Das letzte halbe Jahr des Atomkraftwerks
Energie An Silvester wird der „Aus-knopf“gedrückt – dann wird das schwäbische AKW in Gundremmingen
für immer abgeschaltet. Was ist bis dahin zu tun? Und was passiert mit der Stromversorgung?
Gundremmingen Als am 31. Dezember 2017 Block B des Atomkraftwerks (AKW) in Gundremmingen vom Netz genommen wurde, war es ein emotionaler Moment für alle Beteiligten. Doch neben dem bevorstehenden Rückbau dieses „Trakts“, der viele Mitarbeiter binden würde, stand noch immer die Stromproduktion in Block C für die nächsten Jahre an. Damit ist in einem guten halben Jahr, ebenfalls an Silvester, Schluss, wenn auch dafür gewissermaßen der Aus-knopf gedrückt wird. Bis es so weit ist, muss einiges an Vorarbeit geleistet werden – nicht nur in Gundremmingen.
Bislang ging es vor allem darum, Platz zu schaffen für den sicheren Rückbau, erklärt Kraftwerkssprecherin Christina Kreibich. „Um Transportwege und Logistikflächen zu schaffen, wurden zum Beispiel Strahlenschutzwände und Betonriegel ausgebaut.“Auch gehe es momentan um Systeme, die radiologisch unbelastet sind und daher recht einfach ausgebaut und freigemessen werden können. So werde etwa der Generator in Block B ausgebaut. „Die hierbei frei werdende Fläche benötigen wir auch für den gegenwärtigen Aufbau unserer Rückbaufabrik, in der später abgebaute Materialien bearbeitet und behandelt werden.“
Wenn dann Block C vom Netz genommen ist, werde man dort ähnlich wie bei Block B vorgehen und ebenfalls Platz für Transportwege freiräumen. Das müsse detailliert geplant werden, um eine sinnvolle Reihenfolge hinzubekommen und die Arbeitssicherheit zu gewährleisten.
Auch wenn Silvester dieses Jahr für die Mitarbeiter nicht gerade ein Feiertag wird, ist trotzdem eine kleine „Zeremonie“geplant? „Sicherlich werden wir die Abschaltung der Anlage, die dann rund 37 Jahre zur sicheren und Co2-freien Stromversorgung Bayerns beigetragen und etwa 709 Milliarden Kilowattstunden Strom in die Netze eingespeist hat, gemeinsam mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begehen. Der genaue Zeitpunkt und weitere Details stehen heute noch nicht fest“, erklärt Kreibich.
Vom Rückbau ausgenommen sind zunächst Anlagenteile, die erst einmal weiter gebraucht werden. Das seien vor allem Systeme und Komponenten im Reaktorgebäude, solange sich noch Brennelemente im Lagerbecken befinden, ebenso wie Teile der Lüftung und Wasseraufbereitung. Und was das Personal angeht, werde es zum 1. Januar auch keine schlagartige Veränderung geben. Vielmehr werde in den nächsten Jahren über Altersteilzeit nach und nach die Belegschaft weiter abgebaut.
Bis Silvester habe der sichere und zuverlässige Leistungsbetrieb weiterhin absolute Priorität. „Gleichzeitig bereiten wir uns und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Rückbau von Block C vor und arbeiten am Rückbau von Block B weiter. Auch hier gelten höchste Anforderungen an Arbeits- und Gesundheitsschutz.“Nach dem gesetzlich vorgegebenen Abschaltdatum habe die Anlage dann „keine Berechtigung mehr zum Leistungsbetrieb“.
Darum, dass danach weiter genug Strom zur Verfügung steht, müssten sich nicht die Energieversorger, sondern die Bundesnetzagentur und die vier Übertragungsnetzbetreiber kümmern.
Einer davon ist Amprion mit Sitz in Dortmund, zuständig auch für unsere Region. In Rommerskirchen bei Köln betreibt das Unternehmen mit anderen Firmen ein Sicherheitszentrum, in dem unter anderem prognostiziert wird, wie viel Strom aus erneuerbaren Energien und konventionellen Kraftwerken am nächsten Tag eingespeist wird. Doch Ende des Jahres wird nicht nur das AKW in Gundremmingen abgeschaltet, auch in Grohnde und Brokdorf wird es so weit sein. Und
Ende 2022 dann für Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland. Das Atomzeitalter bei der Energieerzeugung in Deutschland endet, verlässliche Einspeiser fallen weg. Darauf hat man sich vorbereitet.
