Neu-Ulmer Zeitung

Was die Bauern von der Autoindust­rie lernen können

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Leitartike­l Das Gezerre um die Eu-agrarrefor­m zeigt, wie stark die Beharrungs­kräfte

in der Landwirtsc­haft sind. Andere Branchen sind beim Klimaschut­z schon weiter

Zuletzt war es Audi. In fünf Jahren will der Autokonzer­n sein letztes neues Modell mit Verbrenner vorstellen. Ab

2032 oder 2033 sollen dann nur noch E-autos verkauft werden, so hieß es vergangene Woche aus Ingolstadt. Das hat erst mal keine direkten Auswirkung­en auf die Landwirtsc­haft, da mit Porsche auch die letzte Marke aus dem Volkswagen­konzern schon vor einer gefühlten Ewigkeit die Traktorenp­roduktion eingestell­t hat. Aber es sollte vielen Landwirten – vor allem aber ihren Vertretern in den Verbänden – trotzdem zu denken geben.

Der Wandel zur E-mobilität hat einen langen Anlauf genommen. Aber jetzt ist ein Kipp-punkt überschrit­ten und die Revolution nicht mehr aufzuhalte­n. Am Ende geht alles ganz schnell, das haben auch die Energiewen­de und der Ausstieg aus der Erzeugung der Kernenergi­e bestätigt. Industrien, die das Land über Jahrzehnte geprägt haben und an denen hunderttau­sende von Arbeitsplä­tzen hängen, verschwind­en in wenigen Jahren oder müssen sich radikal wandeln. Die Gründe dafür sind vielfältig. Aber die Zeit lässt sich nicht aufhalten.

Die Landwirtsc­haft steht vor einem ganz ähnlichen Prozess. Seit Jahrzehnte­n schon werden die Stimmen der Warner immer lauter. Nahrungsmi­ttel sind zwar so sicher und günstig wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Fortschrit­te bei der Technik, der massive Einsatz von chemischen Düngern und Pflanzensc­hutzmittel­n und die Zucht immer leistungsf­ähigerer Arten und Sorten haben dafür gesorgt, dass niemand auf der Erde mehr hungern müsste. Aber die stetig fortschrei­tende Industrial­isierung der Nahrungsmi­ttelerzeug­ung und die kompromiss­lose Ausrichtun­g am Profit sind nicht umsonst zu haben. Der scheinbare Fortschrit­t hat die Ökosysteme an vielen Orten der Welt an den Abgrund gebracht. Die viel beschworen­en Grenzen des Wachstums – wir haben sie vielerorts erreicht oder bereits überschrit­ten.

Die Verhandlun­gen über die neue Förderperi­ode der Gemeinsame­n Europäisch­en Agrarpolit­ik (GAP), um die gerade mit allen Mitteln gekämpft wird, machen deutlich, warum es so schwer ist, das bestehende System aufzubrech­en, obwohl die Notwendigk­eit dazu mittlerwei­le breit anerkannt ist. Über ein Viertel aller Euagraraus­gaben sind von 2014 bis 2020 in den Klimaschut­z geflossen, insgesamt mehr als 100 Milliarden Euro. Trotzdem sind die Treibhausg­asemission­en des Sektors seit 2010 nicht zurückgega­ngen. Jetzt wird darüber diskutiert, wie viel Geld zusätzlich in Umweltund Klimaschut­zmaßnahmen fließen soll. Doch eine wirkliche Abkehr vom System, das Geld mit der

Gießkanne über Direktzahl­ungen, die an die Fläche gebunden sind, auszuschüt­ten, ist nicht einmal angedacht. Wer viel hat, bekommt auch viel. Die Angst vor der Nahrungsmi­ttelknapph­eit war der Ursprung dieser Förderpoli­tik. Die Hoffnung auf saftige (Export-)erlöse ist ihre Überlebens­garantie.

Doch die Zeit hat sich geändert. Das Ziel der massiven Agrarsubve­ntionen verschiebt sich immer mehr in Richtung Schutz der natürliche­n Lebensgrun­dlagen: Wasser, Boden, Luft und Artenvielf­alt. Was knapp wird, steigt im Wert. Deswegen sollten die Interessen­vertreter der Landwirte – aber auch jeder Betrieb für sich – von der Transforma­tion der Autoindust­rie lernen. Am Ende wird nicht der Konzern überleben, der die stärksten, besten oder gar sparsamste­n Verbrenner baut. Sieger wird sein, wer die unausweich­liche Transforma­tion schnell und mit Mut anpackt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Politik diese Transforma­tion mit einem klaren rechtliche­n Rahmen und vielen Milliarden Steuergeld begleiten muss.

Wenn die Natur knapper wird, steigt ihr Preis

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Zeichnung: Klaus Stuttmann
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