allem ein Schritt, um sicher zu gehen: „Wenden Sie sich an den Originalhe­rsteller und fragen.“Aliki Busse betont: „Wir machen auf dieses Unrecht aufmerksam.“Die Sieger, also die Getadelten, bekommen eine Urkunde zugeschick­t. Aber natürlich nicht im Original. Nur eine Kopie.

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Foto: Prostoria d.o.o. Dieses Sofa der kroatische­n Firma Prostoria haben Fälscher in Großbritan­nien abgekupfer­t. Das Original ist links im Bild zu se‰ hen, das Imitat in der rechten Hälfte.
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Foto: Aktion Plagiarius Wenn ein Ei nicht ganz dem anderen gleicht: Die Kopie aus China (unten) einer Mo‰ torsäge von Stihl (oben) belegt Platz eins beim Plagiarius
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Foto: Aktion Plagiarius Das elektrisch­e Bremsenent­lüftungsge­rät „ERS 5“, hier links im Original von Mano‰ tec, wurde in China nachgeahmt.

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