70 Jahre Setra: Buswerk feiert sich selbst
Jubiläum Sieben Jahrzehnte nach der Gründung der Traditionsmarke in Ulm rollen am Montag sämtliche
Baureihen durch Neu-ulm. Im Buswerk geht es bei einer Festveranstaltung aber auch um die Zukunft
Neuulm Wenn das Kässbohrer-urgestein Werner Maier den S8 in Bewegung setzt, wird schnell klar, woher der Begriff Kraftfahrzeugführer stammt. Mit seiner ganzen Körperkraft muss der 80-Jährige den nur 13 Jahre jüngeren Bus zähmen. Lenken geht nur mit beiden Armen und das 5-Gang-schaltgetriebe treibt Maier noch mehr Schweißperlen auf die Stirn. Alles läuft mechanisch im Setra aus dem Jahr 1954. Hydraulische Unterstützung? Fehlanzeige. Und dennoch steht der alte S8 für die Innovationskraft eines Unternehmens, das bis heute über 2850 Menschen in Lohn und Brot hält.
Kurzarbeit und eine reduzierte Produktion nur in kurzen Blöcken – für das Jubiläum hätte sich Daimler, der Setra-mutterkonzern, sicherlich bessere Umstände gewünscht. Doch um Probleme soll es nicht gehen bei der mehrtägigen Presseveranstaltung „70 Jahre Setra – 25 Jahre Omniplus“. „Sie reden beim 70er ja auch nicht über ihre Arthrose“, sagt Daimler-pressesprecher Florian Laudan. Und vermittelt den Pressevertretern aus ganz Europa lieber viel Historie und Fahrten mit den alten Erfolgsmodellen.
Besonders beliebt sind die Ausflüge mit Werner Maier im ältesten fahrbereiten Bus auf dem Evobusgelände. Der Ur-setra S8 aus dem Jahr 1951 steht zwar auch da, hat aber keine Straßenzulassung. Als 15-Jähriger kam Maier zu Kässbohrer und begann eine Ausbildung zum Stahlbauer. Ende der 1980erjahre war die Karl Kässbohrer Fahrzeugwerke Gmbh mit rund 9000 Beschäftigten eine der größten Firmen in Deutschland. Maier kennt auch diese schwierige Zeit wie kaum ein anderer bei Evobus. Denn am Ende seiner Karriere, nachdem 1995 Daimler Kässbohrer aufkaufte und Evobus gründete, plante er noch den Umzug des Werks von Ulm nach Neu-ulm.
Setra fasziniert den Rentner noch heute und er freut sich immer wieder, wenn er hinter das Steuer eines Oldtimers sitzen darf. Viel Chrom, Holzvertäfelungen und der Panoramablick durch die Dachrandverglasung sorgen bei der kurzen Tour über Finningen und Reutti für Verzückungen unter den Busfans und Daumen-hoch-signalen bei Spaziergängern. „Der erste und einzige Bus mit serienmäßiger Blumenvase“, sagt Maier. Innovationen gab es im Kleinen wie im Großen. Die Blumenvase sieht zwar sofort jeder Laie, doch die eigentliche Innovation ist kaum sichtbar: Setra stellte vor 70 Jahren den ersten in Serie gefertigten Omnibus mit selbsttragender Karosserie, Heckmotor und direktem Antrieb auf die Hinterachse vor.
Mit Innovationen versucht Setra bis heute, immer ein Stückchen besser und moderner zu sein als die Wettbewerber. In den 20er-jahren des zweiten Jahrtausends geht es dabei zunehmend um allerlei digitale Themen, die letztlich der Sicherheit dienen. Wie Peter Schumacher, der Leiter Elektronik und Fahrwerk bei „Daimler Buses“, betont, sei Setra hier schon immer der Anführer bei Innovationen gewesen, die dann regelmäßig Jahre später zu gesetzlichen Vorschriften wurden. So geschehen etwa beim Antiblockiersystem ABS schon in den 1980er-jahren oder dem Stabilitätsprogramm ESP, das 2002 vorgestellt wurde und seit 2014 Pflicht ist.
Vorreiter sei Daimler auch bei der elektronischen Erkennung etwa von Radfahrern. Dieses „Blind Spot“-system werde 2024 zur Pflicht und ist bei Setra längst lieferbar. Ein auf Wunsch lieferbares Assistenzsystem könne als weltweit erster Notbremsassistent für Omnibusse eine automatisierte Vollbremsung auf sich bewegende Personen ausführen. Darüber hinaus könne „ABA 5“eine automatisierte Vollbremsung bis zum Stillstand auf stehende und bewegte Hindernisse ausführen.
15.000 Mark, also etwa 7500 Euro, kostete in den 1950ern ein Setra-reisebus. Heute kann ein neuer Setra schnell 500.000 Euro kosten. Nachdem der Reisebus zu einem immer komplizierter gewordenen Investitionsgut geworden ist, hat sich Setra längst auch das offensichtlich lukrative Servicegeschäft gesichert, dem nächsten Part der Jubiläumsveranstaltung. Denn vor genau 25 Jahren wurde in Neu-ulm die Dienstleistungsmarke Omniplus etabliert.
„Vom Polarkreis bis Sizilien“reiche das Netz einer „360-Grad-betreuung“der Setra-kunden, so Bernd Mack, der dafür zuständige
Daimler-mann. 220 Mitarbeiter betreuen in Neu-ulm allein das Evobus-ersatzteillager. 300.000 Teile sind gelistet, davon 130.000 vorrätig. Um die 7000 „Picks“, also Anfragen nach Teilen, würden jeden Tag gezählt. Was nicht vorrätig ist, kann auch aus dem 3-D-drucker kommen. In naher Zukunft soll der „Bauplan“gegen eine Lizenzgebühr per Internet an Drucker von Partner-firmen verschickt werden können. Der vernetzte Bus ist eh schon Realität: „Omniplus Uptime“überprüft fortlaufend den Status der Fahrzeugsysteme in Echtzeit. Deutet sich ein Fehler im Fahrzeug an, wird der Fahrer sowie Busunternehmer informiert.
Werner Maier fährt trotzdem lieber den roten S8 aus dem Jahr 1954. Der ist zwar weder vernetzt noch kann er auf Ersatzteile aus dem 3-D-drucker hoffen. Dafür habe er ein Feature an Bord, bei dem selbst der allerneuste Setra nicht mithalten kann: „Er bringt die Augen zum Leuchten.“
Internet Unter nuz.de/lokales gibt es im entsprechenden Artikel auch ein Video und eine Bildergalerie.