Die verordnete Verschwiegenheit des Olaf Scholz
Koalitionsverhandlungen Zum Auftakt der Gespräche zwischen SPD, Grünen und FDP ist vom wahrscheinlich nächsten
Bundeskanzler wenig zu hören. Das ist Strategie der Genossen, die einig sind wie selten. Doch es gibt Bruchstellen
Berlin Die Koalitionsverhandlungen gehen los, und der Mann mit den besten Aussichten aufs Kanzleramt sagt nichts. Olaf Scholz überlässt es am Donnerstag Spd-generalsekretär Lars Klingbeil, den Auftakt der Gespräche mit einigen Botschaften zu rahmen. „In der Nikolauswoche soll Olaf Scholz zum Bundeskanzler gewählt werden“, verkündet der Spd-general zur Überraschung der wartenden Journalisten. Von Scholz ist in diesem Moment nichts zu sehen. Noch vor zwei Jahren machte der Spruch „Nikolaus ist Grokoaus“bei den Sozialdemokraten die Runde. Die Partei lag in Trümmern, jetzt ist sie obenauf, aber sie triumphiert nicht öffentlich.
Natürlich ist das kein Zufall, dahinter steckt Kalkül. Zum einen hat Scholz in den letzten Monaten das Image des sachlichen, nüchternen, unprätentiösen Machers geprägt, der kein großes Gewese um seine Person braucht. Zum anderen steckt – nicht nur den Sozialdemokraten, auch Grünen und FDP – noch die Erfahrung von 2017/18 tief in den Knochen. Seinerzeit landete jeder Zwischenstand in der Presse, was sofort markige Forderungen auslöste. Von einem Trauma spricht eine Genossin. Die damaligen Verhandlungen über eine Regierung – erst Jamaika, danach Große Koalition – waren ein kräftezehrender Abnutzungskampf, und eine Neuauflage wollen sich die drei Ampelparteien in jedem Fall ersparen.
Wenn sich Scholz als wahrscheinlicher Nachfolger von Angela Merkel öffentlich zurückhält, dann gibt er gleichsam den beiden kleineren Partnern Raum, öffentlich zu glänzen. FDP-CHEF Christian Lindner und die Grünen-vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock sind viel stärker öffentlich präsent. Scholz bekommt ohnehin den großen Preis, sollte die Ampel klappen, und er weiß seine eigene Partei hinter sich.
Die SPD ist so geschlossen wie seit Jahren nicht mehr, was es für den bisherigen Vizekanzler erleichtert, eine Regierung zu schmieden. Die Genossen halten Funkdisziplin. „Die Union streitet auf offener Bühne, und wer das tut, wird nicht gewählt. Wir wollen uns die Geschlossenheit erhalten“, sagt ein Abgeordneter, der anonym bleiben will. Er weiß, wovon er redet, die SPD ar
sich Jahrzehnte an ihrem Hartz-iv-trauma ab und beschäftigte sich am liebsten mit sich selbst.
Nun ist es nicht so, dass aus der einst streitsüchtigsten Partei Deutschlands, wie die SPD verspottet wurde, in den vergangenen Monaten eine Ansammlung von Altruisten geworden ist. Es geht um die Durchsetzung eigener Positionen, Macht und natürlich um Posten. Etwas forscher als die Mutterpartei tritt der Parteinachwuchs der Jungen Sozialisten (Jusos) auf. Sie verlangen nicht nur eine Streichung des Begriffs Hartz IV, sondern auch höhere Sätze und ein Ende der Sanktionen, wenn Empfänger nicht mit den Arbeitsagenturen zusammenarbeiten. Sie fordern auch ein Jahresticket für Bus und Bahn im Nahverkehr für 365 Euro. Und sie pochen auf einen garantierten Ausbildungsplatz für alle jungen Menschen. „Ohne Ausbildungsplatzgarantie ohne uns“, sagt Juso-chefin Jessica Rosenthal.
Dass die Jungsozialisten die Lautstärke nach oben drehen, erschreckt die Spd-spitze aber nicht. Gleichwohl muss Scholz dem linken Flügel seiner Partei einen Erfolg gönnen. Am wichtigsten ist die Abschaffung von Hartz IV, das in Bürgergeld umgetauft und auskömmlicher werden soll. Weil die Grünen und die Liberalen der staatlichen Grundsicherung ebenso das Verlierer-stigma nehmen wollen, ist eine Einigung möglich.
Als knifflig gelten vor allem die Finanzen, weil der Staat im Sozialen großzügiger werden und mehr in Schulen, Schienen, schnelles Internet und den Klimaschutz investieren soll. Das ist geplant ohne Steuererhöhungen und unter Beibehaltung der Schuldenbremse. Gleichzeitig wollen alle drei Ampel-partner kleine und mittlere Einkommen entlasten. Auch bei dieser Quadratur des Kreises ist eine Lösung möglich, wie die Steuerfachleute des unternehmensnahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in einem Aufsatz dargestellt haben.
Als noch kniffliger als die Finanzen gilt in der SPD die Besetzung der Ministerposten, wenn man in die Partei hineinhört. Erkennbaren Ehrgeiz auf einen Platz am Kabibeitete nettstisch hat Parteichefin Saskia Esken, die keine Freundin von Olaf Scholz ist und früher hart gegen ihn austeilte. Im Wahlkampf hat sie sich entschlossen, nicht länger auf dem Kurznachrichtendienst Twitter der Welt Kurzentschlossenes mitzuteilen und für Wirbel zu sorgen. Ob das so bleibt, sollte sie im Postenpoker leer ausgehen, ist fraglich.
Und dann hat Scholz noch ein Luxusproblem. Lars Klingbeil und Hubertus Heil wollen gerne Minister werden beziehungsweise bleiben. Doch beide sind Männer und beide kommen aus Niedersachsen. Das ist eigentlich nicht schlimm, doch im Wahlkampf hatte der Spdkandidat versprochen, dass in seinem Kabinett gleich viele Männer und Frauen sitzen werden.
Damit die Knackpunkte die Koalitionsverhandlungen nicht zum Bersten bringen, haben sich die drei Parteien einen straffen Zeitplan verordnet und dadurch den Druck auf sich erhöht. Schon am 10. November sollen die Fachgruppen den Chefgruppen fertige Papiere liefern, die diese dann bis Ende November zu einem Koalitionsvertrag zusammenschnüren. Nikolaus geht dann die Ampel an – oder aus.
Die Besetzung der Ministerien ist knifflig