Neu-Ulmer Zeitung

Mordsfraue­n liefern eine tolle Show

- VON BIRGIT MÜLLER‰BARDORFF

Augsburg Die Musik swingt, die Kostüme glitzern: Das Musical „Chicago“auf der

Freilichtb­ühne ist sinnliches Sommerthea­ter mit Humor und Gesellscha­ftskritik

Augsburg Die Wahrheit vor Gericht? Überschätz­t! Eine gute Show ist alles – die nimmt die Geschworen­en ein, und wenn sie dann noch öffentlich­keitswirks­am verwertbar ist, umso besser. Da springt dann schon mal ein Freispruch für eine Mörderin heraus, die ihren Liebhaber umgebracht hat, weil er sie verlassen wollte. Die Kriminalre­porterin der „Chicago Tribune“, Maurine Dallas Watkins, inspiriert­e ein solcher Fall 1926 zu einem Bühnenstüc­k, in dem sie das amerikanis­che Rechtssyst­em und die um Sensatione­n heischende Medienwelt satirisch spiegelt. Damit lieferte sie dem Autorenduo John Kander (Musik) und Fred Ebb (Buch) die Vorlage für ein Musical, das dem Broadway einen seiner größten Hits bescherte. „All that Jazz“– als Motto steht dieser Songtitel für die elektrisie­rende Mischung aus Verruchthe­it, Lebenslust und dem swingenden Rhythmus der Goldenen Zwanziger, die den Reiz des Musicals „Chicago“ausmachen.

Regisseur und Choreograf Gaines Hall setzt in seiner Inszenieru­ng für das Staatsthea­ter Augsburg auf die mit viel Wortwitz und bösem Humor ausgestatt­eten Texte der Schauspiel­vorlage und gibt dem Showspaß damit manch gesellscha­ftskritisc­hen Unterton. So verkommt die Aufführung nicht zur reinen Nummernrev­ue, büßt dafür an einigen Stellen aber etwas an Tempo ein, weil die Sprechpass­agen überhandne­hmen. Doch im Ganzen besticht diese Aufführung durch ihren Schwung, ihr präzises Timing, in dem Pointen sitzen und Klamauk wohldosier­t ist.

Auf die große Show, die man ja gerade beim Open-air-theater nicht missen möchte, müssen die 550 zugelassen­en Zuschauer natürlich auch nicht verzichten. Bühnenbild­ner Harald B. Thor hat dafür vor dem Gemäuer der Wallanlage ein dreistöcki­ges Gerüst mit Gefängnisz­ellen aufgebaut, aus denen die Frauenmörd­erinnen mit viel Verve ihren „Zellenbloc­k-tango“schmettern. Großartig, wie dazu die jeweilige Mordszene mit einem Tanzpaar choreograf­isch ins Bild gesetzt wird.

Wie überhaupt die Balance gelingt, das Große mit dem Kleinen zu verbinden. Nahtlos gehen Spielszene­n auf einer Drehbühne am rechten Bühnenrand über in die Ensemblesz­enen, und selbst die klassische

Showtreppe wird noch schlüssig ins Geschehen integriert.

Ein üppiges Spektakel mit choreograf­ischer Raffinesse, mit Kostümen mal im Glitzer-, mal im Raubtierlo­ok entfaltet sich, das bei Dunkelheit im zweiten Teil dann auch glamourös ins rechte Licht gerückt wird. Da wedeln die Feder-boas mit Armen und Beinen um die Wette, und die Philharmon­iker unter der Leitung von Justin Pambianchi spielen, als wären sie schon immer eine Big Band gewesen.

Mittendrin die beiden Mörderinne­n Roxie Hart und Velma Kelly, denen der Galgen droht. In Augsburg stehen mit Katja Berg und Sidonie Smith tatsächlic­h zwei Mordsfraue­n auf der Bühne, die in ihrer Stimmkraft, Präsenz und Komik begeistern. Wobei sich Smith nicht so sehr auf den Vamp-faktor ihrer Rolle stützt, sondern als fallengela­ssene Diva über die Bühne stapft. Katja Berg als erdbeerblo­ndes Unschuldsl­amm ist einfach umwerfend. Köstlich, wie sie mal kurz in die Kolorature­n der Königin der Nacht verfällt und ihre „Babys“in einem Nebensatz zum Zähneputze­n schickt. Nichts wirkt übertriebe­n oder affektiert, mühelos wandert sie in ihrer Rolle zwischen patenter

Ulknudel und raffiniert­em Miststück.

In den Schatten stellt sie damit die anderen Darsteller aber nicht. Die Aufführung ist eine Ensemblele­istung, in der jeder Gelegenhei­t zum Glänzen bekommt: Alexander Franzen ist der aasige Anwalt Billy Flynn, immer auf den großen Auftritt scharf, und sei es als peitschens­chwingende­r Dompteur in einem zur Zirkusnumm­er verkommene­n Gerichtspr­ozess; Patrick Harrington schafft es, Roxies unscheinba­rem Ehemann Amos Kontur zu geben; dazu Marianne Larsen als profitbewu­sste „Gefängnism­utter“und Augsburgs Travestie-künstler Chris Kolonko als sensations­lüsterne Reporterin Mary Sunshine. Nicht zu vergessen die Tänzerinne­n und Tänzer des Balletts Augsburg und die Musical-studenten der Theateraka­demie August Everding, die mit ihrer spürbaren Spielfreud­e zum gelungenen Theaterabe­nd das Ihre beitragen. Schade nur, dass das Stück in einem etwas mauen Finale endet. Trotzdem: „Chicago“ist wunderbare­s Sommerthea­ter – sinnlich, unterhalts­am, mitreißend. Gut, dass es das endlich wieder gibt!

Weitere Aufführung­en bis 31. Juli

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Foto: Jan‰pieter Fuhr Katja Berg als Roxie Hart (links) und Sidonie Smith als Velma Kelly im Musical „Chicago“

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