Warum sich Walter Kohl über Jens Spahn ärgert
Pandemie Der Sohn des Altkanzlers wartet bis heute darauf, dass das Gesundheitsministerium die von ihm gelieferten
Corona-masken bezahlt. Das kontert: Alle mangelfreien Exemplare wurden honoriert. Der Fall liegt bei der Justiz
Berlin Die Corona-pandemie war für die deutsche Wirtschaft so etwas wie ein Faustschlag mitten in die Magengrube. Die Umsätze brachen ein, internationale Handelswege wurden von einem Tag auf den anderen abgeschnitten, die Unsicherheit, wie es weitergehen würde, machte Planungen nahezu unmöglich. Und doch bot gerade diese Notlage auch Nischen, in denen die Geschäfte geradezu explodierten. Die Beschaffung von Corona-masken war eine davon: Die anfängliche Not brachte die Ministerien in Bund und Ländern dazu, horrende Preise für Ffp2-masken zu zahlen – Millionensummen gingen über den Tisch. In Bayern führten zweifelhafte Maskendeals gar zu einer politischen Krise, die die Landesregierung bis heute verfolgt. Doch nicht jeder, der hier seine Chance witterte, wurde mit sprudelnden Gewinnen gesegnet: Walter Kohl, Sohn des verstorbenen Altkanzlers, streitet bis heute erbittert mit dem Ministerium von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Die Sache liegt inzwischen bei Gericht. Kohl äußert sich nun ausführlich.
Sein Vorwurf: Die Firma Kohl Consult Gmbh habe sich an einer Ausschreibung des Ministeriums beteiligt und den Auftrag erhalten, eine Million Masken zum Stückpreis von 4,50 Euro zu liefern. Die Rechnung habe das Ministerium noch nicht beglichen. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) freilich sieht die Sache anders. „Das BMG hat die angelieferten mangelfreien Masken vollständig bezahlt“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. Entscheidend ist dabei das Wort „mangelfrei“– denn das BMG geht davon aus, dass viele der Masken nicht den Qualitätsanforderungen entsprochen haben. Weitere Details zu Verträgen und zum laufenden Verfahren will die Ministeriumssprecherin zwar nicht machen, doch stellt sie klar: „Für uns war es besonders wichtig, dass die Schutzwirkung der Masken für Beschäftigte und Patienten im Gesundheitsund Pflegesektor sichergestellt ist.“Daher seien alle vom Bund beschafften Masken einer Qualitätsprüfung nach den Corona-kriterien unterzogen worden.
Walter Kohl hingegen vermutet ganz andere Gründe hinter seinem Streit. „Mittlerweile wissen wir ja, dass einige Lieferanten offenbar durch zweifelhafte Kontakte und Vetternwirtschaft direkt an das BMG lieferten“, sagt er. Nach seinem Eindruck sei die Beschaffung von Masken im Frühjahr 2020 insgesamt sehr chaotisch verlaufen. „Nicht zuletzt, weil Herr Spahn noch im Februar und März die
Wirksamkeit von Masken bestritten hatte und das Ministerium völlig unvorbereitet der Pandemie gegenüberstand“, sagt Kohl. Er selbst verfüge über jahrelange Erfahrung, was die Beschaffung von sicherheitsrelevanten Materialien angehe. Die Kohl Consult Gmbh liefert Produkte für die Autoindustrie aus Korea und China, zu den Kunden zählen unter anderem Rolls-royce, Bentley, VW, BMW oder Opel. „Daher wissen wir um die Herausforderungen komplexer Beschaffungsprozesse aus Ostasien und kennen uns im dortigen Markt gut aus“, sagt Walter Kohl. Zusammen mit einem im Gesundheitswesen in China tätigen Marktführer habe er eine Millionen Kn95-masken an das Bundesgesundheitsministerium geliefert. Kn95-masken sind das chinesische Pendant zu Ffp2-masken.
„Wir taten das im Vertrauen, dass wir als Unternehmen einen positiven Beitrag in der Krise leisten und dass das BMG sich an seine eigenen Verträge hält – schließlich hätte es damals auch noch viele andere Abnehmer für Masken gegeben“, sagt Walter Kohl. „Es ist absurd, Unternehmern, die sich an einer öffentlichen Ausschreibung beteiligt haben, im Nachgang nun Glücksrittertum vorzuwerfen.“Die von ihm gelieferten Masken erfüllten alle Kriterien, die bei der Bestellung gefor
gewesen seien, so Kohl. Die Punkte, die nun vom Ministerium geltend gemacht würden, seien damals nicht relevant gewesen. „Es ist, als ob Sie ein Auto bestellen und dessen Abnahme aber dann mit der Bemerkung, ,das Auto kann ja nicht schwimmen‘, ablehnen“, ärgert sich Kohl. „Dabei haben Sie Schwimmfähigkeit gar nicht ursprünglich bestellt.“Das sehe inzwischen auch das Landgericht Bonn so und habe das Ministerium verpflichtet, vier andere Lieferanten zu bezahlen.
