Die schwierige Suche nach dem Zeitgeist
Werbung Treffende Wahlplakate übermitteln ihre Botschaft ohne viele Worte. Gute Kampagnen können Wahlen entscheiden – und Geschichte schreiben. Warum das analoge Medium auch im Internetzeitalter brandaktuell ist
Bonn Ein mürrisch dreinblickender Alter mit dem Spruch „Keine Experimente!“– mit dem zerfurchten Charakterkopf Konrad Adenauers holte die CDU 1957 das beste Ergebnis, das je eine Partei bei einer Bundestagswahl erzielt hat: mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das Haus der Geschichte in Bonn zeigt es seit Donnerstag mit rund 100 Plakaten seit der ersten Bundestagswahl 1949. Eigentlich könnte man meinen, dass Plakate im Internetzeitalter hoffnungslos veraltet sind. Doch es gibt sie nach wie vor in vielen Ländern, sagt Politikdozentin Mona Krewel von der Universität Wellington in Neuseeland, die ihre Doktorarbeit über Bundestagswahlkämpfe geschrieben hat.
Die Plakate hätten noch immer eine wichtige Funktion: „Sie signalisieren den Menschen, dass Wahlkampf ist und es an der Zeit ist, sich zu informieren und zu entscheiden.“Ähnlich sieht es der Politikwissenschaftler Karl-rudolf Korte von der Universität Duisburg-essen: Es sei eindeutig belegt, dass Wahlkämpfe Einstellungen von Wählern verändern können, und in diesem Zusammenhang hätten Plakate
einen Mobilisierungseffekt. Untersuchungen hätten ergeben, dass man als Passant nur bis zu vier Sekunden auf ein Wahlplakat schaue, sagt Katrin Grajetzki vom Haus der Geschichte. Deshalb leben die Motive von Vereinfachung und Zuspitzung. Und Bilder sagen mehr als Worte: Die CDU warb 1994 mit einem Plakat völlig ohne jeden Text – es zeigte lediglich ein Foto des
„Kanzlers der Einheit“Helmut Kohl beim Bad in der Menge.
„‚Keine Experimente‘ hat deshalb verfangen, weil der Slogan die Themen des Bundestagswahlkampfs 1957 in einem Satz auf den Punkt gebracht hat“, erläutert Krewel. Die SPD plädierte damals für den Austritt Deutschlands aus der Nato. „Der CDU gelang es mit diesem Slogan, ihre Wahlkampfmessage,
dass dies zum Untergang Deutschlands führen könnte, prägnant zu verdichten.“Dafür fing die SPD Ende der 90er Jahre die herrschende Wechselstimmung perfekt ein, als sie Helmut Kohl mit „Ich habe fertig“plakatierte.
Besonders provokante oder schräge Plakate wie zuletzt in Sachsenanhalt mit der Linken-parole „Nehmt den Wessis das Kommando“
werden bundesweit diskutiert. Das schlechte Abschneiden der Linken zeigt aber, dass Aufmerksamkeit nicht unbedingt auch Wählerstimmen bedeutet. Viele Plakate setzen scheinbar einfallslos einfach nur den Spitzenkandidaten oder die Spitzenkandidatin ins Bild. Die Wirkung dürfe man aber nicht unterschätzen, meint Korte: „Bekanntheit kann Vertrauen aufbauen. Deshalb ist Bekanntheit für Politiker so enorm wichtig. Vor allem Laschet und Baerbock müssen sich noch weiter bekannt machen, deshalb rechne ich für den Bundestagswahlkampf mit starker Konterfei-plakatierung.“
Krewel erwartet, dass sich CDU und SPD auf ihren Plakaten staatsmännisch geben werden, um die Erfahrung ihrer Spitzenkandidaten Armin Laschet und Olaf Scholz als Ministerpräsident beziehungsweise Bundesfinanzminister zu unterstreichen. Mann im Anzug, Mann bei Amtsgeschäften sind Motive, die sie sich vorstellen kann. „Die Grünen dagegen werden versuchen, ihre Kandidatin bewusst als anders und pfiffig und Gegenentwurf zum Typus alter weißer Mann herauszustellen.“Christoph Driessen, dpa