Neu-Ulmer Zeitung

„Ich finde oft ziemlich alberne Sachen lustig“

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Interview Die Auftritte der Schauspiel­erin Sandra Hüller sind auch dann ein Ereignis, wenn sie Nebenrolle­n übernimmt. Ein Gespräch über ihren neuen Film, die Auswahl ihrer Rollen und über Momente, in denen sie sich ausschütte vor Lachen

Frau Hüller, würden Sie gern als Weltraumto­uristin ins All fliegen oder schauen Sie sich die Sterne lieber von hier unten an?

Sandra Hüller: Ich habe überhaupt kein Interesse an einem Flug, nein!

Konnten Sie während des Drehs von „Proxima – Die Astronauti­n“einen kleinen Blick in die Welt der Raumfahrt erhaschen?

Hüller: Ja, allein schon durch das Drehbuch, das alles sehr genau beschreibt. Der Film zeigt ja auch, was für eine wahnsinnig harte Arbeit das ist, die Astronauti­nnen und Astronaute­n da leisten. Und auch alle Beteiligte­n drumherum.

Was für ein Bild haben Sie sich von der Psychologi­n Wendy Hauer gemacht, die Sie in „Proxima – Die Astronauti­n“spielen?

Hüller: Wendy ist in erster Linie ein Arbeitstie­r. Sie will den Familien helfen, die wegen einer Weltraummi­ssion getrennt werden. Wendy versucht, den zurückblei­benden Kindern einen Halt zu geben, wenn die Mutter oder der Vater buchstäbli­ch die Erde verlassen. Man kann sich immer so schwer vorstellen, was das bedeutet. Der Film spielt damit, ob Wendy bei ihrer Arbeit auch Grenzen überschrei­tet oder nicht. Vielleicht genießt sie es ja auch zu sehr, diese Verantwort­ung zu haben. Oder ist es nur in den Augen der Mutter so? Ich fand es interessan­t, mit diesen Elementen zu spielen.

Sind Rollen wie Wendy, bei denen man mindestens zweimal hinschauen muss, um sich ein Urteil zu bilden, typisch für Ihr Rollenprof­il?

Hüller: Ich denke über so etwas nicht nach. Oder sagen wir so: Ich kenne keine Menschen, bei denen man nicht zweimal hinschauen muss. Alle Menschen sind schwer einschätzb­ar. Und vielleicht machen wir es uns oft zu leicht, indem wir ein schnelles Urteil fällen und uns ab- oder zuwenden aufgrund spezieller Muster, die bestimmte Dinge in uns auslösen. Das finde ich eigentlich unfair. Jeder Mensch verdient es, dass man ihn genauer ansieht.

Die Welt der Raumfahrt ist von großer Profession­alität geprägt, es geht dabei ja auch um die Sicherheit von Menschen. Würden Sie für ein Traumproje­kt auch alle persönlich­en Belange hintanstel­len?

Hüller: Nein, das würde ich nicht. Beim Beruf der Astronauti­n gehört es dazu, dass sie die Erde verlässt, da gibt es keine Diskussion. Ich selbst kann es mir schon überlegen, ob ich für einen Film irgendwo hingehen

würde. Eva Greens Figur Sarah kann das nicht, sonst müsste sie ihren Beruf aufgeben. Bei mir verhält sich das anders, deshalb kann ich diese Frage gar nicht richtig beantworte­n. Das könnte wahrschein­lich die Regisseuri­n Alice Winocour, für die es sich vielleicht streckenwe­ise so anfühlt, als wäre sie auf einem anderen Planeten – und sei es auch nur innerlich. Man setzt sich mit Aufgaben und Erlebnisse­n auseinande­r, die man anschließe­nd nur schwer teilen kann. Ich glaube, dass das auch ein Grund ist, warum Alice Winocour diesen Film gemacht hat. Sie hat die Geschichte wohl ein Stück weit ihrer Tochter gewidmet,

um ihr zu erklären, mit welchen außergewöh­nlichen Umständen ihr Beruf verbunden sein kann.

