Nahezu perfekter Abend
Ulmer Ballett zeigt seinen Nussknacker
Ulm Der König und die Königin von Zuckerland streifen alles ab, was sie auf ihre majestätischen Rollen festlegt, und beginnen im Pas de deux ihrer Liebe als Hans und Marie neu, ohne die Bürde der Macht. Ein schönes Happy End könnte das sein. Aber da war noch etwas, nämlich der Gegenspieler? Was wird aus jener grauen Maus, die ebenfalls die Liebe der sanften Marie suchte? In einer umjubelten Uraufführung widmet sich der Ulmer Ballettchef Rainer Feistel psychologisch interessant und mit einem hochklassigen Ensemble im Großen Haus „Nussknacker und Mäusekönig“.
Vor einigen Monaten noch kaum vorstellbar: ein voll besetztes Großes Haus, das komplette Orchester im Graben, und am Ende strahlte nicht nur Ulms neuer Chefdirigent Felix Bender übers ganze Gesicht, denn der Stehapplaus endet minutenlang nicht. Rainer Feistels Ballettchoreografie „Nussknacker und Mäusekönig“ähnelt den bekannten Tutu-aufführungen von Tschaikowskis Märchenballett „Der Nussknacker“nur wenig, obwohl Feistel die Musik Tschaikowskis verwendet. Grundlage seiner Choreografie ist eher E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Nussknacker und Mäusekönig“, frei umgesetzt und gedeutet.
Die Geschichte selbst? Die sensible Marie und ihre rabiate Schwester Luise entdecken im Dachboden des Elternhauses einen verstaubten Nussknacker, den Luise beschädigt, während Marie die Figur sofort mag und zur Reparatur bringt – wonach der Nussknacker lebendig wird. Natürlich hat das graue Mäuschen, das ebenfalls Maries Nähe sucht, keine Chance gegen den schneidigen Nussknacker in Uniform. Die Hoffnungslosigkeit macht den Mäuserich bösartig. Er will Anerkennung und Liebe. Spannend: Als der Mäuserich die Glitzer-krone und Uniform bekommt und zum Mäusekönig wird, ist sein Ziel erreicht. Denn er nutzt seine Macht nicht und feiert am Ende Maries Geburtstag mit.
Einen Glücksgriff tat Rainer Feistel mit der Besetzung, zu der Klaus Hellenstein die reizvolle Ausstattung schuf: Maya Mayzel ist eine hinreißend zur Liebe begabte Marie, Yoh Ebihara ein eleganter Nussknacker, der die anfangs ruckartigen Bewegungen der Holzfigur perfekt verinnerlicht hat. Am schönsten: Gabriel Mathéo Belucci, der mit seiner unglaublichen Sprungkraft bereits im Juni als Puck das Publikum begeisterte und als Mäusekönig mit seiner Schnelligkeit, artistischen Sprüngen, Schabernack und erotischen Anspielungen Szenenbeifall erhält. Ein bisschen Vorweihnachtswinterglitzer deutet die Choreografie schon im Oktober an; dem Philharmonischen Orchester ist seine Freude anzumerken, in Vollbesetzung spielen zu dürfen. Eine nahezu perfekte Inszenierung.
Weitere Termine am 29. und 31. Oktober sowie am 7., 16., 21. und 26. November