Das renovierte Bierbähnle rollt bald wieder
Verkehr Über 100 Jahre ist der Wagen Nummer 16 der Stadtwerke Ulm/neu-ulm alt. Frisch renoviert
lässt sich der Oldtimer bald wieder als Bierbähnle mieten
Ulm Älter bedeutet in diesem Fall wartungsfreundlicher: In Wagen 16 der Stadtwerke Ulm/neu-ulm (SWU) geht alles noch mechanisch. „Je neuer die Fahrzeuge sind, umso mehr Elektronik steckt drin, umso schwerer ist die Reparatur“, sagt Jürgen Späth, Leiter der Schienenfahrzeuge bei den SWU. In diesem Sinne am einfachsten ist das 1910 erbaute Bierbähnle. Doch ganz so einfach war die Sanierung dann doch nicht.
Um die 20 Ersatzteile des über 100 Jahre alten Triebwagens fertigte ein Auszubildender von Hand an. Ersatzteile für den Wagen liefert der Hersteller, die frühere Gottfried Lindner AG, ein Fahrzeugbau-unternehmen in Ammendorf bei Halle (Saale), längst nicht mehr. 1965 ging sie – am Nachkriegssitz in Nürnberg – in Konkurs. Wie Späth sagt, wurden durch die SWU auch Verbesserungen an der Konstruktion vorgenommen, etwa was die Belüftung der Abnehmer auf dem Dach angeht.
Für 250 Euro pro erster Stunde und weiteren 60 Euro für jede weitere halbe Stunde lässt sich der Tram-oldtimer für jedermann und einer maximal 20 Personen umfassenden Partygesellschaft mieten. Der Fahrer ist freilich inklusive. Wie André Dillmann, Geschäftsführer SWU Verkehr, sagt wären etwa 15 der knapp 100 Fahrer der SWU auf diesem Oldtimer geschult. Mit dem Fahrverhalten der digitalisierten Avenios, dem in Ulm üblichen Straßenbahnmodell, hat der Oldtimer nicht viel zu tun. „Man braucht viel Gefühl“, sagt Dillmann. Im Oldtimer werde über die manuelle Wegnahme von Widerständen in Wagen 16 „gearbeitet“. Wenn zu viel Strom den Rädern zugeführt wird, drehen sie durch. „Das nennen wir Schlupf“, sagt Dillmann.
Mit tatkräftiger Unterstützung des Vereins Ulmer Nahverkehrsfreunde unterhalten die SWU fünf fahrbereite Straßenbahn-oldtimer und drei Busse der Baujahre 1905 bis 1988 mit 14 bis 46 Sitzplätzen. „Das ist für uns unbezahlbares Marketing“, sagt Dillmann. Ums Geldverdienen gehe es den Stadtwerken hier nicht in erster Linie. „Da bleibt kaum was hängen.“Außer Applaus: Wenn einer der gelben Oldtimer durch Ulm fährt, würden die Menschen regelmäßig Beifall spenden. „Die Ulmer lieben ihre Straßenbahn.“Durch Corona haben die Vehikel für Geburtstage, Hochzeiten und Co lange Pause gehabt. Dillmann hofft, dass es im September wieder losgehen kann. SWU-MANN Späth ist gleichzeitig auch Vorsitzender der Nahverkehrsfreunde und nutzte die veranstaltungslose Zeit für die Sanierung der alten Nahverkehrsschätze.
Im Bierbähnle wurde das undicht gewordene Dach repariert und Lackschäden ausgebessert. Die traditionelle Werbetafel wanderte von der Seite aufs Dach, dort wo sie auch ursprünglich war. Statt Jakobs Kaffee und Möbel-seisler – wie auf historischen Fotos zu sehen ist, steht dort nun Gold Ochsen. Der alte Sponsor des Bierbähnles ist auch der neue. Ulrike Freund, Geschäftsführerin der Brauerei Gold Ochsen, sagte bei der Vorstellung des runderneuerten Bähnles: „Die Bewahrung von Historie und Tradition ist im Hause Gold Ochsen genauso wichtig wie Innovation. Deshalb fördern wir auch den Erhalt der historischen Ulmer Straßenbahn und bieten Fahrten mit dem nostalgischen Gold-ochsen-bierbähnle an.“
Im Gegensatz zu Gold Ochsen ist das Bierbähnle allerdings ein Zugereister: Die erste Indienststellung war in Baden-baden im Jahr 1910. Erst 1954 übernahm Ulm nach einem Umbau den damals schon 44 Jahre alten Triebwagen. Das heutige Bierbähnle fuhr dann bis 1958 auf der Linie 1 zwischen Safranberg und Kuhberg. Dann erfolgte sozusagen das Abstellgleis als Rangier- und Werkstattwagen bis das acht Metergefährt 1979 zum Bierbähnle befördert wurde.
Die über 100 Jahre alte Tram kommt nach den Worten von Späth auch problemlos selbst den Eselsberg hoch und kann so also Halt machen an der höchstgelegenen Straßenbahnhaltestelle Deutschlands: Die Haltestelle „Botanischer Garten“der Straßenbahn Linie 2 mit 617,8 Höhenmetern. Gebucht werden für Ausfahrten in den Oldtimern können sämtliche Streckenabschnitte der Linien 1 und 2. Um Ulms flüssiges Gold wieder los werden zu können, dürfen bei rollenden Veranstaltungen die Toiletten für Swu-beschäftigte an den Wendeschleifen (Science Park, Böfingen, Stadion, Schulzentrum und Kuhberg) benutzt werden. Vor Corona, so Späth, waren Oldtimer-ausfahrten meist ausgebucht. Um die 190
Fahrten pro Jahr wurden veranstaltet. Viel mehr sei kaum möglich, erstens weil die Verfügbarkeit der Fahrer begrenzt sei und zweitens, weil die Sonderfahrten so eingepasst werden müssen, dass der normale Betrieb möglichst nicht gestört werde.