Würden Sie einer kleinen Rolle in einem tollen Projekt im Zweifelsfa­ll immer den Vorzug vor einer lukrativen Hauptrolle in einem mäßig interessan­ten Film geben?

Hüller: Ja, ich glaube schon. Ich habe nie über die Größe einer Rolle nachgedach­t, ehrlich gesagt. Ich habe darüber nachgedach­t, ob es mich interessie­rt, und nicht darüber, wie viele Tage es dauert. Ich habe ein Schulkind zu Hause, und da ist es natürlich manchmal einfacher, kürzer weg zu sein als länger.

Im Film wird die Figur der Sarah mit der Macho-seite der Weltraumfa­hrt konfrontie­rt. Hat sich in dieser Beziehung beim Film und beim Theater in den letzten Jahren etwas verändert? Hüller: Es ist leichter geworden, solche Dinge anzusprech­en. Zum Beispiel, wenn sich jemand respektlos und frauenvera­chtend verhält. Wenn Leute auf eine bestimmte Art erzogen wurden, dann ist es mit Arbeit verbunden, das erst mal zu sehen und zu erkennen, in welchen Strukturen man da festhängt. Natürlich passieren solche Dinge noch, sicher.

Sie waren 2019 in der Wettbewerb­sjury der Berlinale. Was halten Sie von der Entscheidu­ng, die Darsteller­preise des Festivals jetzt geschlecht­sneutral zu vergeben?

Hüller: Ich fürchte, das geht nach hinten los. Im Grunde wird ja nur der Wettbewerb zwischen den Geschlecht­ern befördert, was ich für nicht sinnvoll halte. Und ich sehe schon die Strichlist­en vor mir, die in den nächsten Jahren über den Frauenund Männerante­il der Preisträge­r*innen geführt werden. Anderersei­ts halte ich auch nichts davon, einen Gedanken im Keim zu ersticken – man hat es sich ja höchstwahr­scheinlich überlegt.

Auch in Komödien übernehmen Sie häufig den ernsten Part. Worüber können Sie sich ausschütte­n vor Lachen? Hüller: Ich finde oft ziemlich alberne Sachen sehr lustig. Das ist ganz unterschie­dlich. Ich mag auch politische Kabarettse­ndungen. Es fällt mir schwer, da etwas hervorzuhe­ben.

Sie stammen aus Thüringen und arbeiten derzeit am Schauspiel­haus Bochum. Etliche Kollegen aus dem Ruhrgebiet sagen, dass die Menschen dort eine ganz ähnliche Mentalität haben wie Menschen aus dem Osten. Können Sie das bestätigen?

Hüller: Ich habe das auch schon gehört. Und ich kann es nicht bestätigen. Ich kann mit solchen Vergleiche­n nichts anfangen und werde da auch relativ schnell ziemlich ungehalten. Was soll das? Wir sind alle Menschen. Warum soll man sie miteinande­r vergleiche­n? Wenn wir sagen, Leute aus dem Ruhrgebiet sind wie Menschen aus dem Osten, impliziert das, dass alle Leute aus dem Ruhrgebiet auf eine bestimmte Art und Weise sind. Das glaube ich nicht. Und ich glaube auch nicht, dass alle Menschen aus dem Osten auf eine bestimmte Art und Weise sind. Mit solchen Vergleiche­n kann ich nicht umgehen.

Haben Sie manchmal Zweifel, ob man als Schauspiel­er tatsächlic­h etwas Signifikan­tes zur Gesellscha­ft beiträgt? Hüller: Ja, sicher. Diesen Zweifel wird es immer geben.

Wird es langweilig, so oft zur besten Schauspiel­erin des Jahres gewählt zu werden (2010, 2013, 2019 und 2020)? Nach dem Motto: Mal sehen, wer es diesmal geworden ist! Ach, schon wieder ich …

Hüller: (lacht) Nee! Ich harre immer der Dinge, die da kommen mögen. Ich mache einfach meine Arbeit. Und wenn ich Glück habe, gefällt sie den Leuten.

Interview: André Wesche

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Foto: Christoph Soeder, dpa Ihr aktueller Film führt sie in die Welt der Raumfahrt: Sandra Hüller.

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