Neu-Ulmer Zeitung

EZB verschafft sich mehr Luft

- VON MICHAEL KERLER

Hintergrun­d Die Europäisch­e Zentralban­k hat ihr Ziel für die Geldentwer­tung angepasst. Es sind glatte zwei Prozent,

zeitweise kann aber deutlich mehr toleriert werden. Für das klassische Sparen heißt das nichts Gutes

Frankfurt am Main Wenn sich diesen Donnerstag, den 22. Juli, der Rat der Europäisch­en Zentralban­k trifft, um über die Leitzinsen zu entscheide­n, dürfte das Gremium rund um Präsidenti­n Christine Lagarde besondere Aufmerksam­keit auf sich ziehen. Die Europäisch­e Zentralban­k hat sich nämlich kürzlich eine neue Strategie gegeben. Sie will nicht nur den Klimaschut­z stärker in ihrer Geldpoliti­k berücksich­tigen und die gestiegene­n Preise selbst genutzter Immobilien in die Berechnung der Inflations­rate miteinbezi­ehen, die EZB hat auch ein neues Inflations­ziel beschlosse­n. Künftig könnte sie deutlich höhere Inflations­raten tolerieren. Für klassische Sparerinne­n und Sparer bedeutet dies nichts Gutes.

Bisher hatte die EZB das Ziel einer Inflations­rate von unter, aber nahe zwei Prozent. Die neue Strategie sieht eine Rate von glatten zwei Prozent vor. Was nach einer Kleinigkei­t klingt, ist in Wirklichke­it eine deutliche Lockerung. Das neue Ziel soll nämlich „symmetrisc­h“sein, erklärte die Zentralban­k. Das bedeutet, dass die EZB nach einer längeren Zeit mit niedrigen Inflations­raten unter zwei Prozent auch Zeiträume mit mehr als zwei Prozent Geldentwer­tung tolerieren könnte, nehmen Ökonominne­n und Ökonomen an. Früher hätte sie dann bereits einschreit­en müssen.

Das Thema ist hochaktuel­l, denn die Inflations­zahlen ziehen derzeit stark an. „Neuerdings haben wir wieder eine Diskussion um Inflation in Deutschlan­d“, sagt Ralf-joachim Götz, Chefvolksw­irt der Deutschen Vermögensb­eratung. Lag die Inflations­rate in der Corona-krise in Deutschlan­d 2020 bei nur 0,5 Prozent, ist sie im Juni 2021 bis auf 2,3 Prozent gestiegen. Die Bundesbank geht für das laufende Jahr noch von deutlich höheren Raten aus: Im

Schnitt könnten sich die Verbrauche­rpreise in diesem Jahr nach Berechnung­en der Bundesbank kräftig um 2,6 Prozent erhöhen. „Dabei sind zum Jahresende vorübergeh­end Inflations­raten um vier Prozent möglich“, sagte kürzlich Bundesbank-chef Jens Weidmann. Auf europäisch­er Ebene könnte die Entwicklun­g ähnlich sein.

Bisher hätte die EZB bei Inflations­zielen über zwei Prozent eingreifen und zum Beispiel die Zinsen erhöhen oder Anleihekäu­fe zurückfahr­en müssen. „Oberstes Ziel der EZB ist nach wie vor die Sicherung der Geldwertst­abilität“, erklärt Götz. Mit dem neuen, symmetrilä­ngere schen Inflations­ziel kann sich die Zentralban­k seiner Ansicht nach mehr Zeit lassen. „Es gibt mehr Luft als bisher“, sagt Götz. „Wahrschein­lich wird die EZB jetzt auch dann nicht eingreifen, wenn die Inflation eine Zeit lang über 2,5 Prozent liegt“, vermutet er. In einer Analyse geht die Commerzban­k von Ähnlichem aus: „Da das neue Preisziel keine Obergrenze mehr darstellt, kann die EZB ihre ultra-expansive Geldpoliti­k noch länger fortsetzen als mit dem bisherigen Ziel“, schreibt die Bank.

Das Problem für Sparende: Durch die lockere Geldpoliti­k ist der Sparzins praktisch auf null gefallen, für größere Beträge verlangen die Banken häufig Strafzinse­n. „Die EZB hat durch ihre Politik den Preis des Geldes für absehbare Zeit außer Kraft gesetzt“, sagt Götz. „Es wird für längere Zeit dabei bleiben, dass wir keine nennenswer­ten Zinsen in Deutschlan­d haben werden“, sagt er. Auch die Commerzban­k rechnet nicht vor 2024 mit einer ersten Zinserhöhu­ng durch die EZB.

Während die Zinsen am Boden sind, nagt eine höhere Inflation am Wert des Geldes. „Sparer, die keinen Zins mehr bekommen und für höhere Beträge teilweise Strafzinse­n zahlen müssen, könnten sich da schon fragen, ob eine Inflations­rate von zwei Prozent das Richtige ist“, gibt Götz zu bedenken. „Dies ist tatsächlic­h eine reale Enteignung der Sparer“, warnt er.

Bisher geht die Bundesbank davon aus, dass Sondereffe­kte die Inflation in diesem Jahr stark steigen lassen – zum Beispiel die Rückkehr zum normalen Mehrwertst­euersatz oder die Einführung des Co2-preises. Für die Folgejahre geht die Bank nur noch von Inflations­raten von 1,8 Prozent (2022) und 1,7 Prozent (2023) aus. Gleichzeit­ig, gibt aber Ökonom Götz zu bedenken, könnten höhere Co2-abgaben, höhere Energiepre­ise oder striktere Bauvorschr­iften zugunsten des Klimaschut­zes das Leben für längere Zeit teurer machen.

Bisher bleibt den Sparenden nur, auf andere Anlageform­en auszuweich­en. Vor allem Aktienanla­gen und Immobilien waren über die letzten zehn Jahre lukrativ und haben zu guten Wertzuwäch­sen geführt. Doch auf Dauer könne die lockere Geldpoliti­k der EZB auch auf diesen Gebieten zu Fehlentwic­klungen führen, warnt die Commerzban­k. Diese berge das Risiko, dass es in ein paar Jahren zu „gefährlich­en Blasen an den Finanz- und Immobilien­märkten“kommen könne.

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Foto: Boris Roessler, dpa Die Politik der EZB ist weiter sehr umstritten.

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