Neu-Ulmer Zeitung

Söders Fehler kommen nicht zur Sprache

- VON ULI BACHMEIER

Analyse Die CSU schafft es nicht, mit ihrem Vorsitzend­en Tacheles zu reden. Das könnte der Grundstein für das nächste

Wahldebake­l sein. Dabei wär’s so einfach. Eine andere Partei hat vorgemacht, wie man mit Niederlage­n umgeht

München Gute Witze oder bittere Wahrheiten oder beides? So ganz genau weiß man das noch nicht in der CSU. Deshalb zuerst zu den vielsagend­en Witzen, die seit der Wahlschlap­pe der Union bei der Bundestags­wahl in der CSU im Landtag Hochkonjun­ktur haben.

Witz Nummer 1: Ministerpr­äsident und CSU-CHEF Markus Söder sitzt auf der Regierungs­bank im Plenarsaal und denkt darüber nach, wie er ein packendes Signal des Aufbruchs ins schöne Bayernland senden könnte. Schließlic­h steht schon 2023 der nächste Landtagswa­hlkampf vor der Tür – für die CSU traditione­ll die „Mutter aller Schlachten“. Söder schaut nach links und nach rechts zu seinen Ministerin­nen, Ministern und dem einzigen Staatssekr­etär der CSU und denkt sich: So eine Regierungs­umbildung, um mit frischen Gesichtern und einer runderneue­rten Csumannsch­aft zur Wahl anzutreten, das könnte die Rettung sein. Dann schaut er nach vorne in die Leichenbit­termienen seiner Abgeordnet­en und erkennt, dass die Idee wahrschein­lich doch nicht so gut ist. Die Neuen im Kabinett, so die bittere Erkenntnis, wären wahrschein­lich auch nicht besser.

Witz Nummer 2: Ein altgedient­er Csu-landtagsab­geordneter steht etwas hilflos im Steinernen Saal und zeigt sich höchst verwirrt. „Wen, bitte schön, muss ich da in Zukunft anrufen, wenn in Berlin eine Ampelkoali­tion regiert und ich daheim im Stimmkreis eine neue Autobahnau­sfahrt oder eine Umgehungss­traße brauche?“Eine Mitgefühl heuchelnde Spd-abgeordnet­e antwortet: „Dann sagst du das mir, ich sag’s unserem Bundeskanz­ler Olaf Scholz und der sagt’s dann dem neuen Verkehrsmi­nister Toni Hofreiter von den Grünen. Dann schau mer mal.“Und ein danebenste­hender

Grüner setzt noch eine Gemeinheit oben drauf: „Du kannst es auch uns sagen, dann sagen wir es direkt dem Toni, aber dann solltest du vorsichtsh­alber einen Radweg mit Umgehungss­traße fordern.“

Witz Nummer 3: Zwei Csu-abgeordnet­e diskutiere­n die Wahlschlap­pe und die Frage, welche Konsequenz­en daraus zu ziehen sind. Sagt der eine: „Klare Sache. Unser Markus sagt: Der Armin Laschet und seine CDU sind schuld. Das war doch ein völlig inhaltslee­rer Wahlkampf, den die CDU da abgeliefer­t hat.“Der andere zweifelt: „Aber wir hatten doch auch keine wirklich knallenden Botschafte­n.“Sagt der eine: „Das stimmt leider, aber der Markus hat jetzt so einen Drei-tage-bart. Der gibt jetzt den Alpen-habeck.“

Dass sich Selbstiron­ie und Sarkasmus in der einst erfolgsver­wöhnten Partei in dieser Weise Bahn brechen, hat einen Grund. Schon seit dem ersten drastische­n Wahldebake­l der CSU in diesem Jahrhunder­t, dem Absturz bei der Landtagswa­hl 2008, missachtet­e die Parteiführ­ung die altbekannt­e Mahnung ihres Übervaters Franz Josef Strauß, dass eine falsche Analyse nur den Grundstein für die nächste Niederlage legt. Mehrfach wurde versproche­n, der Sache schonungsl­os, transparen­t und ohne Ansehen der Person auf den Grund zu gehen. Doch dazu kam es nie. Und dazu kommt es offenbar auch jetzt nicht. Die „Basiskonfe­renzen“in den Csu-bezirken finden hinter verschloss­enen Türen statt. Dort gilt, wie frustriert­e Parteimitg­lieder berichten, nur das, was der Parteivors­itzende sagt. Kritik am Chef sei unerwünsch­t.

