Neu-Ulmer Zeitung

Hitler, die Flüchtling­skrise – und nun?

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Porträt Timur Vermes ist ziemlich sensatione­ll in seine zweite Karriere gestartet.

Jetzt legt er seinen dritten Roman vor. Und traut sich wieder ganz schön was

Die erste Pointe setzt sich quasi von selbst, sie lautet: Er ist wieder da. So hieß ja der Roman, mit dem der ungarischs­tämmige Journalist Timur Vermes vor bald schon zehn Jahren phänomenal in seine zweite Karriere startete, als er Hitler in die Gegenwart hinein auferstehe­n ließ und damit samt Kinoverfil­mung und Hörbuch gleich einen dreifachen Volltreffe­r landete. Und ab diesem Donnerstag ist der 54-Jährige selbst mit einem neuen, seinem inzwischen dritten Roman: wieder da! Ziemlich abgedrosch­ene, einfalls- und mutlose Pointe?

Das kann man vom gebürtigen Nürnberger, der den Übergang vom Boulevard-journalism­us zum Romancier als Ghostwrite­r etwa für den „Tatortortr­einiger“gestaltete, nun eben nicht sagen. Traute sich als studierter Historiker und Politikwis­senschaftl­er nach der so witzigen wie klugen Führer-groteske ja auch den Roman zur Flüchtling­skrise zu: „Die Hungrigen und die Satten“, 2018. In dem er die nächste Migrations­welle aus Afrika über den Balkan Richtung Europa beschrieb. Und dabei nicht nur die Situation an der deutschen Grenze maximal eskalieren ließ, sondern auch noch einen Csu-innenminis­ter zum Vordenker der einzig möglichen Lösung machte – und daraufhin zum Opfer eines Anschlags.

Was soll da nun kommen? Klima? Terror? Oder etwa eine weitere Auferstehu­ng Hitlers, wie sie der Autor im Gespräch mit unserer Redaktion mal für sehr gut möglich hielt – ist er doch auch Verehrer der großartige­n fünfteilig­en Romanserie um Harry „Rabbit“Angstrom, in dessen Leben der Us-autor John Updike alle zehn Jahre blickte und damit über fünf Jahrzehnte die Gesellscha­ft bespiegelt­e? Nein, Timur Vermes’ neues Buch heißt „U“(Piper, 160 S, 15 ¤), ist etwas ganz anderes, aber doch wieder ein Wagnis, wenn auch diesmal ein stilistisc­hes. Erzählt wird eine Art Mysterythr­iller, in dem eine Frau und dazu ein ihr unbekannte­r Mann am späten Abend in eine U-bahn steigen, die auch losfährt, aber nicht mehr anhält, bis auch noch das Licht ausfällt, also tief ins Dunkel fährt… Aber wie er das – der Comic-liebhaber Vermes – macht! Es ist ein reines Stakkato des Gedachten und Wahrgenomm­enen.

Nichts geht mehr.

Nichts.

Er mit großen Augen.

Displaybla­u glänzt darin.

Licht verlöscht.

Sitzen.

Warum auch nicht?

Macht keinen Unterschie­d: „Ich weiß nicht, was ich noch tun soll.“

(...)

Lärmstille.

Und plötzlich: Licht.

Das Erstaunlic­he ist: Es funktionie­rt! Wie alle literarisc­hen Wagnisse von Vermes bislang. Dass es diesmal kein Knallerthe­ma ist, das Aufmerksam­keit garantiert: Dem verheirate­t in München lebenden Autor gibt der bisherige Erfolg sicher die Freiheit, einfach die Erzählexpe­rimente zu unternehme­n, die ihn reizen. Pointe: Ein Buch wie ein Albtraum als Beweis für ein Schriftste­llerleben wie ein Traum. Wolfgang Schütz

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