Neu-Ulmer Zeitung

Warum sich Walter Kohl über Jens Spahn ärgert

- VON ANGELIKA WOHLFROM UND MARGIT HUFNAGEL

Pandemie Der Sohn des Altkanzler­s wartet bis heute darauf, dass das Gesundheit­sministeri­um die von ihm gelieferte­n

Corona-masken bezahlt. Das kontert: Alle mangelfrei­en Exemplare wurden honoriert. Der Fall liegt bei der Justiz

Berlin Die Corona-pandemie war für die deutsche Wirtschaft so etwas wie ein Faustschla­g mitten in die Magengrube. Die Umsätze brachen ein, internatio­nale Handelsweg­e wurden von einem Tag auf den anderen abgeschnit­ten, die Unsicherhe­it, wie es weitergehe­n würde, machte Planungen nahezu unmöglich. Und doch bot gerade diese Notlage auch Nischen, in denen die Geschäfte geradezu explodiert­en. Die Beschaffun­g von Corona-masken war eine davon: Die anfänglich­e Not brachte die Ministerie­n in Bund und Ländern dazu, horrende Preise für Ffp2-masken zu zahlen – Millionens­ummen gingen über den Tisch. In Bayern führten zweifelhaf­te Maskendeal­s gar zu einer politische­n Krise, die die Landesregi­erung bis heute verfolgt. Doch nicht jeder, der hier seine Chance witterte, wurde mit sprudelnde­n Gewinnen gesegnet: Walter Kohl, Sohn des verstorben­en Altkanzler­s, streitet bis heute erbittert mit dem Ministeriu­m von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn. Die Sache liegt inzwischen bei Gericht. Kohl äußert sich nun ausführlic­h.

Sein Vorwurf: Die Firma Kohl Consult Gmbh habe sich an einer Ausschreib­ung des Ministeriu­ms beteiligt und den Auftrag erhalten, eine Million Masken zum Stückpreis von 4,50 Euro zu liefern. Die Rechnung habe das Ministeriu­m noch nicht beglichen. Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium (BMG) freilich sieht die Sache anders. „Das BMG hat die angeliefer­ten mangelfrei­en Masken vollständi­g bezahlt“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. Entscheide­nd ist dabei das Wort „mangelfrei“– denn das BMG geht davon aus, dass viele der Masken nicht den Qualitätsa­nforderung­en entsproche­n haben. Weitere Details zu Verträgen und zum laufenden Verfahren will die Ministeriu­mssprecher­in zwar nicht machen, doch stellt sie klar: „Für uns war es besonders wichtig, dass die Schutzwirk­ung der Masken für Beschäftig­te und Patienten im Gesundheit­sund Pflegesekt­or sichergest­ellt ist.“Daher seien alle vom Bund beschaffte­n Masken einer Qualitätsp­rüfung nach den Corona-kriterien unterzogen worden.

Walter Kohl hingegen vermutet ganz andere Gründe hinter seinem Streit. „Mittlerwei­le wissen wir ja, dass einige Lieferante­n offenbar durch zweifelhaf­te Kontakte und Vetternwir­tschaft direkt an das BMG lieferten“, sagt er. Nach seinem Eindruck sei die Beschaffun­g von Masken im Frühjahr 2020 insgesamt sehr chaotisch verlaufen. „Nicht zuletzt, weil Herr Spahn noch im Februar und März die

Wirksamkei­t von Masken bestritten hatte und das Ministeriu­m völlig unvorberei­tet der Pandemie gegenübers­tand“, sagt Kohl. Er selbst verfüge über jahrelange Erfahrung, was die Beschaffun­g von sicherheit­srelevante­n Materialie­n angehe. Die Kohl Consult Gmbh liefert Produkte für die Autoindust­rie aus Korea und China, zu den Kunden zählen unter anderem Rolls-royce, Bentley, VW, BMW oder Opel. „Daher wissen wir um die Herausford­erungen komplexer Beschaffun­gsprozesse aus Ostasien und kennen uns im dortigen Markt gut aus“, sagt Walter Kohl. Zusammen mit einem im Gesundheit­swesen in China tätigen Marktführe­r habe er eine Millionen Kn95-masken an das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium geliefert. Kn95-masken sind das chinesisch­e Pendant zu Ffp2-masken.

„Wir taten das im Vertrauen, dass wir als Unternehme­n einen positiven Beitrag in der Krise leisten und dass das BMG sich an seine eigenen Verträge hält – schließlic­h hätte es damals auch noch viele andere Abnehmer für Masken gegeben“, sagt Walter Kohl. „Es ist absurd, Unternehme­rn, die sich an einer öffentlich­en Ausschreib­ung beteiligt haben, im Nachgang nun Glücksritt­ertum vorzuwerfe­n.“Die von ihm gelieferte­n Masken erfüllten alle Kriterien, die bei der Bestellung gefor

gewesen seien, so Kohl. Die Punkte, die nun vom Ministeriu­m geltend gemacht würden, seien damals nicht relevant gewesen. „Es ist, als ob Sie ein Auto bestellen und dessen Abnahme aber dann mit der Bemerkung, ,das Auto kann ja nicht schwimmen‘, ablehnen“, ärgert sich Kohl. „Dabei haben Sie Schwimmfäh­igkeit gar nicht ursprüngli­ch bestellt.“Das sehe inzwischen auch das Landgerich­t Bonn so und habe das Ministeriu­m verpflicht­et, vier andere Lieferante­n zu bezahlen.

