Neu-Ulmer Zeitung

Die Brexit‰euphorie ist längst verflogen

- VON KATRIN PRIBYL

Großbritan­nien Fünf Jahre sind seit dem Eu-referendum im Vereinigte­n Königreich vergangen. Doch noch immer fehlt es an einer ehrlichen öffentlich­en Debatte über die Folgen des Austritts

London Gerade erst schrieb die britische Regierung eine Stelle für einen externen Berater aus, dessen Aufgabe darin bestehen soll, jene neuen Chancen ausfindig zu machen, die der Brexit geschaffen hat. Kritiker spotteten sofort, dass es sich dabei angesichts mangelnder Vorzüge um einen äußerst undankbare­n, wenn nicht unmögliche­n Job handele.

„Wir haben große Hoffnungen, einen Beitrag von außen für diesen Prozess zu bekommen“, sagte dagegen David Frost, seines Zeichens Brexit-minister und Boris Johnsons Mann fürs Grobe. Details zum Euaustritt werden auf der Insel auch exakt fünf Jahre nach dem Referendum, das eine knappe Mehrheit für den Brexit brachte, gerne ignoriert – wie dieser Tage im Grunde das gesamte Thema. Der Brexit sei „ausgelutsc­ht wie eine Zitrone“, monierte vor einigen Tagen Premiermin­ister Boris Johnson. Das mögen die Unabhängig­keitsbefür­worter in Schottland oder die rebelliere­nden Unionisten in Nordirland anders sehen, genauso wie die beunruhigt­en Bauern auf der Insel, die Fischer sowie Importeure und Exporteure.

Eine Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Yougov ergab zudem, dass nur ein Viertel der Bevölkerun­g denkt, dass der Brexit eine Erfolgsges­chichte ist. Tatsächlic­h funktionie­rt die Transforma­tion von einem Eu-mitgliedst­aat zu „Global Britain“nicht nach Wunsch? Es laufe „nicht gut, da wir die Kontrolle zurückgewi­nnen sollten, und das haben wir nicht wirklich“, sagt der Handelsexp­erte und ehemalige Regierungs­berater David Henig.

Stattdesse­n dauern die Streiterei­en zwischen London und Brüssel etwa um Regulierun­gen und das Nordirland-protokoll an. Mit dem im Brexit-abkommen vereinbart­en Zusatz hatte man eine Lösung gefunden, um sichtbare Kontrollen an der Grenze zwischen der Republik

Irland und der zum Königreich gehörenden Provinz Nordirland zu verhindern. Die Zollgrenze wurde in die Irische See verlegt. Plötzlich aber protestier­t die britische Regierung und verlangt Änderungen.

Erst jetzt scheint in London anzukommen, dass bei der Lieferung von Fleischpro­dukten wie Würstchen, Hackfleisc­h oder Hühnerschl­egeln von Großbritan­nien in die Provinz ab Juli, wenn die Übergangsp­hase ausläuft, Kontrollen drohen. Aber Nordirland sei laut Henig nur ein Teil des Problems. „Das größte ist, dass 50 Prozent unseres Handels mit Europa abwickelt wird und das wird wahrschein­lich immer so bleiben. Wir sind zu nah, als dass wir wegrennen könnten oder völlig frei wären.“Eine spürbare Folge des Brexit ist der Rückgang an Investitio­nen und der Mangel an Arbeitern, die in den vergangene­n Jahren oft aus Osteuropa einwandert­en und seit dem Ende der Personenfr­eizügigkei­t nach Polen, Rumänien oder Bulgarien zurückgeke­hrt sind. Es fehlen Arbeitskrä­fte im Bauwesen, Lkw-fahrer, Schwestern und Pfleger sowie Servicekrä­fte in der Gastronomi­e.

Dennoch würden 82 Prozent der Briten nach einer Studie wieder so wählen wie am 23. Juni 2016, mit dem Ergebnis: 52 Prozent befürworte­n den Zustand außerhalb der Staatengem­einschaft. 48 Prozent würden lieber wieder zur EU gehören.

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Foto: Kappeler, dpa „Wählt heute den Austritt“, appelliert­e eine Zeitung am 23. Juni 2016, am Tag des Referendum­s.

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