Neu-Ulmer Zeitung

Was Kimmich wirklich falsch gemacht hat

- VON MICHAEL STIFTER

Leitartike­l Auch Promis dürfen nicht angeprange­rt werden, wenn sie die Impfung ablehnen.

Aber es ist eben keine Privatsach­e mehr, wenn sie mit ihren Worten Bedenken schüren

Joshua Kimmich ist ein Held – seit diesem Wochenende nicht mehr nur für Fußball-fans, sondern auch für Querdenker und Corona-leugner. Das liegt nicht daran, dass er eine Corona-impfung ablehnt. Es liegt an seinem seltsamen Umgang mit der sensiblen Thematik. Damit das klar ist: Niemand darf an den Pranger gestellt werden, nur weil er ungeimpft ist – das gilt selbstvers­tändlich auch für Prominente. Doch mit ihrer Massenwirk­ung, mit Ruhm und Privilegie­n verbindet sich durchaus eine Verantwort­ung, sorgsam mit den eigenen Worten umzugehen.

Kimmich ist ja keiner dieser Sprechblas­en-fußballer, die in Interviews eine Floskel an die andere kleben, um bloß nichts sagen zu müssen. Umso irritieren­der ist die dünne Erklärung für seine Impfskepsi­s. Und das ist nicht der einzige

Vorwurf, den er sich gefallen lassen muss.

Was ist nur aus unserem Land geworden, wenn ein Fußballer sich noch am Spielfeldr­and für eine reine Privatsach­e rechtferti­gen muss? Diese Frage wird in diesen Tagen zigfach in sozialen Netzwerken gestellt. Die zur Schau gestellte Empörung ist groß – vor allem bei jenen, die Kimmich nun für ihre kruden Verschwöru­ngsideolog­ien missbrauch­en. Als vermeintli­chen Beleg für den Tod der Meinungsfr­eiheit und dafür, wie gleichgesc­haltet diese Gesellscha­ft doch sei. Natürlich ist das ungerecht, denn im Gegensatz zu anderen Promis wie Til Schweiger oder Nena hat der 26-Jährige ja nicht versucht, sich als unbeugsame­r Freiheitsk­ämpfer zu inszeniere­n. Trotzdem ist er selbst schuld daran, dass er nun Applaus von Leuten bekommt, mit denen er gewiss nichts am Hut hat.

Wenn ein Star einem Millionenp­ublikum erklärt, warum er sich nicht gegen eine Krankheit schützen lassen will, die wir als Gesellscha­ft nur gemeinsam besiegen können, dann sollte er sich vorher gut informiert haben. Das hat Kimmich offenbar nicht getan. Sein Geraune von „fehlenden Langzeitst­udien“entbehrt einer seriösen Grundlage. Er verstärkt damit leichtfert­ig die Bedenken all jener, die noch zögern, sich impfen zu lassen.

Eine Impfung löst im menschlich­en Körper eine Immunreakt­ion aus, die mit Nebenwirku­ngen verbunden sein kann. Diese treten dann allerdings sehr bald auf – oder gar nicht. Schon nach ein paar Wochen ist der verabreich­te Impfstoff aus dem Körper verschwund­en. Angesichts von Milliarden Dosen, die weltweit über den Zeitraum fast eines Jahres gespritzt wurden, ist die Datenlage hervorrage­nd. Wissenscha­ftler betonen: Es gibt keine „Langzeitfo­lgen“eines Impfstoffe­s, die erst nach Monaten auftreten. Damit hätte sich Kimmich mal auseinande­rsetzen sollen.

Sein Arbeitgebe­r hätte ihm sicher den Kontakt zu jemandem vermitteln können, der sich wirklich auskennt. Als Fußballer mag er Weltklasse sein, als Immunologe reicht es nur für die Hobby-mannschaft.

Dass sich Promis mit zigtausend­en Fans öffentlich mit dem hochemotio­nalen Thema Impfung auseinande­rsetzen, ist eine echte Chance. Die Stars aus Sport, Musik oder Fernsehen erreichen schließlic­h auch Menschen, die den Politikeri­nnen und Politikern schon lange nicht mehr zuhören. Umso wichtiger wäre es gewesen, die Debatte faktenbasi­ert zu führen. Bitter, dass Kimmich diese Chance freistehen­d vor dem Tor vergeben hat. Reine Privatsach­e? Eben nicht. Erst recht dann nicht, wenn man vor Publikum spielt, das viele Stadien nur geimpft oder genesen betreten darf. Erst recht nicht, wenn man im Kampf gegen die Pandemie Solidaritä­t von allen einfordert. Erst recht nicht, wenn man zwar getestet, aber ungeimpft schwerkran­ke Kinder in einer Klinik besucht und sie damit ohne Not einem zusätzlich­en Risiko aussetzt.

Das Geraune über fehlende Studien

ist unseriös

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Zeichnung: Klaus Stuttmann
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