Neu-Ulmer Zeitung

„Wir könnten noch ganz andere Preise sehen“

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Interview Gasmarkt-experte Helmut Kusterer über weiter steigende Kosten und das schlimmste Szenario für den Winter

Herr Kusterer, Gas hat sich in den vergangene­n Monaten rasant verteuert. Erste Energiever­sorger sind pleite, die Politik ist alarmiert. Was steht uns im Winter bevor?

Helmut Kusterer: Was wir derzeit im Markt erleben, ist wirklich eine Sondersitu­ation. Das hohe Preisnivea­u und die Preissprün­ge auf diesem Niveau sind für die Gas-einkäufer und -Händler nicht kompensier­bar. Die Verbrauche­r werden sich in diesem und im kommenden Winter auf saftige Preiserhöh­ungen einstellen müssen.

Steht Deutschlan­d nur vor massiven Preiserhöh­ungen oder könnte Gas auch knapp werden und ausgehen?

Kusterer: So schnell geht das Gas nicht aus. Am Ende wird es aber eine Frage des Preises sein, den man bereit ist, dafür zu zahlen.

Aber die Knappheit ist doch schon da? Kusterer: Das stimmt. Im Moment kommen viele Faktoren zusammen. Allgemein gesprochen war das Investitio­nsklima im Öl- und Gasmarkt in den vergangene­n Jahren nicht gut. Die Preise für fossile Energieträ­ger waren niedrig, was die Erschließu­ng neuer Vorkommen gehemmt hat. Die Börsenkurs­e von Konzernen wie Exxon oder Shell liegen unter dem Niveau vor fünf Jahren. es Gasunterne­hmen viel Geld, Gas in Speicher zu drücken, das später nicht abgerufen wird. Genau das ist aber im Krisenjahr 2020 passiert. Ende 2019 waren die Speicher voll, aber 2020 zerfiel die Nachfrage und die Preise waren im Keller und deswegen scheint es naheliegen­d, dass sich Gazprom in diesem Jahr zurückgeha­lten und weniger eingespeis­t hat, auch um seine Kosten zu optimieren. Die vertraglic­h zugesicher­ten Mengen wurden geliefert, aber eben nicht mehr.

Was auch immer die Motive waren, der Schlamasse­l ist nun da, oder? Kusterer: Es wird auf den Winter ankommen. Wenn er deutlich kälter wird als der langjährig­e Durchschni­tt, wird die Unruhe im deutschen Gasmarkt schnell zunehmen. Wir könnten dann noch ganz andere Preise sehen. Dann wird es hektisch.

Die Gasversorg­ung war schon immer ein neuralgisc­her Punkt für Deutschlan­d. 2012 mussten sogar Kraftwerke und Industrieb­etriebe vom Netz gehen, um die Versorgung aufrechtzu­erhalten. Hat Deutschlan­d nichts gelernt? Kusterer: Ich würde nicht allzu schwarzmal­en. Die deutsche Gasinfrast­ruktur ist nicht zuletzt als Folge der damaligen Winterkris­e intakt. Wir haben das Niveau an großen, saisonalen Gasspeiche­rn erhalten können, obwohl deren Betrieb wirtschaft­lich gesehen in Normaljahr­en nicht sonderlich lukrativ ist. Mit Nord Stream 1 und 2 wurden die Einspeisun­gen weiter diversifiz­iert, und wir haben jetzt direkten Zugang zum russischen Pipelinesy­stem. Mit neuen Leitungen wie der Opal- oder Eugal-pipeline kann Gas zudem von Ostdeutsch­land besser in den Süden der Republik gebracht werden. In Europa stehen zudem viele unausgelas­tete Terminals für die Einspeisun­g von verflüssig­tem Erdgas (LNG) zur Verfügung. Insgesamt sind wir strukturel­l besser auf Krisen vorbereite­t als vor einem Jahrzehnt. Die derzeit extrem hohen Preise und die enormen Preisschwa­nkungen machen mir aber dennoch Sorge.

Warum genau?

Kusterer: Wenn die Preise noch weiter steigen, könnte ein Szenario eintreten, das wir in ähnlicher Weise im Bankenmark­t in der Finanzkris­e von 2007/08 gesehen haben. Damals haben sich die Banken untereinan­der kein Geld mehr geliehen, weil sie einander nicht mehr vertraut haben. Die sogenannte­n Kreditlini­en waren ausgeschöp­ft. Das hat zu einer fatalen Kreditklem­me und Pleiten geführt. Im Strom- und Gasgeschäf­t ist es vergleichb­ar. Die Unternehme­n räumen sich untereinan­der Kreditlini­en ein. Wenn die Energie- , also auch die Gaspreise weiter steigen, reichen die Kreditlimi­ts nicht mehr aus, die bestellten Mengen zu decken. Wenn wir in einen Zustand geraten, wo der eine Händler dem anderen nicht mehr traut, weil er ihn nicht mehr für liquide hält, haben wir eine sehr brenzlige Situation. Was dann passiert, will ich mir gar nicht ausmalen.

Was?

Kusterer: Der Handel könnte zum Erliegen kommen. Der Markt wäre außer Kraft gesetzt. Dieses Szenario halte ich für deutlich gefährlich­er als Diskussion­en um Speicherfü­llstände von Gazprom, denn es betrifft den Strom- und den Gasmarkt.

Interview: Walther Rosenberge­r

Helmut Kusterer ist seit fast 40 Jahren im Ener‰ giegeschäf­t tätig. Er ist Gründer einer eigenen Beratungsg­esellschaf­t.

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Foto: Jens Büttner, dpa Noch fließt kein Gas durch die Pipeline Nord Stream 2.
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