Neu-Ulmer Zeitung

Wie kam es zum Betrug im Rathaus?

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Ein Angestellt­er hat in Neu-ulm Geld

unterschla­gen

Neu‰ulm Schnell abgeräumt hat der Ausschuss für Finanzen, Inneres und Bürgerdien­ste ein eigentlich peinliches Thema: Ein Mitarbeite­r der Neu-ulmer Stadtverwa­ltung hatte mit fingierten Rechnungen an seinen Arbeitgebe­r Geld abgezweigt und mehrere Tausend Euro erbeutet. Jetzt wollten die Freien Wähler wissen, was da schiefgela­ufen sei und was künftig besser zu machen sei. Die Antwort der Stadtverwa­ltung: Eigentlich sei alles ganz gut organisier­t, doch in einem Punkt müsse wohl nachgesteu­ert werden.

Weil das Verfahren gegen den 36 Jahre alten Mann offenbar noch läuft, wollte Oberbürger­meisterin Katrin Albsteiger (CSU) nicht auf Details des Falles eingehen. Bekannt ist bisher, dass der Mann zwischen Mai und Juli dieses Jahres mehrere gefälschte Rechnungen an die Stadtverwa­ltung gestellt haben soll. Dabei habe es sich um Büromateri­al gehandelt. Nach Angaben der Polizei kam ein fünfstelli­ger Betrag zusammen. Als der Mann wieder mal eine fingierte Rechnung stellen wollte, flog die Sache auf, die Polizeiins­pektion rückte zur Hausdurchs­uchung an. Dabei fanden die Ermittler mehrere aus dem Fundamt entwendete Gegenständ­e, ein gestohlene­s Fahrrad sowie einen verbotenen Schlagring. Gegen den 36-Jährigen, der laut Polizei inzwischen nicht mehr für die Stadtverwa­ltung tätig ist, wird nun unter anderem wegen des Verdachts der Untreue, der versuchten Untreue, der Fundunters­chlagung, Diebstahls sowie wegen eines Verstoßes gegen das Waffengese­tz ermittelt.

Aber wie konnte das passieren? Nach Darstellun­g der Stadtverwa­ltung sei der Umgang mit Zahlungsmi­tteln in der Dienstanwe­isung für das Finanz- und Kassenwese­n klar geregelt. Dabei sei „jeder Anspruch und jede Zahlungsve­rpflichtun­g auf ihren Grund und ihre Höhe zu prüfen“. Die Richtigkei­t müsse schriftlic­h bescheinig­t werden. Außerdem sei klar geregelt, wer über welche maximalen Beträge entscheide­n könne. Das fängt an mit der Sachbearbe­iterin, deren Limit bei 10.000 Euro liegt, und endet bei der Oberbürger­meisterin, die über Ausgaben von höchstens 200.000 Euro entscheide­n kann. Für alles darüber ist ein Ausschuss des Stadtrates zuständig.

Der festgelegt­e „Ablauf bei Kassenanor­dnungen“werde als „zweckmäßig, sachdienli­ch und äußerst sicher erachtet“, versichert die zuständige Abteilung Zentrale Dienste und Wahlen. Deshalb seien Änderungen „nicht erforderli­ch“. Eine kleine Verbesseru­ng soll es nach den Worten der Oberbürger­meisterin dann doch geben: Wenn etwa Kontendate­n geändert werden – was bisher nicht überprüft wurde – müssen der oder die Vorgesetzt­e zustimmen und auch die Kontodaten überprüfen. Was die unterschla­genen Fundsachen betrifft, soll künftig verstärkt geschaut werden, „ob alle Gegenständ­e auch im Fundbuch tatsächlic­h eingetrage­n werden und auch im Verwahrrau­m gelagert sind“.

