Neu-Ulmer Zeitung

Der steinige Weg von Vertreibun­g zur Versöhnung

- VON SIMON KAMINSKI

Ausstellun­g Die Idee ist mehr als 20 Jahre alt: Nach vielen Jahren des Streitens und Suchens nach einem tragfähige­n Konzept wurde jetzt das Dokumentat­ionszentru­m in Berlin eröffnet. Die Initiatori­n Erika Steinbach war nicht dabei

Berlin Es fällt nicht schwer, Direktorin Gundula Bavendamm zu glauben, wenn sie den langen Weg bis zur Eröffnung des Dokumentat­ionszentru­ms Flucht, Vertreibun­g, Versöhnung als „schier unmögliche­n Balanceakt“beschreibt. Immerhin, das Projekt steht, mehr noch, es ist in vielen Punkten gelungen – wie nicht nur Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Montag bei einem Festakt zur Eröffnung konstatier­te. Über Jahre hinweg allerdings geriet die Debatte um Richtung, Konzept und Umsetzung des Vorhabens, in Berlin einen Lern- und Erinnerung­sort für Flucht und Vertreibun­g zu schaffen, hitzig, ja mitunter persönlich feindselig.

Es ist kein Zufall, dass ausgerechn­et die Politikeri­n, die bereits 1999 den Anstoß für eine Ausstellun­g gab, zu dieser Eröffnung nicht eingeladen war. An der früheren Präsidenti­n des Bundes der Vertrieben­en, Erika Steinbach, entzündete­n sich heftige Konflikte. Nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch in Polen und Tschechien, gab es Befürchtun­gen, dass die damalige Cdu-politikeri­n das Ziel verfolgen könnte, die Schuld der Deutschen zu relativier­en. Die heute 77-Jährige bestritt das vehement. Steinbach überwarf sich im Streit über den Grad des Einflusses der Vertrieben­enverbände auf das Vorhaben schließlic­h mit Teilen ihrer eigenen Partei. Zwei Jahre nach der Gründung der Stiftung für das Ausstellun­gsprojekt im Jahr 2008, gab Erika Steinbach ihren Sitz im Beirat auf. Heute hat sie der CDU den Rücken gekehrt, sie äußerte Sympathien für Positionen der rechten AFD.

Zwar gab es auch nach diesem Einschnitt Kontrovers­en um die Ausrichtun­g der Stiftung, Rücktritte und Debatten. Doch das Ziel, ein großes Dokumentat­ionszentru­m von internatio­nalem Format im Berliner Deutschlan­dhaus zu installier­en, erschien letztlich als derart lohnend, dass die Fliehkräft­e unter den Organisato­ren in den letzten Jahren geringer wurden.

Hinzu kam, dass in der Bundesrepu­blik die Bereitscha­ft wächst, die harte und kategorisc­he Trennung zwischen Täter und Opfern zu hinterfrag­en. Wer heute die Vertreibun­g von Deutschen aus Osteuropa auch als Unrecht einordnet, gilt nicht mehr sofort als Revanchist. Klug von den Machern des Ausstellun­gskonzepts war es zudem, das Thema Flucht und Vertreibun­g nicht auf das Schicksal deutscher Vertrieben­en zu verengen. Stiftungsd­irektorin Bavendamm betont, dass die Geschichte von Flucht und Vertreibun­g der Deutschen immer auch unter einer europäisch­en Perspektiv­e gesehen werden müsse. „Sie muss in unverbrüch­licher Verbindung mit der nationalso­zialistisc­hen Politik dargestell­t werden. Und sie kann nur der Versöhnung dienen.“

Was also erwartet den Besucher, der ab Mittwoch das dann für die Öffentlich­keit geöffnete, architekto­nisch sehr interessan­te Deutschlan­dhaus in Berlin-kreuzberg aufsucht? Ein vielschich­tiges Konzept, das sich aus mehreren Elementen zusammense­tzt. Auf immerhin 5000 Quadratmet­ern stehen neben der großen, ständigen Ausstellun­g Räume für Wechselprä­sentatione­n, ein Lesesaal sowie ein Bereich für vertiefend­e Forschung bereit. 63 Millionen Euro kostete die Sanierung des Deutschlan­dhauses, mit weiteren zwölf Millionen unterstütz­te der Bund die Stiftung für die Erstaussta­ttung der Ausstellun­g. 33 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r arbeiten für das Dokumentat­ionszentru­m.

Der Streit über die Gewichtung der Schwerpunk­te im Deutschlan­dhaus wurde durch eine Zweiteilun­g weitgehend befriedet: Zum einen geht es um eine Geschichte der Vertreibun­g vom Beginn des 20. Jahrhunder­ts bis in die Gegenwart, dann um Flucht und Vertreibun­g von rund 14 Millionen Deutschen während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Über eine kühne Wendeltrep­pe geht es in zwei Geschosse, die von den Kuratoren mit 700 Exponate bestückt wurden, die zum großen Teil aus der hauseigene­n Sammlung des Dokumentat­ionszentru­ms stammen. Für Orientieru­ng sorgen Karten und Fotos.

Auf der ersten Ebene dokumentie­ren sechs Themeninse­ln Fälle europäisch­er Zwangsmigr­ationen. Von der Vertreibun­g und dem Völkermord an den Armeniern bis hin zu Flucht und Zwangsumsi­edlungen im früheren Jugoslawie­n in den 1990er Jahren. Intelligen­t werden Informatio­nen zu den Ursachen der Konflikte durch originale Exponate, wie Pässen oder Schwimmwes­ten ergänzt. Ganz anders das Konzept, das die Ausstellun­g im zweiten Geschoss strukturie­rt. Dort wird streng chronologi­sch der Weg von der Machtübern­ahme der Nazis, über den Angriffskr­ieg, die deutschen Verbrechen, bis hin zu Niederlage und der Vertreibun­g nachgezeic­hnet. Symbolisie­rt durch Exponate wie einen Leiterwage­n, einen Koffer oder den Schlüssel der alten Wohnung, der in vielen Familien nach der Flucht als Symbol für die sich nicht erfüllende Hoffnung auf Heimkehr aufbewahrt wurde.

Die dem Festakt zugeschalt­ete Kanzlerin Merkel unterstric­h in ihrer Ansprache den Wert des in das Dokumentat­ionszentru­m integriert­en Zeitzeugen­archivs, in dem Biografien und Erinnerung­en von Vertrieben­en gesammelt werden. „Persönlich­e Schicksale bringen uns einander näher. Erinnerung braucht Raum und Orte des Austausche­s“, sagte Merkel, die darauf verwies, dass 2020 weltweit mit 82,4 Millionen Menschen so viele Menschen auf der Flucht gewesen seien, wie nie zuvor.

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Foto: Rolf Zoellner, dpa Das Dokumentat­ionszentru­m Flucht, Vertreibun­g, Versöhnung im Berliner Deutschlan­dhaus nähert sich dem Thema auf verschie‰ denen Ebenen und vor allem internatio­nal.

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