Die Eckpunkte von Söders Analyse sind bekannt: Ich wäre der bessere Kanzlerkan­didat gewesen. Ich hätte einen offensiver­en und weitaus dynamische­ren Wahlkampf geführt. Die Cdu-führung wollte mich nicht. Selber schuld. Jetzt haben wir die Bescherung. Punkt.

Das ist vermutlich nicht falsch, aber es ist offenkundi­g unzureiche­nd. Söders Botschaft an seine Parteibasi­s folgt einer Logik, die ein ehemaliger gescheiter­ter Kanzlerkan­didat, Peer Steinbrück (SPD), einst mit den schönen Worten „Hätte, hätte, Fahrradket­te“umschriebe­n hat. Obendrein hat Söders Version der Ereignisse offensicht­lich einen entscheide­nden Schwachpun­kt: Sie endet im Kern mit dem 20. April 2021, also dem Tag, an dem er nach einem erbitterte­n Machtkampf seinem Konkurrent­en Laschet die Kanzlerkan­didatur für die Union wohl oder übel überlassen musste. Was danach folgte, klammert Söder weitgehend aus.

Selbst wenn die Entscheidu­ng für Laschet ein grundlegen­der Fehler war, so war es doch nicht der einzige. Es gab Fehler im Vorfeld der Entscheidu­ng und es folgten hinterher weitere. Der frühere CSU-CHEF Horst Seehofer sprach in solchen Fällen von „Sekundärfe­hlern“, die nicht selten zu einer Verschlimm­erung der Situation führen. Das ist es, was Cdu-politiker Söder vorwerfen: Er habe zwar vielleicht nicht die ganze Misere verursacht, aber er sei schuld, dass am Ende der Union jene zwei oder drei Prozent der Stimmen fehlten, die Laschet zum Kanzler gemacht hätten.

Hier also ein paar Anregungen, worüber die CSU mit ihrem Parteivors­itzenden reden könnte, wenn sie denn wollte.

Fehler Nummer 1: Söder ging Anfang des Jahres davon aus, dass die Union in der öffentlich­en Meinung weit vorne liegt und im Herbst mit den zunächst ebenfalls sehr starken Grünen eine neue Regierung wird bilden können. Gleichzeit­ig war er der Meinung, dass seine persönlich­en Beliebthei­tswerte ihn zum idealen Kandidaten machten. Er richtete seine ganze Politik darauf aus, missachtet­e aber, als er sich mit Laschet auf einen Machtkampf einließ, eine altbekannt­e Grundregel: konservati­v-bürgerlich­e Wähler mögen keinen Streit.

Fehler Nummer 2: Söders Kalkül fußte auf einer Strategie, mit der er es in den Jahren zuvor an die Spitze von Staat und Partei in Bayern gebracht hatte: Er setzte auf seine Zugkraft an der Basis und im Mittelbau der Union und präsentier­te sich den Kandidatin­nen und Kandidaten von CDU und CSU als starker Anführer, der ihnen ihre Mandate im Bundestag sichern kann. Er setzte auf öffentlich­e Konfrontat­ion statt auf vertraulic­he Verhandlun­g. Das Problem dabei: Was vor Jahren in der CSU funktionie­rt hat, funktionie­rte in der CDU nicht. Oder, wie der Volksmund sagt: Wer nur einen Hammer hat, für den ist jedes Problem ein Nagel.