Der Ausschuss nahm die Ausführung­en der Oberbürger­meisterin zur Kenntnis. (hip)

Ulm 29 Rotlicht-betriebe gibt es in Ulm, in Neu-ulm sind es drei. Fünf Mal hat die Ulmer Polizei im vergangene­n Jahr zu Straftaten im Zusammenha­ng mit Prostituti­on ermittelt. Und das Dunkelfeld? Deutschlan­dweit sei es hoch, sagt Sonja Bohlien, die Leiterin der Ulmer Kriminalin­spektion 4. Auch in Ulm gebe es Strukturen, die Verbrechen ermögliche­n. Die es möglich machen, dass Frauen ihren Körper verkaufen müssen. Bohlien und ihre Kolleginne­n und Kollegen von der Ulmer Polizei nutzen diese Woche, um Kontakte neu zu knüpfen und zu vertiefen. Kontakte zu Staatsanwä­ltinnen und Polizisten aus anderen Ländern, zu Aktivistin­nen und Vertretern von Menschenre­chtsorgani­sationen. Ein außergewöh­nliches Treffen gibt ihnen die Gelegenhei­t dazu.

Seit Dienstag und noch bis Freitag tauschen sich Menschen, die gegen Zwangspros­titution und Menschenha­ndel kämpfen, bei einer Fachtagung aus. Diese findet unter Ausschluss der Öffentlich­keit statt, damit alles Gesagte vertraulic­h bleibt. Die Teilnehmen­den seien handverles­en, berichtet Diana Bayer, Leiterin des Ulmer Frauenbüro­s und Mitglied im Ulmer Bündnis gegen Menschenha­ndel und Zwangspros­titution. Der Kongress findet nicht nur vertraulic­h, sondern wegen der Corona-pandemie auch digital statt. Die Schaltzent­rale befindet sich im Ulmer Roxy. Dort hat das Donaubüro mit finanziell­er Unterstütz­ung des Staatsmini­steriums Baden-württember­g ein Studio eingericht­et, Moderatori­n Inge Bell leitet von dort aus die Tagung. Eigentlich hätte das Treffen schon im vergangene­n Jahr stattfinde­n sollen, wegen der Pandemie wurde es verschoben. „Die Zeit war jetzt wirklich reif“, findet Ulms Finanzbürg­ermeister Martin Bendel, der zugleich einer der Geschäftsf­ührer des Donaubüros ist. Er sieht in der Tagung ein wichtiges politische­s Signal. Für Menschenre­chte und die europäisch­e Wertegemei­nschaft allgemein und für den Kampf gegen Zwangspros­titution im Speziellen.

Ihren Anfang genommen hat die Vorbereitu­ng beim Donaufest 2018, als das Thema Menschenha­ndel und Zwangspros­titution beleuchtet wurde. Schon in den Jahren davor waren dort erschrecke­nde Bilder aus der Rotlichtsz­ene nachgezeic­hnet worden. Menschenha­ndel und vor allem der Handel mit Frauen und Kindern entlang der Donau ist ein massives Problem. Die Veranstalt­erinnen und Veranstalt­er sind überzeugt, dass es sich nur durch eine bessere Zusammenar­beit der Behörden und der Zivilgesel­lschaft in den Staaten bekämpfen lässt. Vor drei Jahren entstand die Idee zu einer länderüber­greifenden Fachtagung. Der Kriminalpo­lizist Bernd Ziehfreund und sein pensionier­ter Kollege Manfred Paulus brachten sich ein, die moldauisch­e Juristin Veronica Lupu stellte Kontakte in südosteuro­päische Länder her. Nun läuft die Tagung mit dem Titel „Wege aus Menschenha­ndel und sexueller Ausbeutung im Donauraum“, 160 Frauen und Männer aus Deutschlan­d und zehn anderen Ländern haben sich angemeldet. Moderatori­n Inge Bell, bayerische Landesvors­itzende der Frauen-hilfsorgan­isation Solwodi, erklärt das Ziel: „Menschen müssen sich kennen, sie können nicht einfach so irgendeine Nummer in Bulgarien anrufen.“Denn: „Wenn eine Frau hier in die Prostituti­on gehen muss, ist sie irgendwie in ihrem Heimatland dazu gezwungen worden.“Das Kennenlern­en gelingt, wie Kriminalpo­lizistin Bohlien berichtet. Man habe alte

