Ein Kindheitstraum wird wahr
Radsport Der 23-jährige Georg Zimmermann aus Neusäß bei Augsburg wird Dritter bei der
deutschen Meisterschaft und löst damit erstmals das Ticket zur Tour de France
Augsburg Immer wenn Georg Zimmermann beim Reparieren seiner Rennräder zu Hause im Neusässer Stadtteil Hainhofen (Lkr. Augsburg) nicht mehr weiter kommt, dann fährt der Radprofi, der beim belgischen Worldtour-team Intermarchè-wanty-gobert unter Vertrag steht, nach Augsburg. In die Bäckergasse, zum Radsportladen von Willi Singer. Der ist jetzt 72 und hat das erlebt, von dem Zimmermann träumt, seit er mit 13 mit dem Rennradfahren begonnen hat. Willi Singer bestritt 1977 die Tour de France. In einem Bilderrahmen an der Wand der Werkstatt hängen Fotos von ihm im Bianchi-trikot. „Wir unterhalten uns immer. Seine Geschichten von der Tour faszinieren mich“, erzählt Zimmermann.
Bald kann der 23-Jährige selbst davon erzählen. Denn er startet am Samstag selbst beim größten, berühmtesten und wohl auch schwersten Radrennen der Welt. Damit steht er in einer Reihe mit Singer oder den Allgäuern Tobias Steinhauser, 49, (1996, 2003, 2005) und Dominik Nerz, 31 (2012 und 2015).
Es waren zuletzt verrückte Tage für Zimmermann. Am Sonntag belegte er bei den deutschen Meisterschaften Platz drei im Straßenrennen in Stuttgart, am Montag erfuhr er, dass ihn sein Team aufgrund der starken Leistung für die Tour de France nominiert hat und am Dienstagmittag saß er schon im Flugzeug Richtung Frankreich. „Das ist wie Weihnachten und Ostern zusammen. Es ist einfach verrückt“, freute sich der sonst eher zurückhaltende 1,80 Meter große Bergspezialist am Abend vor seiner Abreise. „Seit ich bei den E-racer 2009 mit Radrennen begonnen habe, habe ich davon geträumt und jetzt geht mein Traum in Erfüllung. Unglaublich.“
Damals bildete Trainer Christian Brenner von den E-racers eine Trainingsgruppe um seinen Sohn Marco, Luca Dreßler, Tim Wollenberg und eben Georg Zimmermann. Mit Extraschichten, vor allem an der Fußball-arena, legte Brenner dort das sportliche Fundament. Jahre später sind alle vier Profis. Sein Sohn Marco unterschrieb in diesem Jahr mit 18 als jüngster Profi jemals einen Vertrag bei einem Worldtour-rennstall, dem Team DSM. Während die Tour für seinen Sohn noch zu früh kommt, hat sich Georg Zimmermann, der immer noch Mitglied bei den E-racers ist, nun in das erlauchte Feld der Top-profis gefahren.
Seine Eltern Elke und Herbert, sein Vater ist Architekt und Leiter der Abteilung Hochbau bei der Stadt Neusäß, unterstützten ihren
Sohn immer. Denn die Zimmermanns sind eine sportliche Familie aber ohne große Ambitionen. „Mein Vater fährt jeden Tag mit dem Fahrrad in die Arbeit und meine ältere Schwester Jana macht viel Yoga und geht ins Fitnessstudio“, erzählt Zimmermann. Die 28-Jährige lebt mittlerweile in München und ist Juristin. Georg ist seit fünf Jahren Radprofi und lebt immer noch zu Hause. Hainhofen ist sein Rückzugsort aus dem hektischen Alltag. Über 200 Tage im Jahr ist er unterwegs. „Hier genieße ich die Natur und die Ruhe. Hier kann ich super runterkommen und abschalten.“
Anfang 2020 stieg er in die höchste Liga des Rennsports, die Worldtour auf. Nur diese Rennteams dürfen an den bekanntesten Rennen wie die Tour oder dem Giro teilnehmen. Beim CCC-TEAM bekam er einen Vertrag und überzeugte gleich in seinem ersten Jahr mit Platz 21 bei der spanischen Rundfahrt Vuelta.
Doch dann kam Corona und der polnische Hauptsponsor konnte sich sein Radteam nicht mehr leisten. Zimmermann und seine Kollegen standen vor einer ungewissen Zukunft. Erst als das belgische Team Intermarchè-wanty-gobert die Lizenz kaufte und Georg Zimmermann auch übernahm, konnte er aufatmen. „Ich wusste erst zum 1.
Oktober sicher, dass es für mich weitergeht in der Worldtour. Jetzt starte ich bei der Tour de France. Das ist verrückt.“
Zwar stand er auf einen teaminternen Liste von zwölf Fahrern, die für die acht Startplätze infrage kamen, doch dass er ausgewählt wurde, kam für Zimmermann völlig überraschend. Denn die Saison verlief bis zum Wochenende eher zäh. Im Februar musste er mit muskulären Problemen pausieren, im April stürzte er bei der Baskenrundfahrt, musste mit dem Training aussetzen. Zuletzt reiste sein Team bei der Tour de Suisse nach einem positiven Corona-befund eines Mechanikers vorzeitig ab.
Jetzt feiert er zusammen mit seinem Team das Tourdebüt. Ist das der Lohn der harten Arbeit? „Die harte Arbeit kommt jetzt.“3383 Kilometer und 21 Etappen liegen zwischen dem Start im Brest und dem Ziel in Paris, das Zimmermann am 18. Juli auf jeden Fall erreichen will.
Warten da Strapazen auf ihn? „Die Generation von Willi Singer hat unglaubliche Strapazen durchgemacht. Die fuhren mit schlechtem Material und auf schlechten Straßen hunderte von Kilometern mehr als wir“, sagt er respektvoll. „Die trugen Wolltrikots, die sich im Regen vollgesogen haben. Dagegen werden wir doch verhätschelt.“