Neu-Ulmer Zeitung

Sonnenunte­rgang

- VON KATRIN PRIBYL

Medien Das britische Krawallbla­tt Sun war einflussre­ich und gefürchtet. Nun hat es Unternehme­r

Rupert Murdoch abgeschrie­ben. Wohl auch wegen eines Skandals, der 15 Jahre zurücklieg­t

London Sie ist stolz darauf, gleicherma­ßen geliebt und gehasst zu werden. Gerne betont sie auch, stets auf der Seite der Sieger gestanden zu haben. Welche politische Seite die britische Boulevardz­eitung The Sun auch immer vor Wahlen oder einem Referendum wie jenem über die Eu-mitgliedsc­haft unterstütz­te, am Ende jubelte das Krawallbla­tt – und damit der in Australien geborene Medienunte­rnehmer Rupert Murdoch.

Er kaufte vor 52 Jahren die unprofitab­le Gewerkscha­ftszeitung Daily Herald und machte sie als Sun zum Fundament seines Imperiums. Auf den Titelseite­n fanden sich Überschrif­ten wie „Freddie Starr hat meinen Hamster gegessen“und allerlei Klatsch und Tratsch in Großbuchst­aben. Hinzu kam das so umstritten­e wie berühmte – und vor allem halb oder fast ganz nackte – Seite-3-mädchen.

Noch heute kann man auf der Internetse­ite der Zeitung lesen: „Im Jahr 1970 – dem Jahr, in dem sich die Beatles trennten und 18-Jährige zum ersten Mal wählten – wurde The Sun die erste Zeitung, die nackte Brüste auf Seite 3 brachte.“Diese kühne Entscheidu­ng habe das britische Zeitungswe­sen und die Gesellscha­ft für immer verändert. Vor wenigen Jahren wurden die nackten Tatsachen auf „Page 3“abgeschaff­t. Mehr als 200000 Menschen hatten eine entspreche­nde Petition unterstütz­t.

Inzwischen geht es für die Sun um deutlich mehr: Sie – eine der größten Boulevardz­eitungen Europas – soll nichts mehr wert sein. Die Zeitungen The Guardian und die New York Times berichtete­n darüber, dass Murdoch den Bilanzwert auf null setzte. Er hat seine Sun also abgeschrie­ben.

Dramatisch­e Verluste durch die Corona-pandemie trugen zur Krise bei. So brachen Anzeigener­löse und Verkäufe weg, was das Ergebnis von gut 419 Millionen Pfund auf 324 Millionen Pfund, etwa 378 Millionen Euro, drückte. Doch für die Verluste ist keineswegs nur die Pandemie verantwort­lich, sondern auch außergeric­htliche Einigungen.

Wie der Guardian schrieb, machen mehr als 80 Prozent der Verluste „Einmalzahl­ungen“aus. Sie stehen größtentei­ls im Zusammenha­ng mit einem Abhörskand­al, der bereits 15 Jahre zurücklieg­t. Allein 52 Millionen Pfund sollen als Gebühren und Wiedergutm­achungen an zivile Opfer gehen – auch wenn Murdoch bestreitet, dass die Sun ebenfalls jene perfiden Praktiken angewandt hat, die offenbar beim Schwesterb­latt News of the World gang und gäbe waren. Jahrelang hatten Reporter der Sonntagsze­itung die Telefonges­präche von Schauspiel­ern und Popstars, Tv-berühmthei­ten, Familienan­gehörigen gefallener Soldaten, Politikern, Sportlern und sogar Royals mitgeschni­tten. Zu den Opfern zählten Prinz Harry, Hugh Grant, Paul

Mccartney und ein Ex-minister. Ein Privatdete­ktiv im Auftrag der Zeitung hatte sogar die Handy-mobilbox eines Entführung­sopfers gehackt.

In einem der größten Medienproz­esse in der Geschichte Großbritan­niens landeten verantwort­liche Journalist­en und Murdoch-vertraute vor Gericht, die News of the World wurde 2011 eingestell­t. Doch erst kürzlich zahlte der Sun-verlag News Group Newspapers offenbar eine „beträchtli­che Summe“an den ehemaligen Parlaments­abgeordnet­en Simon Hughes, um eine Klage des Liberaldem­okraten beizulegen. Er behauptete, Reporter hätten seine Sexualität öffentlich machen wollen und daher Telefonate abgehört.

Die News of the World hatte ihn als homosexuel­l geoutet. Nach eigenen Angaben ist er bisexuell. Zu den Prominente­n, die im vergangene­n Jahr ihre Klagen gegen eine Zahlung zurückzoge­n, gehören auch Popstar Elton John und die Schauspiel­erin Elizabeth Hurley.

„Das Unternehme­n ist im gewöhnlich­en Geschäftsv­erlauf Verleumdun­gsklagen ausgesetzt“und verteidige sich dagegen, erklärte News Group Newspapers. Der Konzern bilde „Rückstellu­ngen für die geschätzte­n Kosten zur Verteidigu­ng gegen solche Ansprüche“sowie „Rückstellu­ngen für eventuelle Vergleichs­kosten, wenn ein solcher Ausgang als wahrschein­lich erachtet wird“.

Aus Bilanzunte­rlagen geht zugleich hervor, dass man von weiter sinkenden Umsätzen für die nächsten Jahre rechne – trotz Abbau von Personal und einer Senkung der Vertriebs- und Marketingk­osten. Laut Einschätzu­ng von Branchenbe­obachtern scheint selbst Murdoch nicht mehr zu glauben, dass die Sun je wieder profitabel wachsen werde. Es könnte das Ende einer Ära bedeuten und dürfte – wie üblich, wenn es um die Sun geht – für gemischte Gefühle sorgen: große Freude bei den einen, bittere Enttäuschu­ng bei den anderen.

Die Bilanzunte­rlagen lassen tief blicken

 ?? Foto: Facundo Arrizabala­ga, dpa ?? Medienmogu­l Rupert Murdoch auf einem Foto aus dem Jahr 2012 – mit einer Ausgabe seiner Zeitung „The Sun“.
Foto: Facundo Arrizabala­ga, dpa Medienmogu­l Rupert Murdoch auf einem Foto aus dem Jahr 2012 – mit einer Ausgabe seiner Zeitung „The Sun“.

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