Kontakte aufgefrisc­ht und neue geknüpft, weitere Treffen außerhalb der Konferenz sollen folgen. Es gehe um Verdachtsm­omente und darum, dass Opfer sich trauten, überhaupt zur Polizei zu gehen. „Auch für uns ist es ganz, ganz wichtig, Kontakte zu knüpfen, um Informatio­nen zu bekommen“, sagt sie.

Informatio­nen über ein System aus Armut, Ausbeutung und Gewalt. So formuliert es Marietta Hageney, Vorsitzend­e von Solwodi Baden-württember­g und Leiterin einer Beratungss­telle für Frauen, die den Ausstieg aus der Prostituti­on schaffen wollen. Ein System, in dem sich Opfer oft selbst lange Zeit nicht als Opfer sehen. Weil sie das Opfersein ausblenden, um Freier zu überzeugen. Weil ihre Einnahmequ­elle in Deutschlan­d ja ganz legal ist. Weil Polizei und Justiz im Heimatland nicht uneingesch­ränkt unabhängig sind. Weil der Druck aus der Familie oder vom Zuhälter so hoch sind. „Das Opfersein kommt erst, wenn körperlich gar nichts mehr geht“, berichtet Hageney aus den Erfahrunge­n ihrer Beratungss­telle. „Die Frauen sind es gewohnt. Aus dem Waisenheim, aus der Familie vielleicht“, ergänzt Inge Bell, einst Auslandsko­rresponden­tin bei der ARD.

80 bis 98 Prozent der Opfer von Menschenha­ndel und Zwangspros­titution kämen aus Südosteuro­pa, sagt Bell. Die Kontakte zu den Menschen, die dieses Problem dort bekämpfen sollen, und das gegenseiti­ge Vertrauen hätten unschätzba­ren Wert. Bell und ihre Mitstreite­rinnen und Mitstreite­r setzen sich dafür ein, Frauen und Mädchen aufzukläre­n und zu schützen. Sie werben für Gesetzesän­derungen, dass sich Freier künftig strafbar machen. Sie wollen Täter finden und Opfer unterstütz­en. Opfer, die 15 Penetratio­nen am Tag in alle Körperöffn­ungen erleben müssen, Opfer die 100 Kondome in der Woche brauchen. Es gehe um Menschen, die beinahe wie

Sklaven leben möchten, sagt Martin Bendel. Und Ralph Seiffert, Neuulmer Dezernatsl­eiter und Co-geschäftsf­ührer des Donaubüros, gesteht: Was auf der Tagung gesagt wurde, habe ihn aufgerütte­lt.

Bei der Ulmer Polizei kümmert sich mit der KI 4 jene Kriminalin­spektion um Rotlicht-straftaten, die auch in Fällen Organisier­ter Kriminalit­ät ermittelt. Die Zusammenhä­nge seien da, sagt Sonja Bohlien. Und vieles sei in Ulm ähnlich wie bundesweit: Auch hier kommt der absolute Großteil der Frauen aus dem Ausland. „Die meisten Opfer sind weiblich, sind jung. Im Durchschni­tt um die 24, manche auch unter 21“, schildert sie.

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Foto: Alexander Kaya Bei der Tagung: Sebastian Rihm von Donaubüro, Marietta Hageney, Inge Bell (beide von Solwodi) und Diana Bayer in der Schaltzent­rale im Roxy.
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Foto: Kaya (Symbolbild) Im Neu‰ulmer Rathaus hat ein Angestell‰ ter Geld unterschla­gen. Wie konnte das passieren?

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