Fehler bei der Bestellung kritisiert auch Roland Ballier, Gutachter für Medizinprodukte, und stützt damit zumindest die Theorie von Walter Kohl. Ballier bemängelt, dass die in der EU geltenden Mindestkriterien für Masken nicht in die Vergaberichtlinien aufgenommen worden waren. „Damit war fast jede Maskenqualität lieferbar“, sagt er. Als man im Gesundheitsministerium das Ausmaß des Desasters realisiert habe, habe man im Nachhinein eine
Qualität der Masken bemängelt, die gar nicht vereinbart gewesen sei, so Balliers Analyse.
All die Lieferanten, die sich einen juristischen Streit mit dem Ministerium liefern, kamen über ein sogenanntes Open-house-verfahren an die Aufträge. Das bedeutete: Das Spahn-ministerium versprach im Frühjahr 2020 jeder Firma, die FFP2-, KN95- oder N95-masken bis spätestens 30. April 2020 liefern würde, einen Preis von 4,50 Euro pro Maske. Die Folge ist tatsächlich eine große Anzahl an rechtlichen Auseinandersetzungen, Walter Kohl ist längst nicht der einzige Kläger. 100 Klagen wurden beim Landgericht Bonn eingereicht. Der gesamte Streitwert umfasst einen dreistelligen Millionenbetrag. Laut der Sendung Plusminus hat das Gericht den Bund bislang zur Zahlung von 28 Millionen Euro verurteilt. Rund 100 Klagen sind noch anhängig. Insgesamt gehe es um einen geschätzten Streitwert von über einer Milliarde Euro, berichtet das Ard-magazin.
Einige Lieferanten mutmaßen, dass das Gesundheitsministerium die Qualitätsmängel teils nur vorschiebe, weil inzwischen klar wurde, dass der Preis von 4,50 Euro massiv überzogen war und die Masken zu einem Bruchteil des Betrags erhältlich. „Manche Open-housedert
Lieferanten, die Masken vom gleichen chinesischen Hersteller wie ich geliefert haben, sind bezahlt worden. Andere nicht“, sagt Walter Kohl. Der Grund dafür liege nach seiner Überzeugung darin, „dass das Ministerium während der Beschaffung gravierende Fehler gemacht hat und nun versucht, diese durch Nichtbezahlung seiner Rechnungen zu vertuschen“. Laut Bundesrechnungshof hat Jens Spahn siebenfach zu viele Ffp2-masken und sechzehnfach zu viele Op-masken eingekauft. „Also versucht man nun, die Zeche zu prellen und aus geschlossenen Verträgen wieder auszusteigen“, sagt der Kohl-sohn.
Er hat nicht vor, in der Sache nachzugeben. „Ich möchte, dass die Verantwortlichen – allen voran Herr Spahn – alles offenlegen müssen und dafür Rechenschaft vor der Öffentlichkeit und dem Deutschen Bundestag ablegen“, sagt er. „So etwas darf in Deutschland nicht ohne Konsequenzen bleiben.“
Nicht nur das Bundesgesundheitsministerium steht wegen des Themas unter Druck. Auch in Bayern sind offene Fragen rund um Maskendeals längst nicht ausgeräumt. Der von drei Oppositionsparteien beantragte Masken-untersuchungsausschuss wird in dieser Woche erstmals die Gremien im Landtag beschäftigen. Sie wollen die Maskengeschäfte der Staatsregierung in der Corona-pandemie sowie mögliche Beteiligungen von Abgeordneten daran und Provisionszahlungen aufklären. Die prominentesten Fälle der Maskenaffäre sind Zahlungen an den ehemaligen bayerischen Justizminister und Landtagsabgeordneten Alfred Sauter (CSU) sowie den mittlerweile aus der CSU ausgetretenen bisherigen Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein. Die Generalstaatsanwaltschaft ermittelt gegen beide sowie weitere Beschuldigte unter anderem wegen des Anfangsverdachts der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern. Sauter und Nüßlein haben alle Korruptionsvorwürfe zurückgewiesen. Zahlungen wegen Maskengeschäften hätten in keinem Zusammenhang zu ihrer Abgeordnetentätigkeit gestanden, betonten sie.
Die SPD wollte zudem eine Sonderprüfung des bayerischen Rechnungshofes, weil der Freistaat unter anderem eine Million Corona-masken bei einer Schweizer Firma geordert und dafür 10,59 Euro pro Stück bezahlt habe. Dabei habe es sich wie im Fall Walter Kohl um chinesische Kn95-masken gehandelt. Die entsprechenden Masken seien im Vergleich zur günstigsten Bestellung im gleichen Zeitraum 370 Prozent teurer gewesen. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen in diesem Fall eingestellt.
„Ich möchte, dass die Verant wortlichen – allen voran
Herr Spahn – alles offenlegen und dafür Rechenschaft vor der Öffentlichkeit ablegen.“
Walter Kohl