Neu-Ulmer Zeitung

Was will Super‰mario?

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Italien Mit seinem Wachstums-mantra und einer strengen Corona-politik führt der frühere Chef der Europäisch­en Zentralban­k das gebeutelte Land Schritt für Schritt aus der Krise. Jetzt steht Mario Draghi vor einer heiklen Frage

Rom Es gibt in Italien ein verbreitet­es Bedürfnis, in Europa und der Welt endlich gebührend wahrgenomm­en zu werden. Der ehemalige Ministerpr­äsident Matteo Renzi gab diesem Bedürfnis erst kürzlich dadurch Ausdruck, als er sagte, die Telefonnum­mer Europas habe inzwischen eine italienisc­he Vorwahl. Renzi spielte damit auf ein geflügelte­s Wort des früheren Us-außenminis­ters Henry Kissinger an, der sich über die Vielstimmi­gkeit des Alten Kontinents beklagte. Jetzt, da die Kanzlersch­aft Angela Merkels ihrem Ende zugeht, gibt es laut Renzi einen neuen Bezugspunk­t in Europa: Mario Draghi.

Draghi ist seit Februar italienisc­her Ministerpr­äsident und findet sich in einer für Regierungs­chefs in Rom ungewohnte­n Rolle wieder: Fast alle schätzen ihn oder behaupten das zumindest. Im Parlament sitzt mit den postfaschi­stischen „Fratelli d’italia“nur eine einzige Partei in der Opposition. Draghi koordinier­t seine Vielpartei­en-regierung weitgehend geräuschlo­s, Interviews gibt er nicht. Wenn es rumort, beruft er die Streithähn­e ein und schlichtet. Umfragen zufolge sind zwei von drei Italienern mit dem 74-jährigen Römer als Ministerpr­äsident zufrieden. Italien führt zudem derzeit den G20-vorsitz, und kaum ein europäisch­er Politiker genießt internatio­nal mehr Ansehen als der ehemalige Chef der Europäisch­en Zentralban­k (EZB).

Auch in Rom kratzt derzeit niemand am Stuhl des parteilose­n die Zustimmung­swerte für ihn sind zu gut. Die Parteien in seiner Großkoalit­ion von der Linksparte­i Leu bis hin zur rechtspopu­listischen Lega schmücken sich mit den Lorbeeren der eindrucksv­ollen Koordinati­onsarbeit des Premiers. Draghis Regierung tagt zweimal die Woche fix. Sie hat in Windeseile den Plan für die Verwendung der rund 200 Milliarden Euro Corona-hilfs

der EU vorgelegt, 24 Milliarden wurden bereits ausgeschüt­tet. Sie hat wichtige Reformen bei Justiz und Verwaltung auf den Weg gebracht und Italien politisch befriedet, vorübergeh­end zumindest. Die Pandemie und auch die bis heute mit Händen zu greifende und lange in den Medien geschürte Angst der Italiener vor Corona hat das möglich gemacht. Die Bilder von Särge abdraghi, transporti­erenden Militärlas­twagen in Bergamo aus dem Frühjahr 2020 haben das Land traumatisi­ert.

Das ist die Ausgangsla­ge für die Regierungs­arbeit des ehemaligen Ezb-chefs, der ja eigentlich kein Politiker, sondern ein wirtschaft­sliberaler Finanzexpe­rte ist. Diese Prägung bestimmt seine Politik, die ganz auf seine persönlich­e Glaubwürdi­gkeit als Retter des Euro („Whatever it takes“, zu deutsch: „Was auch immer nötig ist“) und auf Wachstum ausgericht­et ist. Bis zu sechs Prozent soll das Wirtschaft­swachstum in diesem zweiten Corona-jahr laut Premier betragen: Kein Eu-land wächst so stark wie Italien, das sich schon lange vor der Pandemie de facto in der Rezession befand und nun aufholt. Der Zinsaufsch­lag für italienisc­he Staatsanle­ihen ist dank des Vertrauens der Märkte in Draghi gering, obwohl Italien von einer Schuldenqu­ote in Höhe von fast 154 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s gedrückt wird. „Hohe Schulden bekämpft man mit Wachstum“, sagt Draghi.

Das Wachstums-mantra bestimmt auch Draghis harte Coronapoli­tik. In Italien müssen seit Mitte Oktober alle Arbeitnehm­er geimpft, negativ getestet oder von Corona genesen sein. Der soziale Druck ist enorm. Es gibt Proteste, aber die halten sich in Grenzen. Impfungen sind für Draghi das Mittel, einen neuen Lockdown zu vermeiden und die Wirtschaft wieder anzukurbel­n. Die strengen Maßnahmen machen Italien zum umstritten­en, weil autoritäre­n Vorreiter. Aber sie wirken: 81 Prozent der erwachsene­n Bevölgelde­r kerung sind bereits vollständi­g geimpft, in einigen Wochen sollen es 90 Prozent sein. Die Forderung, dass der Staat die 15 Euro teuren Corona-tests für Arbeitnehm­er bezahlt, wies Draghi zurück. Das schade dem Anreiz, sich impfen zu lassen.

Das verängstig­te Italien folgt seinem Leader. Wie lange noch, ist die immer drängender­e Frage. Die Legislatur­periode läuft noch bis Frühjahr 2023, das Geld aus dem Wiederaufb­aufonds fließt bis 2026. Bis dahin wäre Draghi eigentlich noch gefragt. Doch schon im Februar soll vom Parlament ein neues Staatsober­haupt in Italien gewählt werden. Für die Nachfolge von Sergio Mattarella, 80, gilt der parteilose Draghi als Kandidat Nummer eins, er hält sich aber bedeckt. Hinter den Kulissen wird aber offenkundi­g auf seine Kandidatur hingearbei­tet. Wenn sich die Parteien nicht auf einen Nachfolger für Draghi als Premier einigen, könnte es Neuwahlen geben. Politische­n Spekulante­n in Rom wie den „Fratelli“oder der rechten Lega unter Ex-innenminis­ter Matteo Salvini würde das genau in den Plan passen. Um so aufmerksam­er aufgenomme­n wurde daher die Wortmeldun­g von Ex-ministerpr­äsident Silvio Berlusconi. Die Regierung sei gerade dabei, das Land aus der Corona- und Wirtschaft­skrise zu befördern, sagte der 85-jährige Chef der konservati­ven Forza Italia dem Corriere della Sera: „Es wäre wirklich unverantwo­rtlich, daran zu denken, das vorzeitig zu unterbrech­en, um das Land mit einem Wahlkampf zu blockieren.“(mit dpa)

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Foto: Gregorio Borgia, dpa Nein, noch hat er keinen Heiligensc­hein, aber kaum Kritiker: der italienisc­he Minis‰ terpräside­nt Mario Draghi. Wie sieht seine Zukunft aus?

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