Bahn schickt mehr Züge auf die Strecke
Verkehr Die Verspätungen häufen sich. Das zwingt das Unternehmen zum Handeln
Berlin Es klemmt gewaltig bei der Bahn. Nach dem Ende des Lokführerstreiks ist der Schienenkonzern nicht mehr richtig in den Tritt gekommen. Verspätungen, Ausfälle, verpasste Anschlüsse, überbuchte Züge und Bordbistros, in denen die Kaffeemaschine nicht funktioniert – für Bahnfahrer und Bahnfahrerinnen gehört das in diesem Herbst regelmäßig zu den Erfahrungen, auf die sie gerne verzichten würden.
„Es ist – boshaft zugespitzt – eine sozialistische Mangelwirtschaft“, ärgert sich der Ehrenpräsident des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Karlpeter Naumann, im Gespräch mit unserer Redaktion. Naumann sitzt gerade im Zug, der schon Verspätung hat, als er eingesetzt wird, wie der Vielfahrer berichtet. Die Züge kämen häufig unpünktlich oder mangelhaft aus den Bereitstellungswerken, beklagt er. „Es fehlt an Infrastruktur, es fehlt an Zügen, es fehlt an Personal.“Aus seiner Sicht sind das die Ursachen für die Misere des Staatsunternehmens.
Der Eindruck Naumanns deckt sich mit vielen Beschwerden, die enttäuschte Reisende in den sozialen Netzwerken im Internet hinterlassen. „Sechs Stunden Sardinenbüchse und/oder Sitzplatzhopping“, regte sich vor kurzem die Vizepräsidentin des Europaparlamentes, Katarina Barley, auf. Die Spd-politikerin fragt sich, „wie so etwas immer wieder passiert?“
Die Deutsche Bahn versucht nicht, die Lage zu beschönigen. Die Pünktlichkeit im Fernverkehr lag nach eigenen Angaben im September bei nur 68,4 Prozent und damit deutlich unter dem Zielwert von 80 Prozent. Dass die Züge in vielen Fällen nicht nach Fahrplan fahren, hat derzeit nichts mit einem Ansturm der Passagiere zu tun. Die Auslastung beträgt erst 75 Prozent des Vor-corona-niveaus. „Insbesondere in der ersten Septemberhälfte war der Schienenverkehr infolge der dritten und längsten Streikwelle massiv beeinträchtigt“, erklärt das Unternehmen auf Nachfrage. Weitere Gründe für den gestörten Betriebsablauf seien kaputte Strecken durch das Hochwasser im Westen Deutschlands sowie die rege Bautätigkeit.
An hunderten kleinen und großen Baustellen wird an Gleisen, Bahnhöfen und Brücken gearbeitet, um die Bahn zu dem zu machen, was sie im Jahr 2030 werden soll – ein wirksames Instrument gegen den Klimawandel. In weniger als zehn Jahren sollen doppelt so viele Passagiere in den Fernzügen Platz nehmen, als es vor Corona der Fall gewesen ist. Die Großstädte werden dann laut den Planungen im Halbstundentakt miteinander verknüpft sein, wie es schon heute zwischen Hamburg und Berlin der Fall ist. Den akuten Engpass lösen soll schon vorher mehr rollendes Material. Alle drei Wochen wird derzeit ein neuer ICE-IV in Dienst gestellt. Das neue Flaggschiff hat über 900 Sitzplätze.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will allerdings sichergehen, dass die nächste Reisewelle nicht zu einem Fiasko wird. Über die Weihnachtszeit wird die Bahn ihre Reserven mobilisieren und täglich 50000 Sitzplätze mehr anbieten, wie der Csu-politiker im Gespräch mit der Funke-mediengruppe ankündigte. Rund um die Feiertage sollen außerdem zusätzliche Verstärkerzüge dafür sorgen, dass die Waggons nicht überquellen.
Ob die Bahn im neuen Jahr wie ein Uhrwerk läuft, muss zumindest bezweifelt werden. Der Grund: Es wird weiter massiv gebaut. Fdpverkehrsexperte Oliver Luksic will die Verfahren beschleunigen. Das soll auch Thema der Koalitionsverhandlungen sein, an denen der Abgeordnete beteiligt ist. Bei der Bahn gebe es viel zu tun: „Die Deutsche Bahn ist zu häufig unpünktlich, hoch verschuldet und Engpässe im Netz werden zu langsam behoben“, sagte Luksic unserer Redaktion.