Neu-Ulmer Zeitung

Die verordnete Verschwieg­enheit des Olaf Scholz

- VON CHRISTIAN GRIMM

Koalitions­verhandlun­gen Zum Auftakt der Gespräche zwischen SPD, Grünen und FDP ist vom wahrschein­lich nächsten

Bundeskanz­ler wenig zu hören. Das ist Strategie der Genossen, die einig sind wie selten. Doch es gibt Bruchstell­en

Berlin Die Koalitions­verhandlun­gen gehen los, und der Mann mit den besten Aussichten aufs Kanzleramt sagt nichts. Olaf Scholz überlässt es am Donnerstag Spd-generalsek­retär Lars Klingbeil, den Auftakt der Gespräche mit einigen Botschafte­n zu rahmen. „In der Nikolauswo­che soll Olaf Scholz zum Bundeskanz­ler gewählt werden“, verkündet der Spd-general zur Überraschu­ng der wartenden Journalist­en. Von Scholz ist in diesem Moment nichts zu sehen. Noch vor zwei Jahren machte der Spruch „Nikolaus ist Grokoaus“bei den Sozialdemo­kraten die Runde. Die Partei lag in Trümmern, jetzt ist sie obenauf, aber sie triumphier­t nicht öffentlich.

Natürlich ist das kein Zufall, dahinter steckt Kalkül. Zum einen hat Scholz in den letzten Monaten das Image des sachlichen, nüchternen, unprätenti­ösen Machers geprägt, der kein großes Gewese um seine Person braucht. Zum anderen steckt – nicht nur den Sozialdemo­kraten, auch Grünen und FDP – noch die Erfahrung von 2017/18 tief in den Knochen. Seinerzeit landete jeder Zwischenst­and in der Presse, was sofort markige Forderunge­n auslöste. Von einem Trauma spricht eine Genossin. Die damaligen Verhandlun­gen über eine Regierung – erst Jamaika, danach Große Koalition – waren ein kräftezehr­ender Abnutzungs­kampf, und eine Neuauflage wollen sich die drei Ampelparte­ien in jedem Fall ersparen.

Wenn sich Scholz als wahrschein­licher Nachfolger von Angela Merkel öffentlich zurückhält, dann gibt er gleichsam den beiden kleineren Partnern Raum, öffentlich zu glänzen. FDP-CHEF Christian Lindner und die Grünen-vorsitzend­en Robert Habeck und Annalena Baerbock sind viel stärker öffentlich präsent. Scholz bekommt ohnehin den großen Preis, sollte die Ampel klappen, und er weiß seine eigene Partei hinter sich.

Die SPD ist so geschlosse­n wie seit Jahren nicht mehr, was es für den bisherigen Vizekanzle­r erleichter­t, eine Regierung zu schmieden. Die Genossen halten Funkdiszip­lin. „Die Union streitet auf offener Bühne, und wer das tut, wird nicht gewählt. Wir wollen uns die Geschlosse­nheit erhalten“, sagt ein Abgeordnet­er, der anonym bleiben will. Er weiß, wovon er redet, die SPD ar

sich Jahrzehnte an ihrem Hartz-iv-trauma ab und beschäftig­te sich am liebsten mit sich selbst.

Nun ist es nicht so, dass aus der einst streitsüch­tigsten Partei Deutschlan­ds, wie die SPD verspottet wurde, in den vergangene­n Monaten eine Ansammlung von Altruisten geworden ist. Es geht um die Durchsetzu­ng eigener Positionen, Macht und natürlich um Posten. Etwas forscher als die Mutterpart­ei tritt der Parteinach­wuchs der Jungen Sozialiste­n (Jusos) auf. Sie verlangen nicht nur eine Streichung des Begriffs Hartz IV, sondern auch höhere Sätze und ein Ende der Sanktionen, wenn Empfänger nicht mit den Arbeitsage­nturen zusammenar­beiten. Sie fordern auch ein Jahrestick­et für Bus und Bahn im Nahverkehr für 365 Euro. Und sie pochen auf einen garantiert­en Ausbildung­splatz für alle jungen Menschen. „Ohne Ausbildung­splatzgara­ntie ohne uns“, sagt Juso-chefin Jessica Rosenthal.

Dass die Jungsozial­isten die Lautstärke nach oben drehen, erschreckt die Spd-spitze aber nicht. Gleichwohl muss Scholz dem linken Flügel seiner Partei einen Erfolg gönnen. Am wichtigste­n ist die Abschaffun­g von Hartz IV, das in Bürgergeld umgetauft und auskömmlic­her werden soll. Weil die Grünen und die Liberalen der staatliche­n Grundsiche­rung ebenso das Verlierer-stigma nehmen wollen, ist eine Einigung möglich.

Als knifflig gelten vor allem die Finanzen, weil der Staat im Sozialen großzügige­r werden und mehr in Schulen, Schienen, schnelles Internet und den Klimaschut­z investiere­n soll. Das ist geplant ohne Steuererhö­hungen und unter Beibehaltu­ng der Schuldenbr­emse. Gleichzeit­ig wollen alle drei Ampel-partner kleine und mittlere Einkommen entlasten. Auch bei dieser Quadratur des Kreises ist eine Lösung möglich, wie die Steuerfach­leute des unternehme­nsnahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in einem Aufsatz dargestell­t haben.

Als noch kniffliger als die Finanzen gilt in der SPD die Besetzung der Ministerpo­sten, wenn man in die Partei hineinhört. Erkennbare­n Ehrgeiz auf einen Platz am Kabibeitet­e nettstisch hat Parteichef­in Saskia Esken, die keine Freundin von Olaf Scholz ist und früher hart gegen ihn austeilte. Im Wahlkampf hat sie sich entschloss­en, nicht länger auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter der Welt Kurzentsch­lossenes mitzuteile­n und für Wirbel zu sorgen. Ob das so bleibt, sollte sie im Postenpoke­r leer ausgehen, ist fraglich.

Und dann hat Scholz noch ein Luxusprobl­em. Lars Klingbeil und Hubertus Heil wollen gerne Minister werden beziehungs­weise bleiben. Doch beide sind Männer und beide kommen aus Niedersach­sen. Das ist eigentlich nicht schlimm, doch im Wahlkampf hatte der Spdkandida­t versproche­n, dass in seinem Kabinett gleich viele Männer und Frauen sitzen werden.

Damit die Knackpunkt­e die Koalitions­verhandlun­gen nicht zum Bersten bringen, haben sich die drei Parteien einen straffen Zeitplan verordnet und dadurch den Druck auf sich erhöht. Schon am 10. November sollen die Fachgruppe­n den Chefgruppe­n fertige Papiere liefern, die diese dann bis Ende November zu einem Koalitions­vertrag zusammensc­hnüren. Nikolaus geht dann die Ampel an – oder aus.

Die Besetzung der Ministerie­n ist knifflig

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Er ist da, aber schweigt in der Öffentlich­keit: Olaf Scholz.

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