Von der Epidemie zur Telefonnummer
Das ist von den Masern vor 140 Jahren in den USA geblieben: Jedem Anschluss eine Nummer! Heute ist die Zahlenfolge Rundum-identifikation
der entmenschlichenden Unwürde, von einer Nummer identifiziert zu werden, zu unterwerfen.“Heute gibt es nach Angaben der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) rund 914 Millionen Festnetznummern auf der Welt. Vor allem die Zahl der Mobilfunknummern ist mit dem Siegeszug von Smartphones in den vergangenen Jahren exponentiell gestiegen: auf weltweit neun Milliarden.
Die Telefonnummer, ein Anachronismus aus der Analogzeit, ist zur zentralen ID in der digitalen Gesellschaft geworden, noch wichtiger als die Reisepassnummer: Man braucht sie in Online-shops, in sozialen Netzwerken oder Messengerdiensten. So kann man sich bei Facebook wahlweise mit seiner E-mail-adresse oder Telefonnummer anmelden. Ohne Handynummer kann man in der Audio-app
Anfang der 1960er Jahre verständigten sich Vertreter der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), einer Unterorganisa tion der Vereinten Nationen, darauf, jedem Kontinent bzw. jedem Land eine Ländervorwahl zuzuweisen: 1 für die USA, 2 für Afrika, 3 und 4 für Europa usw. Anrufer, die einen Mo bilfunknutzer im Kosovo anrufen wollten, mussten bis vor ein paar Jahren die Ländervorwahl für Monaco (377) oder Slowenien (386) wählen. Der Grund: Nachdem Kosovo 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärte, hatte es keine eigene Ländervorwahl. Erst 2016 bekam das Land von der ITU eine eigene Vorwahl zugeteilt.
Die in Fahrstühlen installierten Wählautomaten besitzen selbst eine Telefonnummer – und können aus dem ganz nor malen Telefonnetz angerufen werden. Dieser Umstand wur de vor ein paar Jahren einer Familie in Berlin zum Verhäng nis: Sie wurde vom Wählautomaten eines Aufzugs nachts aus dem Schlaf geklingelt. Der Grund: Statt in der Notruf zentrale landeten die Notrufe auf dem Festnetzanschluss der Familie.
Die späteren Applegründer Steve Jobs und Steve Wozni ak machten sich einst einen Scherz daraus, beim Papst an
„Clubhouse“schon gar nicht mehr mitreden. Ohne Nummer kein Anschluss. Das heißt: Die Telefonnummer erfüllt einen ganz anderen Zweck als den, für den sie ursprünglich geschaffen wurde. Und das ist ein Problem.
Gerade weil die Telefonnummer nicht mehr nur an eine Leitung in einem Gebäude gekoppelt, sondern mit zahlreichen anderen Diensten verknüpft ist, sagt sie zum Teil zurufen: Mithilfe eines analogen Frequenzzählers, der durch Pfeiftöne Anrufe weiterleitete, riefen sie im Vatikan an und gaben vor, Usaußenminister Henry Kissinger zu sein. Phreaking nennt sich die Technik, bei der Bugs im Telefon netz ausgenutzt werden, um hohe Telefongebühren bei Aus landsgesprächen zu vermeiden.
1997 gingen in New York die Telefonnummern aus, weil zunehmend Computer, Funkmeldeempfänger (Pager) und Faxgeräte an das Funknetz angeschlossen waren und eine eigene Nummer hatten. Damals wählte man sich noch mit einem Modem über die analoge Telefonleitung in das Inter net ein – weshalb es häufiger vorkam, dass das Besetztzei chen ertönte, wenn der Angerufene im Internet surfte. Das japanische Kommunikationsministerium plant wegen des neuen 5Gstandards und der wachsenden Anzahl internet fähiger Geräte zehn Milliarden zusätzliche 14stellige Mobil nummern zu vergeben, weil die 11stelligen Nummern 2022 ausgehen könnten.
Mobilfunknummern sind längst Statussymbole. Bei einer Auktion in Katar 2006 legte ein Scheich für die Nummer 666 6666 umgerechnet 2,3 Millionen Euro hin. mehr über eine Person aus als ihr Vor- und Zuname. Mit etwas Geschick kann man in Datenbanken herausfinden, wo man wohnt, wie die Familienmitglieder heißen, wie viel Steuern man bezahlt, wo man überall hingereist ist und ob man einen Eintrag im Strafregister hat. Wenn früher eine Telefonnummer in die falschen Hände geriet, wurde man schlimmstenfalls Opfer von Telefonterror. Heute ist die ganze Identität bedroht.
In der Vergangenheit haben Cyberkriminelle neben E-mail-adressen, Passnummern und Kreditkartendaten auch immer wieder Telefonnummern erbeuten können, die dann im Darknet für ein paar Dollar verhökert werden. Erst vor kurzem sind Telefonnummern und weitere personenbezogene Daten von 533 Millionen Facebook-nutzern im Internet aufgetaucht – darunter auch die Handynummer von Mark Zuckerberg.
Cybersicherheitsexperten sehen die Entwicklung mit Sorge. Denn die Daten lassen sich nicht nur für unerwünschte Telefonwerbung nutzen. Mithilfe der Mobilnummer könnten Cyberkriminelle auch ohne das Gerät online Textnachrichten empfangen und beispielsweise TANS für Online-überweisungen abgreifen, wenn der Versand per SMS erfolgt.
Mobilfunknummern stellen nicht nur ein Sicherheitsrisiko dar, sondern auch eine Gefahr für die Privatsphäre. Wer in der populären Plauder-app „Clubhouse“Kontakte einladen will, muss Zugriff auf sein Telefonbuch erlauben. Man sieht etwa, welcher seiner Kontakte wie viele Freunde in „Clubhouse“hat. Dass Telefondaten ausgelesen und gespeichert werden, sehen Datenschützer kritisch. Pikant: In dem Netzwerk sind auch einige Spitzenpolitiker unterwegs, deren Handynummern womöglich auf irgendeinem Us-server landen. Dass der amerikanische Geheimdienst NSA unter anderem auch die Handynummer von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgriff, scheint längst in Vergessenheit geraten zu sein.
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