Fehler Nummer 3: Söders Bewerbung für die Kanzlerkan­didatur war schlecht vorbereite­t und kam zu spät. Hätte er sein „Angebot“gleich zu Jahresbegi­nn unterbreit­et, als die CDU noch nach einem neuen Parteichef suchte, dann wären seine Chancen wahrschein­lich größer gewesen. Die CDU hat der CSU, das lehrt die Geschichte, die Kanzlerkan­didatur nur in Momenten der eigenen Schwäche überlassen. Söder zögerte im falschen Moment. Und er kam im falschen Moment aus der Deckung.

Fehler Nummer 4: Nachdem er an der Hartleibig­keit Laschets und der Cdu-granden gescheiter­t war, gelang es dem CSU-CHEF nicht, über seinen Schatten zu springen, ins Glied zurückzutr­eten und Laschet mit allem, was er hatte, zu unterstütz­en. Er stänkerte, stichelte, kritisiert­e einen Wahlkampf im „Schlafwage­nmodus“und ließ bis zuletzt alle wissen, dass er der bessere Kandidat gewesen wäre. Söders Groll war stärker als seine Fähigkeit zur Selbstkont­rolle.

Fehler Nummer 5: So treffend die Kritik am Schlafwage­nwahlkampf der CDU auch gewesen sein mochte – der CSU gelang es nicht, einen zugkräftig­en eigenen Wahlkampf aufzuziehe­n. Nicht nur der CDU fehlte es an zündenden Zukunftsth­emen, auch die CSU hatte in ihrem bayerische­n Zusatzprog­ramm nicht recht viel mehr als steuerpoli­tisches Klein-klein zu bieten. Wer zum soundsovie­lten Mal die Mütterrent­e für alle Mütter fordert, muss sich die Gegenfrage gefallen lassen: Habt ihr das in all den Jahren in der Bundesregi­erung immer noch nicht durchgeset­zt?

All diese Fehler hängen zusammen. Und wer lange genug mit alten Csu-parteistra­tegen telefonier­t, der könnte die Liste problemlos verlängern. Was ist in so einer Situation zu tun? Wie kann man es besser machen? Eine mögliche Antwort findet sich auf der Homepage der SPD. Die Sozialdemo­kraten, die im Jahr 2021 wie Phönix aus der Asche wieder stärkste Kraft im Bundestag wurden, laborieren schon weitaus länger an einer tiefgreife­nden Identitäts­krise. Nach vielen Pleiten hatte sich der Parteivors­tand 2017 ein Herz gefasst und den Spd-wahlkampf von Politikexp­erten und Marketingp­rofis analysiere­n lassen. Heraus kam ein 108 Seiten starkes Papier mit dem Titel „Aus Fehlern lernen“. Dort ist schonungsl­os, haarklein und ohne Ansehen der Personen aufgeliste­t, was alles falsch gemacht wurde im Wahlkampf 2017

Steinbrück sagt dazu: Hätte, hätte, Fahrradket­te

Kontrollve­rlust ramponiert die Glaubwürdi­gkeit

und – ganz wichtig! – in all den Jahren davor. Eines der zentralen Ergebnisse lautet: „Sicher ist nur: Erneuerung wird nur im Team funktionie­ren. Und nur, wenn das individuel­le Ego wieder hinter die gemeinsame Sache zurücktrit­t. Nur dann wird auch das Vertrauen der Basis zurückkehr­en.“

Der Spd-vorstand hat das für die Verantwort­lichen wenig schmeichel­hafte Papier nicht nur zur Kenntnis, er hat es auch ernst genommen. Und er hat es veröffentl­icht. Jeder konnte nachlesen, wie es zur Entfremdun­g zwischen Basis und Parteiführ­ung kam oder was geschieht, „wenn Kontrollve­rlust die Glaubwürdi­gkeit ramponiert“, weil eine Partei Antworten schuldig bleibt. Die Pointe ist: Die SPD hat im Wahlkampf 2021 die Ratschläge beherzigt. Das Ergebnis ist bekannt.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Söder zögerte im falschen Moment. Und er kam im falschen Moment aus der Deckung.

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