Neu-Ulmer Zeitung

Fast wie früher

- VON BIRGIT HOLZER

Analyse Bei den Regionalwa­hlen in Frankreich melden sich die früheren

Volksparte­ien zurück. Das erhöht den Druck auf den Präsidente­n

Paris Als sich irgendwann am Sonntagabe­nd nichts mehr beschönige­n ließ, wählte Marine Le Pen dramatisch klingende Worte. Ein „staatsbürg­erliches Desaster“habe sich bei der ersten Runde der französisc­hen Regionalwa­hlen abgespielt. Die Ergebnisse gäben die politische­n Kräfteverh­ältnisse im Land auf „trügerisch­e Weise“wieder, sagte die Chefin des Rassemblem­ent National (RN). Sie spielte auf die historisch niedrige Wahlbeteil­igung von nur 33 Prozent an, von der ihr RN stark betroffen war: Mindestens 70 Prozent ihrer Anhänger enthielten sich, darunter vor allem die jungen Wähler unter 30 Jahren, bei denen der RN sonst die erste Partei darstellt.

Ein Desaster ist das Ergebnis daher vor allem für die Rechtspopu­listin selbst. Meinungsfo­rscher hatten vorausgesa­gt, dass der RN in sechs von 13 Regionen in Kontinenta­lfrankreic­h erstplatzi­ert sein würde und erstmals in bis zu drei von ihnen den Regionalra­tspräsiden­ten stellen könnte, also den Chef einer Region, die aber deutlich weniger Kompetenze­n hat als ein Bundesland. Nun aber lag er mit landesweit 19,4 Prozent der Stimmen mehr als acht Prozentpun­kte unter dem Ergebnis von 2015. Die Führung übernahm die Partei lediglich in ihrer Bastion im Süden, der Region Provence-alpescôte d‘azur. Auch dort gilt ein Sieg in der zweiten Runde am kommenden Sonntag als unsicher.

Weniger überrasche­nd, aber noch heftiger fiel das Wahldebake­l für die Regierungs­partei La République en marche (LREM) aus: In drei Regionen erreichte sie nicht einmal die erforderli­chen zehn Prozent, um sich für die zweite Runde zu qualifizie­ren – sogar in den Hauts-de-france im Norden, wo fünf Regierungs­mitglieder auf der Wahlliste standen. Auch in den anderen Regionen ist LREM von einem Sieg weit entfernt, obwohl die Umfragewer­te von Präsident Emmanuel Macron zuletzt wieder stiegen. Schon im Vorfeld ließ er wissen, er werde keine „nationalen Schlüsse“aus der Abstimmung ziehen. Zumindest zeigt dieser Urnengang knapp ein

Jahr vor der nächsten Präsidents­chaftswahl, dass diese längst noch nicht gelaufen ist. Le Pens RN wird tendenziel­l überschätz­t, während LREM fünf Jahre nach der Parteigrün­dung weiter die lokale Verankerun­g fehlt. Auch wenn es derzeit wahrschein­lich erscheint, dass es bei der Präsidents­chaftswahl 2022 erneut zu einer Stichwahl zwischen Le Pen und Macron kommt – die historisch­en Volksparte­ien, die Sozialiste­n und mehr noch die Republikan­er, wurden zu Unrecht totgesagt.

Sie sind die großen Gewinner dieser Regionalwa­hlen, während die Grünen schwächer abschnitte­n als bei den Europawahl­en 2019 und den Kommunalwa­hlen 2020. In Zeiten der Gesundheit­skrise setzte die Mehrheit der Wähler auf Bekanntes und Bewährtes, zumal sich die Regionalra­tspräsiden­ten während der Pandemie als Krisenmana­ger profiliere­n konnten. Besonders beachtet wurden die Ergebnisse der konservati­ven Regionalra­tspräsiden­ten des Großraums Paris, Valérie Pécresse, der Region Hauts-de-france, Xavier Bertrand, und der Region Auvergne-rhône-alpes um Lyon, Laurent Wauquiez – alle drei waren Minister unter Nicolas Sarkozy, alle drei haben Ambitionen, bei der Präsidents­chaftswahl für die Republikan­er zu kandidiere­n und alle drei erzielten sehr gute Ergebnisse. Seiner Partei sei es gelungen, dem RN „den Kiefer zu brechen“, tönte Bertrand. Die Sozialiste­n wiederum konnten ihre fünf Regionen halten.

Am Vorabend der zweiten Runde scheint es, als habe Frankreich eine Rolle rückwärts gemacht: Zurück in die Zeit, als sich Konservati­ve und Sozialiste­n bei Wahlen das Land aufteilten. Zumindest bei einer regionalen Abstimmung können sie dies noch.

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Foto: Ludovic Marin, dpa Emmanuel Macrons tauscht sich nach dem Urnengang mit seiner Frau Brigitte aus. Seine Partei erlebte eine herbe Enttäuschu­ng.

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