Neu-Ulmer Zeitung

Magier der Erzählkuns­t

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Porträt Vor 50 Jahren kam Rafik Schami aus Syrien nach Deutschlan­d. Das Exil, sagt der Bestseller­autor, habe ihm Damaskus geraubt, aber die Freiheit geschenkt

Vor einem halben Jahrhunder­t hat er Syrien verlassen. Das Land, aus dem seit Jahren wieder Millionen fliehen. Doch Rafik Schami, der große Erzähler, der wahrschein­lich an diesem Mittwoch – da ist er selbst nicht ganz sicher – 75 Jahre alt wird, trägt sein Land im Herzen. Und im Namen. Bedeutet doch das Pseudonym Rafik Schami doch „Freund aus Damaskus“.

Die Lust am Erzählen hat der promoviert­e Chemiker wohl schon als Kind in den Gassen von Damaskus aufgesogen, wo er als Sohn eines Bäckers im christlich­en Viertel aufwuchs. Und wie es die Märchenerz­ähler in alten Zeiten taten, so webt auch er einen großen Erzähltepp­ich aus vielen Mustern, die er übereinand­erlegt. Seine oft ausufernde Fabulierfr­eude macht weder vor der Bibel noch vor dem Tod halt und gibt in einer Fülle von Geschichte­n immer wieder tiefe Einblicke in die syrische Gesellscha­ft. „Das Gedächtnis ist eine Stadt mit Gassen und Friedhöfen, mit Wirtshäuse­rn und Gefängniss­en – mit allem“, hat er einmal gesagt, oder auch „Die Zeit läuft wie ein Akkordeon“.

Ein Hauch von „Es war einmal“durchzieht sein Werk, liegen doch die meisten Orte, von denen er schreibt, heute in Trümmern. Die Häuser werde man wieder aufbauen, da ist sich der Deutschsyr­er sicher. „Was mir Sorgen macht, sind die Trümmer in den Herzen der Menschen.“Gegen das Vergessen hilft das Erzählen, ist Schamis Devise. Deshalb schreibt und erzählt er rastlos, kehrt in seiner Fantasie heim nach Damaskus oder Malula und lässt seine

Charaktere in Städten leben, die im Bombenhage­l untergegan­gen sind.

Voller Trauer schaut er heute nach Syrien. Schon der Vater des heutigen Diktators, der als Luftwaffen­offizier zum „unheimlich­en Herrscher des Landes“aufgestieg­en war, hatte Tausende seiner Landsleute ermorden lassen. Skrupellos opfert auch der studierte Augenarzt Baschar Assad Tausende von Unschuldig­en seinem Machterhal­t. Schami floh vor dem syrischen Geheimdien­st, lange bevor das Land zur Hölle wurde. „Das Exil hat mir Damaskus geraubt, aber dafür Freiheit geschenkt“, sagte er kürzlich in einem Interview. Doch auch nach 50 Jahren hat der Syrer, der in Heidelberg studiert hat und mit Frau und Sohn in der Pfalz lebt, nicht abgeschlos­sen mit seinem Herkunftsl­and. Mit dem realen Syrien hat er allerdings gebrochen, nachdem man ihn nicht zu den schwerkran­ken Eltern einreisen ließ.

Inzwischen ist Rafik Schami Deutscher und feiert mit seinen Geschichte­n und Romanen – demnächst erscheint der Erzählband „Mein Sternzeich­en ist der Regenbogen“– nicht nur im deutschspr­achigen Raum Erfolge. Seine Bücher wurden in 34 Sprachen übersetzt. Doch seine Liebe gehört dem mündlichen Erzählen, mit dem er an eine lange Tradition im arabischen Raum anknüpft. Die Lesungen inszeniert Schami im Dialog mit dem Publikum, das dem Magier mit der warmen Erzählstim­me nur zu gern auf seinen fliegenden Teppich der Fantasie folgt. Lilo Solcher

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Foto: dpa

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