Neu-Ulmer Zeitung

Die Parteien buhlen um die Industrie

- VON CHRISTIAN GRIMM UND SEBASTIAN KOHLER

Tagung Die Spitzenkan­didaten bekennen sich auf dem Branchentr­effen zu einer starken Wirtschaft, die der Klimaschut­z nicht schwächen dürfe. Einer der vier ist der Liebling der Bosse

Berlin Die Kanzlerkan­didatin der Grünen kommt in Rot zu den Bossen der deutschen Industrie. In der Welt der blauen und schwarzen Anzüge ist das ein Ausrufezei­chen. „Achtung, hier komm ich“, sagt Annalena Baerbock damit. Nach ihrem Traumstart in das Rennen um die Macht war die 40-Jährige zuletzt ins Straucheln geraten. Verspätet gemeldete Einkünfte und falsche Angaben im Lebenslauf haben Baerbock angreifbar gemacht, in den Umfragen fällt sie ab.

Früher war ein Auftritt auf dem Tag der deutschen Industrie für Grünen-politiker wie ein Besuch auf dem Mond. Zwischen ihrem Weltbild und dem der Manager aus den Vorstandse­tagen taten sich Welten auf. Das hat sich gründlich gewandelt. Ex-siemens-chef Joe Kaeser hat Baerbock öffentlich geadelt, indem er sich öffentlich für sie als Kanzlerin aussprach. Doch Kaeser ist die Ausnahme, die Elite der deutschen Wirtschaft hat immer noch Vorbehalte gegen die Öko-partei. Die Gründe dafür sind bekannt: Die Grünen wollen die Vermögenst­euer wiederbele­ben, die auch Unternehme­n träfe. Und sie sind bereit, den Klimaschut­z über alles zu stellen und notfalls den Ausstoß an Klimagas per Abschaltda­tum für Fabriken, Kraftwerke und Verbrenner­motoren zu beschließe­n.

Baerbock entscheide­t sich an diesem Dienstag gut 100 Tage vor der Wahl, auf Deeskalati­on zu setzen und der Industrie die Hand zu reichen. „Wir werden es nur gemeinsam schaffen können“, sagte sie in den tiefen Raum der Konzerthal­le, die der Bundesverb­and der Industrie (BDI) gemietet hat. Im Betrieb der Hauptstadt ist es eine der ersten politische­n Großverans­taltungen, bei der Leute wieder von Angesicht zu Angesicht zueinander­kommen. Baerbocks Grundidee hinter ihrem Angebot an die Unternehme­n ist, dass sie Ausgleichs­zahlungen für ihre Anstrengun­gen zum Klimaschut­z bekommen sollen, um nicht von Wettbewerb­ern aus dem Ausland verdrängt zu werden. Die grüne Kandidatin bekommt für ihr An

freundlich­en Applaus, mehr nicht. Einige Verspreche­r verraten, wie stark sie unter Druck steht. Die versammelt­en Vorstände reagieren auch deshalb reserviert, weil sie wissen, wie stark die Grünen von Organisati­onen wie Fridays for Future und Umweltschu­tzverbände­n unter Zugzwang gesetzt werden, wenn sie aus deren Sicht zu stark vor den Unternehme­n kuschen. Zu besichtige­n ist das am mühsam errungenen Kompromiss über die Abschaltun­g der Kohlekraft­werke, der von Grünen und Klimaschüt­zern aufgekündi­gt wurde.

Der Mann, der zu dem Kompromiss steht, heißt Armin Laschet und ist Kanzlerkan­didat von CDU und CSU. „Meine Vorstellun­g ist, dass wir noch in 20 Jahren eine Stahlindus­trie haben, noch eine chemische Industrie haben“, macht der Rheinlände­r in seiner Rede deutlich. Der 60-Jährige kommt aus Nordrheinw­estfalen – und obwohl im Ruhrgegebo­t biet der Rauch aus den Schloten nicht mehr den Himmel verstaubt, ist NRW noch immer ein riesiges Industrieg­ebiet.

Laschet verweist genüsslich auf seine Entfesselu­ngspakete, die er zu Hause für die Unternehme­n geschnürt hat. Sprachlich ist das ein Widerspruc­h, aber in der Halle wird es trotzdem verstanden. Er beklagt eine Politik, die „immer neue Vorgaben, immer mehr Verbote“macht. Es ist Laschets Warnung vor den Grünen, die aber die Tatsache übergeht, dass die Union mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) seit 16 Jahren genau für diese Verbote verantwort­lich ist.

SPD-MANN Olaf Scholz nutzt das Schaulaufe­n der Kanzlerkan­didaten, um auf Attacke zu schalten. Er geht Wirtschaft­sminister Peter Altmaier stellvertr­etend für die CDU frontal an und wirft ihm eine „Stromlüge“vor. Altmaiers Planungen für die Energiewen­de stimmten weder für den Ausbau der Stromerzeu­gung noch für die Stromtrass­en. Und alles gehe viel zu langsam. „Lasst uns gemeinsam die Ärmel aufkrempel­n. Es ist höchste Zeit“, erklärt Scholz.

Und dann ist da noch FDP-CHEF Christian Lindner. Er ist ein stets gern gesehener Gast auf dem Tag der Industrie. Lindner bleibt bei seiner Linie. Die Wirtschaft müsse ins Zentrum gerückt werden und Klimaschut­z sei ohne starke Firmen nicht finanzierb­ar. Lindner und Laschet trennt nicht viel. Am Freitag wollen sie vier Jahre schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf feiern. Laschet ist Koch, Lindner der Kellner.

Und die Industrie selbst? Dringend notwendige Richtungse­ntscheidun­gen seien bisher ausgeblieb­en, kritisiert­e der Präsident des BDI, Siegfried Russwurm. Der Staat aber müsse schneller werden, forderte Russwurm. Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n dauerten oft viele Jahre. In der öffentlich­en Verwaltung gebe es „haarsträub­ende“Defizite bei der Digitalisi­erung. Bei den öffentlich­en Investitio­nen sei Deutschlan­d unter den Schlusslic­htern in Europa. Der Chef des Industrieu­nd Autozulief­erers Schaeffler, Klaus Rosenfeld, sagt, im Ziel sei man sich einig: „Wichtig ist, dass wir jetzt vorankomme­n.“

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Will die Ärmel hochkrempe­ln: Der Kan‰ didat der SPD, Olaf Scholz.
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Verspricht auch künftig eine starke In‰ dustrie: Armin Laschet, CDU.
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Fotos: Bernd von Jutrczenka/dpa Gern gesehener Redner: Christian Lind‰ ner, FDP.
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Muss um Vertrauen kämpfen: Die Grüne Annalena Baerbock.

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