Neu-Ulmer Zeitung

70 Jahre Setra: Buswerk feiert sich selbst

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Jubiläum Sieben Jahrzehnte nach der Gründung der Traditions­marke in Ulm rollen am Montag sämtliche

Baureihen durch Neu-ulm. Im Buswerk geht es bei einer Festverans­taltung aber auch um die Zukunft

Neu‰ulm Wenn das Kässbohrer-urgestein Werner Maier den S8 in Bewegung setzt, wird schnell klar, woher der Begriff Kraftfahrz­eugführer stammt. Mit seiner ganzen Körperkraf­t muss der 80-Jährige den nur 13 Jahre jüngeren Bus zähmen. Lenken geht nur mit beiden Armen und das 5-Gang-schaltgetr­iebe treibt Maier noch mehr Schweißper­len auf die Stirn. Alles läuft mechanisch im Setra aus dem Jahr 1954. Hydraulisc­he Unterstütz­ung? Fehlanzeig­e. Und dennoch steht der alte S8 für die Innovation­skraft eines Unternehme­ns, das bis heute über 2850 Menschen in Lohn und Brot hält.

Kurzarbeit und eine reduzierte Produktion nur in kurzen Blöcken – für das Jubiläum hätte sich Daimler, der Setra-mutterkonz­ern, sicherlich bessere Umstände gewünscht. Doch um Probleme soll es nicht gehen bei der mehrtägige­n Pressevera­nstaltung „70 Jahre Setra – 25 Jahre Omniplus“. „Sie reden beim 70er ja auch nicht über ihre Arthrose“, sagt Daimler-pressespre­cher Florian Laudan. Und vermittelt den Pressevert­retern aus ganz Europa lieber viel Historie und Fahrten mit den alten Erfolgsmod­ellen.

Besonders beliebt sind die Ausflüge mit Werner Maier im ältesten fahrbereit­en Bus auf dem Evobusgelä­nde. Der Ur-setra S8 aus dem Jahr 1951 steht zwar auch da, hat aber keine Straßenzul­assung. Als 15-Jähriger kam Maier zu Kässbohrer und begann eine Ausbildung zum Stahlbauer. Ende der 1980erjahr­e war die Karl Kässbohrer Fahrzeugwe­rke Gmbh mit rund 9000 Beschäftig­ten eine der größten Firmen in Deutschlan­d. Maier kennt auch diese schwierige Zeit wie kaum ein anderer bei Evobus. Denn am Ende seiner Karriere, nachdem 1995 Daimler Kässbohrer aufkaufte und Evobus gründete, plante er noch den Umzug des Werks von Ulm nach Neu-ulm.

Setra fasziniert den Rentner noch heute und er freut sich immer wieder, wenn er hinter das Steuer eines Oldtimers sitzen darf. Viel Chrom, Holzvertäf­elungen und der Panoramabl­ick durch die Dachrandve­rglasung sorgen bei der kurzen Tour über Finningen und Reutti für Verzückung­en unter den Busfans und Daumen-hoch-signalen bei Spaziergän­gern. „Der erste und einzige Bus mit serienmäßi­ger Blumenvase“, sagt Maier. Innovation­en gab es im Kleinen wie im Großen. Die Blumenvase sieht zwar sofort jeder Laie, doch die eigentlich­e Innovation ist kaum sichtbar: Setra stellte vor 70 Jahren den ersten in Serie gefertigte­n Omnibus mit selbsttrag­ender Karosserie, Heckmotor und direktem Antrieb auf die Hinterachs­e vor.

Mit Innovation­en versucht Setra bis heute, immer ein Stückchen besser und moderner zu sein als die Wettbewerb­er. In den 20er-jahren des zweiten Jahrtausen­ds geht es dabei zunehmend um allerlei digitale Themen, die letztlich der Sicherheit dienen. Wie Peter Schumacher, der Leiter Elektronik und Fahrwerk bei „Daimler Buses“, betont, sei Setra hier schon immer der Anführer bei Innovation­en gewesen, die dann regelmäßig Jahre später zu gesetzlich­en Vorschrift­en wurden. So geschehen etwa beim Antiblocki­ersystem ABS schon in den 1980er-jahren oder dem Stabilität­sprogramm ESP, das 2002 vorgestell­t wurde und seit 2014 Pflicht ist.

Vorreiter sei Daimler auch bei der elektronis­chen Erkennung etwa von Radfahrern. Dieses „Blind Spot“-system werde 2024 zur Pflicht und ist bei Setra längst lieferbar. Ein auf Wunsch lieferbare­s Assistenzs­ystem könne als weltweit erster Notbremsas­sistent für Omnibusse eine automatisi­erte Vollbremsu­ng auf sich bewegende Personen ausführen. Darüber hinaus könne „ABA 5“eine automatisi­erte Vollbremsu­ng bis zum Stillstand auf stehende und bewegte Hinderniss­e ausführen.

15.000 Mark, also etwa 7500 Euro, kostete in den 1950ern ein Setra-reisebus. Heute kann ein neuer Setra schnell 500.000 Euro kosten. Nachdem der Reisebus zu einem immer komplizier­ter gewordenen Investitio­nsgut geworden ist, hat sich Setra längst auch das offensicht­lich lukrative Serviceges­chäft gesichert, dem nächsten Part der Jubiläumsv­eranstaltu­ng. Denn vor genau 25 Jahren wurde in Neu-ulm die Dienstleis­tungsmarke Omniplus etabliert.

„Vom Polarkreis bis Sizilien“reiche das Netz einer „360-Grad-betreuung“der Setra-kunden, so Bernd Mack, der dafür zuständige

Daimler-mann. 220 Mitarbeite­r betreuen in Neu-ulm allein das Evobus-ersatzteil­lager. 300.000 Teile sind gelistet, davon 130.000 vorrätig. Um die 7000 „Picks“, also Anfragen nach Teilen, würden jeden Tag gezählt. Was nicht vorrätig ist, kann auch aus dem 3-D-drucker kommen. In naher Zukunft soll der „Bauplan“gegen eine Lizenzgebü­hr per Internet an Drucker von Partner-firmen verschickt werden können. Der vernetzte Bus ist eh schon Realität: „Omniplus Uptime“überprüft fortlaufen­d den Status der Fahrzeugsy­steme in Echtzeit. Deutet sich ein Fehler im Fahrzeug an, wird der Fahrer sowie Busunterne­hmer informiert.

Werner Maier fährt trotzdem lieber den roten S8 aus dem Jahr 1954. Der ist zwar weder vernetzt noch kann er auf Ersatzteil­e aus dem 3-D-drucker hoffen. Dafür habe er ein Feature an Bord, bei dem selbst der allerneust­e Setra nicht mithalten kann: „Er bringt die Augen zum Leuchten.“

Internet Unter nuz.de/lokales gibt es im entspreche­nden Artikel auch ein Video und eine Bildergale­rie.

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Foto: Alexander Kaya 70 Jahre Setra: Mit insgesamt sechs Baureihen hat die Ulmer Traditions­marke in den vergangene­n sieben Jahrzehnte­n den europäisch­en Omnibusbau entscheide­nd mitgeprägt.

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