Enttäuschte Hoffnungen
Finanzhilfen Die Eu-kommissionspräsidentin kommt nach Berlin, um das Geld aus dem historischen Aufbaufonds zu übergeben. Doch statt Begeisterung herrscht Ernüchterung
Brüssel Von einem großen Tag für Deutschland wollte weder in Brüssel noch in Berlin jemand sprechen. Dabei hatte sich die Präsidentin der Eu-kommission, Ursula von der Leyen, am Dienstag persönlich in die Bundeshauptstadt begeben, um die gute Nachricht zu überbringen: Der nationale Plan zur Verwendung der Mittel aus dem europäischen Corona-aufbaufonds wurde gebilligt – eine Zusage, die 25,6 Milliarden Euro wert ist. Auf zusätzliche Kredite verzichtet der Bundesfinanzminister. Es handelt sich um Geld, das nicht wieder zurückgezahlt werden muss. „Dieses Konjunkturprogramm wird Deutschland helfen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen“, bemühte sich Kommissionsvize Valdis Dombrovskis um etwas Aufmunterung. Denn in Brüssel sehen Kritiker quer durch alle Parteien den Plan als eine vertane Chance.
Die 27 Mitgliedstaaten hatten den Aufbaufonds mit einem Gesamtvolumen von 750 Milliarden Euro beschlossen. Legt man die aktuellen Preise zugrunde, dürften sogar über 800 Milliarden Euro zusammenkommen. 312,5 Milliarden werden als Zuwendungen ausgeschüttet, 360 Milliarden als Kredite vergeben. Vor allem die Länder im Süden der Union hatten daraufhin nationale Pläne aufgestellt, die auch weitreichende innenpolitische Reformen beinhalten – dies war eines von elf
Kriterien, die die Kommission bei der Prüfung anlegte. Der erste Entwurf aus Berlin fiel deshalb in Brüssel zunächst in Ungnade, weil die Bundesregierung kaum Reformen vorgesehen hatte. Dann wurde nachgebessert, bis es reichte.
Das Ergebnis liest sich vielversprechend, obwohl die Inhalte weder neu noch originell sind. Vieles davon war schon in den Programmen der Bundesregierung enthalten. 42 Prozent der Gelder will die Große Koalition für den Übergang zur Klimaneutralität investieren, 52 Prozent in den digitalen Wandel. Vor allem die Pläne, erneuerbaren Wasserstoff nutzbar zu machen, stießen in Brüssel auf Unterstützung. 2,5 Milliarden sind für die Subventionierung von 800 000 Elektroautos vorgesehen, 2,5 Milliarden für die energetische Renovierung von Häusern. Mit 1,5 Milliarden Euro soll die Mikroelektronik gefördert werden, 750 Millionen wird es für eine moderne Cloud-infrastruktur geben. Mit drei Milliarden möchte Berlin die Verwaltung digitalisieren. 500 Millionen Euro fließen in zusätzliche Kinderbetreuungsplätze, drei Milliarden Euro bekommen die Krankenhäuser. Es gibt Projekte zur Förderung von Schülerinnen und Schülern, die in der Pandemie zurückgeblieben sind, und Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr. Dazu ein
Reförmchen der Sozialversicherung: Die Rentenversicherung soll künftig eine digitale Rentenübersicht anbieten können.
„Bundesfinanzminister Olaf Scholz muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er beim deutschen Plan auf echte Reformen verzichtet hat“, sagt der Csu-europapolitiker Markus Ferber. Der haushaltspolitische Sprecher der FDP im Europaparlament, Moritz Körner, erklärte, Italien, dessen Aufbauplan über 191 Milliarden Euro (68,9 Milliarden an Zuwendungen plus 122,6 Milliarden Darlehen) ebenfalls gebilligt wurde, habe „dreimal so viele Reformvorhaben wie die Bundesregierung ausgearbeitet“.
Parteikollegen auf die Rolle der Wirtschaftsprüfer, die insbesondere vom Unternehmen EY kamen, sei „kein politisches Kalkül“gewesen, sondern entspringe der Überzeugung, dass hier der Kern des Skandals liege. „Den Bilanzbetrug hätte EY feststellen können und müssen“, unterstreicht Kiziltepe. Dass die Prüfer die Bilanzen von Wirecard jahrelang absegneten, habe das Vertrauen in das Unternehmen bestärkt. Die Grünen-obfrau Lisa Paus vermisst bei den Prüfern von EY „die kritische Grundhaltung“.
Einigkeit über Parteigrenzen hinweg gibt es beim sogenannten Leerverkaufsverbot, das die Bafin im Februar 2019 ausgesprochen hatte. Damit verbot sie Spekulationen auf fallende Wirecard-kurse. Der Bafin wird deshalb vorgeworfen, bei Aktionären den falschen Eindruck erweckt zu haben, bei Wirecard sei alles in Ordnung gewesen, obwohl es bereits Berichte über Unregelmäßigkeiten gegeben hatte. „Das Leerverkaufsverbot war ein Fehler“, räumt der Spd-obmann im Ausschuss, Jens Zimmermann, ein – zumindest rückblickend sei das klar.
Der Fdp-obmann im Ausschuss, Florian Toncar, resümiert: „Es ist, glaube ich, ein großes Ärgernis für viele Bürger, dass am Ende bei solchen Skandalen es niemanden gibt, der sich auch hinstellt und eigene Fehler einräumt.“Der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk von der AFD fordert den Rücktritt von Scholz und beklagt „die Pattexhaftkraft“mancher Politiker, die an ihrem Stuhl klebten.
Konsequenzen hatte die Affäre. So bekommt die Bafin zusätzliche Befugnisse, und Vorschriften für Abschlussprüfer werden verschärft.
Martina Herzog, dpa