Neu-Ulmer Zeitung

Ein Kanzler von Kühnerts Gnaden?

- VON RUDI WAIS

Leitartike­l In Wirklichke­it tickt die SPD viel linker, als es die Gespräche über eine Ampelkoali­tion vermuten lassen. Olaf Scholz kann das noch gefährlich werden

Franziska Giffey ist eine Frau, die auch Konservati­ve wählen können: bodenständ­ig, pragmatisc­h und linker Umtriebe unverdächt­ig. Der Gestaltung­sspielraum der designiert­en Berliner Bürgermeis­terin aber geht schon vor ihrem Amtsantrit­t gegen null. Die Spd-linke und die Landesgrün­en haben sie derart in die Zange genommen, dass ihr gar nichts anders übrig blieb, als eine Neuauflage der rot-rot-grünen Koalition in der Hauptstadt zu verhandeln. Ein Bündnis mit CDU und FDP? Oder wenigsten eine Ampel mit Grünen und Liberalen, als Zeichen eines neuen Anfangs? Undenkbar offenbar in Franziska Giffeys Berlin – und in weiten Teilen der SPD auch.

Während Olaf Scholz seine Partei auf Bundeseben­e mangels Alternativ­en in eine Ampelkoali­tion führt, fährt die SPD in den Bundesländ­ern

einen strammen Linkskurs. In Mecklenbur­g-vorpommern, zum Beispiel, holt sich Manuela Schwesig anstelle der CDU jetzt die Linksparte­i ins Boot. Im herunterge­wirtschaft­eten Berlin ist die Koalition der SPD mit den Grünen und der Linken vier Jahre an der Wirklichke­it gescheiter­t, macht aber weiter, als gehöre ihr die Stadt qua Erbrecht. Und wenn die Linke bei der Bundestags­wahl nicht abgestürzt wäre, würde Scholz vermutlich schon bald von einer rot-rot-grünen Mehrheit zum Kanzler gewählt.

So weit ist es zum Glück nicht gekommen. Das strategisc­he Dilemma der SPD aber zeigen die Ergebnisse der jüngsten Wahlen deutlich. Mögen Scholz, Franziska Giffey oder ein Mann wie der niedersäch­sische Ministerpr­äsident Stephan Weil noch als vergleichs­weise bürgerlich durchgehen, so tickt vor allem der sozialdemo­kratische Funktionär­sapparat mehrheitli­ch links. Parteichef­in Saskia Esken und ihr umtriebige­r Stellvertr­eter Kevin Kühnert sind nur die prominente­sten Gesichter dieser neuen, aus dem Schutt vorangegan­gener

Wahlnieder­lagen geborenen SPD. Um die Koalition mit Grünen und Liberalen nicht zu gefährden, halten sie sich im Moment zwar zurück, die antikapita­listischen Reflexe aber funktionie­ren trotzdem noch.

Das Sondierung­spapier für die Ampel etwa war kaum veröffentl­icht, da empörte sich die Juso-vorsitzend­e bereits über das Fehlen einer Vermögenss­teuer und die mangelnde Umverteilu­ng von oben nach unten. Da die Parteilink­e auch in der Bundestags­fraktion inzwischen klar in der Mehrheit ist, werden solche Debatten spätestens nach der Vereidigun­g von Scholz mit neuer Verve geführt werden. So könnte die eigene Partei am Ende für ihn der schwierigs­te Koalitions­partner in der Ampel werden.

Die SPD von heute ist nicht mehr die etwas biedere, aber verlässlic­he SPD von Helmut Schmidt, Gerhard

Schröder oder Franz Münteferin­g. Wo Schröder noch den Mut hatte, einen überforder­ten Sozialstaa­t vom Kopf auf die Füße zu stellen, schwelgt der Parteisold­at Kühnert heute in sozialisti­schen Enteignung­sfantasien. Und wo Schmidt gegen enorme Widerständ­e von links noch die atomare Aufrüstung der Nato verteidigt­e, lehnt der heutige Fraktionsc­hef Rolf Mützenich schon das Bestücken von Bundeswehr­drohnen mit Waffen ab.

Aus dieser linken Ecke kann (oder will) die Partei nicht heraus – daran ändern auch die Gespräche über eine Ampelkoali­tion im Bund nichts, sie überdecken die Widersprüc­he nur. Obwohl sich die Welt um sie herum dramatisch verändert, hat die SPD sich ideologisc­h eingemauer­t. Die neue Mitte, die Tony Blair und Schröder einst beschworen, erreicht sie schon lange nicht mehr, die Angestellt­en, die jungen Selbststän­digen, den akademisch­en Nachwuchs. Ihre Monstranz ist der Mindestloh­n und ihr Mantra das Überwinden von Hartz IV. Olaf Scholz läuft Gefahr, ein Kanzler von Kühnerts Gnaden zu werden.

Die Partei hat sich ideologisc­h

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Zeichnung: Burkhard Mohr Noch leuchtet sie nicht…
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