Dazu gehört beispielsweise die neue Hauptschaltleitung (HSL) in Brauweiler bei Köln. „Wir liefern damit das Betriebssystem für die Energiewende. Sie ist ein zentraler technischer Baustein für ein sicheres, klimaneutrales Energiesystem“, erklärt Amprion-ceo Hans-jürgen Brick beim Jahrespressegespräch. Rund 100 Millionen Euro seien bereits in die größte Netzleitwarte Europas investiert worden. Das Kernstück bilden zwei hochmoderne Rechenzentren und eine Großbildanzeige: Mit einer Fläche von 108 Quadratmetern sei sie die größte in Europa und die drittgrößte der Welt.
„Mit unserer neuen HSL können wir Sektoren wie Strom und Gas verbinden. Sie versetzt uns in die Lage, Power-to-gas-anlagen klimaneutral und systemdienlich zu integrieren und leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Aufbau eines Wasserstoffsystems.“Man sei damit darauf vorbereitet, nicht nur das Strom-, sondern das Energiesystem zu koordinieren.
Je mehr Strom aus Wind und Sonne abhängig vom Wetter erzeugt wird, desto komplexer würden die Abläufe im Übertragungsnetz, betont Hendrik Neumann, als Chief Technical Officer ebenfalls Mitglied der Geschäftsführung. Deshalb setze man hier künstliche Intelligenz ein, um die erneuerbaren Energien sicher und verlässlich in das System zu integrieren. Selbstlernende Algorithmen sollen dafür die Erzeugungsprognosen verschiedener Quellen auswerten und so für Windund Solarenergie eine Vorhersage entwickeln, die nur anderthalb bis drei Prozent von der realen Erzeugung abweiche.
Modernste Software kombiniert Lastflüsse im Stromnetz mit regionalen Leistungsbilanzen. So lasse sich auf den ersten Blick erkennen, ob in einer Region mehr oder weniger Strom erzeugt als verbraucht wird. Das erleichtere den drei Ingenieuren pro Schicht die Arbeit und lasse sie schnell Entscheidungen treffen. „Dies gewinnt umso mehr an Bedeutung, je stärker wir das Netz an seinen technischen Grenzen betreiben“, sagt Neumann.
Die nationalen Stromnetze in Europa seien durch den erhöhten Transportbedarf und Stromhandel immer stärker aufeinander angewiesen. Das eigene Übertragungsnetz sei eine Drehscheibe des europäischen Stromtransports und wichtig für den Energiebinnenmarkt, was sich weiter verstärken werde. Schon heute werde knapp die Hälfte des Stromhandels zwischen den Beneluxstaaten, Deutschland und Frankreich über das Amprion-netz abgewickelt.
Amprion habe in Brauweiler die Übertragungsnetze von Nordfrankreich bis Tschechien und von Dänemark bis Norditalien rund um die Uhr im Blick. Das sei das größte Beobachtungsgebiet in Europa. Man sei damit auch dafür verantwortlich, dass der Strom für mehr als 500 Millionen Menschen in Europa sicher fließe. „Wenn es im Stromnetz eines Nachbarlandes ein Problem gibt, kann das über die Grenzen der einzelnen Regelzonen hinaus spürbar sein. Im Falle einer Störung ist es unsere Aufgabe in Brauweiler, mit unseren europäischen Partnern die geeigneten Gegenmaßnahmen zu koordinieren“, erläutert Neumann.
Eine Störung gab es am 8. Januar dieses Jahres in Kroatien: Ein Problem in einer Umspannanlage löste fast einen Blackout in weiten Teilen Europas aus. Doch in nur einer Stunde habe man es geschafft, das Netz wieder zu stabilisieren und zu synchronisieren. Das Ziel sei es, nicht eingreifen zu müssen, sondern das Netz steuern zu können, was sehr komplex sei – schließlich werde es durch den Wegfall von Atom- und Kohlekraftwerken in Deutschland und zunehmend mehr grüne Energie fundamental umgebaut. Für den Notfall entstehen aber noch „Netzfeuerwehren“in Form von Reservegaskraftwerken. Eines dieser „besonderen netztechnischen Betriebsmittel“wird gerade in Leipheim auf dem ehemaligen Fliegerhorst gebaut. Denn kritische Situationen will man gar nicht erst herausfordern.
Die Stromübertragung wird komplizierter werden