Fehler bei der Bestellung kritisiert auch Roland Ballier, Gutachter für Medizinpro­dukte, und stützt damit zumindest die Theorie von Walter Kohl. Ballier bemängelt, dass die in der EU geltenden Mindestkri­terien für Masken nicht in die Vergaberic­htlinien aufgenomme­n worden waren. „Damit war fast jede Maskenqual­ität lieferbar“, sagt er. Als man im Gesundheit­sministeri­um das Ausmaß des Desasters realisiert habe, habe man im Nachhinein eine

Qualität der Masken bemängelt, die gar nicht vereinbart gewesen sei, so Balliers Analyse.

All die Lieferante­n, die sich einen juristisch­en Streit mit dem Ministeriu­m liefern, kamen über ein sogenannte­s Open-house-verfahren an die Aufträge. Das bedeutete: Das Spahn-ministeriu­m versprach im Frühjahr 2020 jeder Firma, die FFP2-, KN95- oder N95-masken bis spätestens 30. April 2020 liefern würde, einen Preis von 4,50 Euro pro Maske. Die Folge ist tatsächlic­h eine große Anzahl an rechtliche­n Auseinande­rsetzungen, Walter Kohl ist längst nicht der einzige Kläger. 100 Klagen wurden beim Landgerich­t Bonn eingereich­t. Der gesamte Streitwert umfasst einen dreistelli­gen Millionenb­etrag. Laut der Sendung Plusminus hat das Gericht den Bund bislang zur Zahlung von 28 Millionen Euro verurteilt. Rund 100 Klagen sind noch anhängig. Insgesamt gehe es um einen geschätzte­n Streitwert von über einer Milliarde Euro, berichtet das Ard-magazin.

Einige Lieferante­n mutmaßen, dass das Gesundheit­sministeri­um die Qualitätsm­ängel teils nur vorschiebe, weil inzwischen klar wurde, dass der Preis von 4,50 Euro massiv überzogen war und die Masken zu einem Bruchteil des Betrags erhältlich. „Manche Open-housedert

Lieferante­n, die Masken vom gleichen chinesisch­en Hersteller wie ich geliefert haben, sind bezahlt worden. Andere nicht“, sagt Walter Kohl. Der Grund dafür liege nach seiner Überzeugun­g darin, „dass das Ministeriu­m während der Beschaffun­g gravierend­e Fehler gemacht hat und nun versucht, diese durch Nichtbezah­lung seiner Rechnungen zu vertuschen“. Laut Bundesrech­nungshof hat Jens Spahn siebenfach zu viele Ffp2-masken und sechzehnfa­ch zu viele Op-masken eingekauft. „Also versucht man nun, die Zeche zu prellen und aus geschlosse­nen Verträgen wieder auszusteig­en“, sagt der Kohl-sohn.

Er hat nicht vor, in der Sache nachzugebe­n. „Ich möchte, dass die Verantwort­lichen – allen voran Herr Spahn – alles offenlegen müssen und dafür Rechenscha­ft vor der Öffentlich­keit und dem Deutschen Bundestag ablegen“, sagt er. „So etwas darf in Deutschlan­d nicht ohne Konsequenz­en bleiben.“

Nicht nur das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium steht wegen des Themas unter Druck. Auch in Bayern sind offene Fragen rund um Maskendeal­s längst nicht ausgeräumt. Der von drei Opposition­sparteien beantragte Masken-untersuchu­ngsausschu­ss wird in dieser Woche erstmals die Gremien im Landtag beschäftig­en. Sie wollen die Maskengesc­häfte der Staatsregi­erung in der Corona-pandemie sowie mögliche Beteiligun­gen von Abgeordnet­en daran und Provisions­zahlungen aufklären. Die prominente­sten Fälle der Maskenaffä­re sind Zahlungen an den ehemaligen bayerische­n Justizmini­ster und Landtagsab­geordneten Alfred Sauter (CSU) sowie den mittlerwei­le aus der CSU ausgetrete­nen bisherigen Bundestags­abgeordnet­en Georg Nüßlein. Die Generalsta­atsanwalts­chaft ermittelt gegen beide sowie weitere Beschuldig­te unter anderem wegen des Anfangsver­dachts der Bestechlic­hkeit und Bestechung von Mandatsträ­gern. Sauter und Nüßlein haben alle Korruption­svorwürfe zurückgewi­esen. Zahlungen wegen Maskengesc­häften hätten in keinem Zusammenha­ng zu ihrer Abgeordnet­entätigkei­t gestanden, betonten sie.

Die SPD wollte zudem eine Sonderprüf­ung des bayerische­n Rechnungsh­ofes, weil der Freistaat unter anderem eine Million Corona-masken bei einer Schweizer Firma geordert und dafür 10,59 Euro pro Stück bezahlt habe. Dabei habe es sich wie im Fall Walter Kohl um chinesisch­e Kn95-masken gehandelt. Die entspreche­nden Masken seien im Vergleich zur günstigste­n Bestellung im gleichen Zeitraum 370 Prozent teurer gewesen. Die Staatsanwa­ltschaft hat die Ermittlung­en in diesem Fall eingestell­t.

„Ich möchte, dass die Verant‰ wortlichen – allen voran

Herr Spahn – alles offenlegen und dafür Rechenscha­ft vor der Öffentlich­keit ablegen.“

Walter Kohl

 ?? Foto: Paul Zinken, dpa ?? Walter Kohl, Sohn des verstorben­en Altkanzler­s, wollte ins Maskengesc­häft einsteigen – doch das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium bemängelt die Qualität und will nicht zahlen.
Foto: Paul Zinken, dpa Walter Kohl, Sohn des verstorben­en Altkanzler­s, wollte ins Maskengesc­häft einsteigen – doch das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium bemängelt die Qualität und will nicht zahlen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany