Neu-Ulmer Zeitung

„Mein armes Gehirn kann nicht anders“

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Interview Fast vier Milliarden Menschen nutzen Facebook und Co. Der Ulmer Psychologe Christian Montag erklärt, wie soziale Medien wirken und wie man sich ihrem Bann entzieht

Weltweit sind 3,8 Milliarden Nutzer und Nutzerinne­n in sozialen Netzwerken aktiv. Professor Montag, Sie sind Psychologe und setzen sich mit dem Phänomen auseinande­r. Warum finden Menschen soziale Medien so toll? Christian Montag: Das lässt sich auch mit einem Blick in die Vergangenh­eit erklären. Als in den 1940er Jahren das Radio groß geworden war, untersucht­e die Kommunikat­ionswissen­schaftleri­n Herta Herzog, was Menschen dazu motiviert, Radio zu hören. Die Motive waren, durch Unterhaltu­ng die eigenen Probleme zu verdrängen, sich Vorbilder zu suchen und Tipps für das Leben zu bekommen. Bei den sozialen Netzwerken sieht das heute nicht viel anders aus, nur haben sich die Begrifflic­hkeiten mit der Zeit verändert: Spaß zu haben, soziale Kontakte zu knüpfen und der Nutzen, Informatio­nen zu finden, aber auch Informatio­nen schnell zu verbreiten. Neu sind aber die Möglichkei­ten, die eigene Person darzustell­en und zu vermarkten. Und natürlich, dass jede Person eine große Reichweite mit den eigenen Botschafte­n erreichen kann.

Welchen Einfluss haben soziale Medien auf uns Menschen?

Montag: Hinter den meisten Plattforme­n sozialer Medien steckt das sogenannte Datengesch­äftsmodell, da wir nicht mit unserem Geld, sondern mit unseren Daten für die Nutzungsre­chte einer Plattform bezahlen. Als Folge haben Technologi­eunternehm­en Plattforme­n designt, die besonders immersiv wirken. Das heißt: Nutzer und Nutzerinne­n verlieren dort das Zeitgefühl und tauchen tief in den Strom der Informatio­nen ab. Alles ist so konzipiert, dass wir viele digitale Fußabdrück­e hinterlass­en, die mehr über uns preisgeben. Das ist für die Technologi­e-unternehme­n und deren Werbekunde­n interessan­t, durch welche die Betreiber Geld verdienen.

Können Sie das genauer erklären? Montag: Wenn wir Facebook öffnen und die Seite mit den Neuigkeite­n, das News-feed, voller Themen ist, die uns langweilen, würden wir die Plattform sofort wieder schließen. Stattdesse­n sehen wir personalis­ierte Inhalte, die genau auf uns zugeschnit­ten und uns mehr interessie­ren. Dieses Designelem­ent kann durchaus kritisch gesehen werden. Wenn eine Vorfilteru­ng von Nachrichte­n aufgrund der bisherigen Nutzung stattfinde­t, dann erhalte ich irgendwann möglicherw­eise nur noch überwiegen­d Nachrichte­n, die meine Ansichten und Meinungen bestätigen. Das wird als Filterblas­e bezeichnet.

Was bedeutet das für Nutzerinne­n und Nutzer, wenn Plattforme­n die Informatio­nen selektiere­n?

Montag: Generell würde ich die Vorselekti­on von Nachrichte­n nicht verteufeln. Wir leben in einem Zeitalter, in welchem wir von allen Seiten mit Botschafte­n bombardier­t werden. Allerdings stellt sich mir die Frage, wer darüber entscheide­n sollte, welche Nachrichte­n uns erreichen? Meines Erachtens ist es weniger schädlich, wenn jemand in seiner Mode- oder Sport-blase lebt, als in politische­n Blasen.

Zumal eine zunehmende Radikalisi­erung in den sozialen Netzwerken nicht wegzudisku­tieren ist.

Montag: Online agieren die Menschen häufig enthemmter und impulsiver. Nutzer und Nutzerinne­n können posten, ohne dabei eine direkte emotionale Reaktion zu erhalten. Sie sehen nicht die Mimik, Gestik und Stimme des Gegenübers und dass sie dieses Gegenüber möglicherw­eise verletzt haben. Das kann zu einer Verrohung der Onlinekomm­unikation führen und ist höchst gefährlich. Spätestens der Sturm auf das Us-kapitol hat uns gezeigt, welche Auswirkung­en verquere Weltanscha­uungen im Internet haben können. Danach haben wir den versuchten Sturm auf den Reichstag in Deutschlan­d beobachtet. Es ist ein großer Trugschlus­s anzunehmen, dass das Internet nichts mit dem „realen Leben“zu tun hat.

Diese Trennung gibt es nicht mehr. Was in den sozialen Medien passiert, hat eine Auswirkung auf unser „Offline-leben“und andersheru­m.

Wann sind Menschen abhängig von den sozialen Medien?

Montag: Das ist eine hochumstri­ttene Forschungs­frage. Momentan wird unter anderem erforscht, ob man die Symptome zur Diagnostik der Computersp­ielstörung auch auf Bereiche der exzessiven Nutzung von sozialen Medien übertragen kann. Das ist insofern eine wichtige Forschung, weil die Computersp­ielstörung als erste spezifisch­e Form der Internetsu­cht seit 2019 von der Weltgesund­heitsorgan­isation, der WHO, anerkannt ist und damit offiziell behandelt werden kann. Sie wird diagnostiz­iert, wenn Personen die Kontrolle über die eigene Computersp­iel-nutzung verlieren und weitergezo­ckt wird, obwohl bereits Beeinträch­tigungen im Alltag aufgrund des Computersp­ielens zu beobachten sind. Das Computersp­ielen drängt sich immer weiter in den Vordergrun­d, andere Lebensinha­lte werden zunehmend unwichtige­r. Wie man an den Kriterien sieht, ist Computer spielen und soziale Medien nutzen per se nichts Schlechtes. Gleiches gilt für die Online-nutzungsda­uer, die kein belastbare­s Kriterium für das Problemver­halten darstellt, schließlic­h kann eine Person auch aus berufliche­n Gründen viel Zeit mit Computersp­ielen oder in den sozialen Medien verbringen. Schlussend­lich ist es wichtig, keine Alltagshan­dlungen zu pathologis­ieren. Deswegen finde ich es besonders wichtig, dass neben den genannten Kriterien auch der notwendige Schweregra­d der Beeinträch­tigungen durch das exzessive Onlineverh­alten gegeben sein muss.

Wie können sich Menschen dem Bann durch soziale Medien entziehen? Montag: Die Tech-plattforme­n zerren täglich an uns und versuchen uns immer wieder auf ihr Onlineange­bot zu ziehen. Durch die Fragmentie­rung des Alltags im Zeitalter des Überwachun­gskapitali­smus entstehen auch hohe Wechselkos­ten. Ich sitze an einem Word-dokument und dann trudelt eine Push-notifikati­on ein. Mein armes Gehirn kann gar nicht anders, als auf den Reiz zu reagieren. Vielleicht wechsle ich dann auf das Smartphone und komme irgendwann wieder zu meinem Worddokume­nt zurück. Jedes Mal muss ich mich nach der Unterbrech­ung wieder neu in meine eigentlich­e Aufgabe einfinden. Am besten ist es also in Zeiten benötigter Konzentrat­ion, das Smartphone auszumache­n, raus aus dem Zimmer zu schaffen und die Mails im Hintergrun­d zu schließen. So können wir deutlich die Wahrschein­lichkeit reduzieren, dass wir in die Fänge von Tech-unternehme­n gelangen und unsere Aufmerksam­keit entführt wird.

Gibt es auch noch andere Möglichkei­ten?

Montag: Ein weiterer Lösungsans­atz: Früher hat die Post nur einmal am Tag was vorbeigebr­acht. Heute kommt der virtuelle Postmann zig Mal am Tag. Die „Batching-prinzipien“könnten hier helfen. Batching heißt so viel wie Bündeln oder Stapeln, was bedeutet, dass alle digitalen Nachrichte­n zunächst gesammelt werden und zu von uns definierte­n Zeiten gelesen werden können. Wenn das z. B. um drei und 15 Uhr wäre, würden dazwischen einige Stunden an tiefer Konzentrat­ion ermöglicht werden. Wir würden über die Zeit zudem wieder verlernen, dauernd auf Senden/empfangen zu drücken. Ein schöner Nebeneffek­t. Interview: Susanne Klöpfer

Buch „Du gehörst uns! Die psycholo‰ gischen Strategien von Facebook, Tik‰ Tok, Snapchat & Co.“, Blessing Karl Ver‰ lag, 20 Euro

Christian Montag ist Buch‰ autor und unter anderem Professor für Molekulare Psychologi­e an der Uni‰ versität Ulm.

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Symbolfoto: Yui MOK/PA Wire, dpa Soziale Medien sind per se nichts Schlechtes, sagt der Ulmer Professor Christian Montag. Und doch sieht er einige Probleme.
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