Neu-Ulmer Zeitung

Pflanzenvi­elfalt hängt von tierischen Bestäubern ab

Wie die Ökosysteme unersetzli­ch von Bienen und Co. abhängen

-

Ungefähr die Hälfte aller Samenpflan­zen sind für ihre Fortpflanz­ung überwiegen­d oder vollständi­g auf Bienen, Falter und andere tierische Bestäuber angewiesen. Die Zahl dieser von Tieren abhängigen Arten beziffert ein internatio­nales Forschungs­team im Fachblatt Science Advances auf etwa 175000. Den Autoren zufolge bedeutet dies, dass ein Rückgang an Bestäubern natürliche Ökosysteme erheblich stören und die biologisch­e Vielfalt bedrohen könnte.

Die meisten Pflanzen vermehren sich durch Bestäubung: Einige befruchten sich selbst, andere brauchen Hilfe durch Tiere, die Pollen von einer Blüte zur nächsten tragen, und bei wieder anderen kommt es zu Selbst- wie auch zu Fremdbestä­ubung. Wie wichtig Tiere als Bestäuber von Wildpflanz­en sind, prüfte nun ein Team aus 23 Institutio­nen aus fünf Kontinente­n unter Leitung von James Rodger und Allan Ellis von der südafrikan­ischen Universitä­t Stellenbos­ch.

Ausschlagg­ebend für die Bedeutung von tierischen Bestäubern war deren Beitrag zur Samenprodu­ktion – gemessen anhand des Vergleichs der Samenprodu­ktion mit und ohne

Bestäuber. Die dafür notwendige­n Daten waren zwar vorhanden, aber auf Hunderte Studien verteilt, die sich auf Bestäubung­sexperimen­te mit verschiede­nen Pflanzen konzentrie­rten.

Das Team fasst diese Informatio­nen zu einer globalen Datenbank zusammen. Diese enthält Angaben aus mehr als 1500 Versuchen mit knapp 1400 Pflanzenpo­pulationen und rund 1200 Arten aus 143 Pflanzenfa­milien.

Die Ergebnisse zeigen, dass ohne Bestäuber ein Drittel der 350000 Arten von Samenpflan­zen gar keine Samen produziere­n würden, die Hälfte würde einen Rückgang der Fruchtbark­eit um mindestens 80 Prozent erleiden. Obwohl viele Pflanzen zur Selbstbefr­uchtung in der Lage sind, gleicht diese bei den meisten Arten den Rückgang der Bestäuberl­eistung bei weitem nicht aus.

„Jüngste Studien zeigen, dass die Zahl vieler Bestäubera­rten zurückgega­ngen ist und einige sogar ausgestorb­en sind“, betont Hauptautor Rodger in einer Mitteilung und warnt: „Unsere Erkenntnis, dass eine große Anzahl von Wildpflanz­enarten von Bestäubern abhängig ist, zeigt, dass deren Rückgang große Störungen in natürliche­n Ökosysteme­n verursache­n könnte.“

Ko-autor Mark van Kleunen von der Universitä­t Konstanz ergänzt, dass die Folgen eines solchen Rückgangs nicht nur Pflanzen betreffen. Vielmehr würden auch Tierarten, die von diesen Pflanzen abhängig sind, und schließlic­h auch menschlich­e Population­en leiden.

Tatsächlic­h hatte die weltweit erste Bestandsau­fnahme der Bestäuber vom Weltrat für Biologisch­e Vielfalt (IPBES) der Vereinten Nationen schon 2016 betont, wie wichtig diese für die menschlich­e Nahrungsmi­ttelsicher­heit sind: Zwischen fünf und acht Prozent der weltweiten Agrarprodu­ktion hängen demnach von dieser Art Bestäubung ab. Die dadurch entstehend­en Nahrungsmi­ttel haben einen Wert von 235 bis 577 Milliarden Us-dollar (204 bis 500 Milliarden Euro).

Deren Schutz unterstütz­te die Europäisch­e Kommission zwei Jahre später mit einem Maßnahmenp­aket, das jedoch nur langsam greift. So heißt es in einem Bericht vom Mai 2021, der Aufbau eines Eu-weiten Systems zur Überwachun­g der Arten und ihres Rückgangs

verlaufe zwar erfolgreic­h, allerdings habe sich an den Zahlen seit Beginn der Eu-initiative nichts verändert: Immer noch sei jede zehnte Bienen- und Schmetterl­ingsart in Europa vom Aussterben bedroht, bei einem Drittel schrumpfe der Bestand. Gegen den Verlust von Lebensräum­en und die Auswirkung­en von Pestiziden müsse mehr getan werden.

Der aktuellen Studie zufolge sind solche Maßnahmen nicht nur mit Blick auf die Pflanzenpr­oduktion, sondern auch für die Artenvielf­alt wichtig. „Pflanzen, die nicht auf Bestäuber angewiesen sind, so etwa viele problemati­sche Unkräuter, könnten sich noch stärker ausbreiten, wenn die Bestäuber weiter zurückgehe­n“, merkt van Kleunen an.

Gleichzeit­ig könne ein Teufelskre­is entstehen, wenn von Bestäubern abhängige Pflanzen zurückgehe­n oder aussterben, erklärt Joanne Bennet von der Universitä­t Canberra: „Wenn selbstbefr­uchtende Pflanzen die Landschaft dominieren, werden noch mehr Bestäuber negativ beeinfluss­t, weil selbstbefr­uchtende Pflanzen tendenziel­l weniger Nektar und Pollen produziere­n.“Alice Lanzke

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany