Russland macht dicht
Corona Das Land steuert auf immer neue Rekordzahlen zu. Nun ordnet Präsident Putin schärfere Maßnahmen an.
Wie auch in Rumänien zeigt sich: Die Pandemie wird zur Krise der Ungeimpften
Moskau/bukarest Als die Moskauer Stadtregierung davon sprach, Fitnesscenter, Restaurants und Shoppingmalls zu schließen, stiegen die Buchungszahlen in den Hotels der Regionen unweit der Hauptstadt sprunghaft an. Flüge in den Süden verteuerten sich. Die Moskauer wollen weg. Wollen von Corona wenig hören, auch wenn das Virus das Land seit Wochen im Griff hat. Sie wollen raus aus dem staatlich angekündigten Lockdown, der spätestens ab dem 30. Oktober anfängt, in vielen Regionen aber bereits an diesem Montag begann.
Moskau schließt seine Schulen und Kindergärten, Restaurants, Cafés, Friseure und Sportstätten. Viele Betriebe stehen still. Präsident Wladimir Putin hat wieder einmal Zwangsferien angeordnet. „Arbeitsfreie Tage“nennt er das, bei voller Bezahlung. Faktisch fährt er das Land massiv herunter. Die Hauptlast tragen die Unternehmen. Die Entscheidung darüber, womöglich noch härtere Maßnahmen einzuführen, überlässt er den Regionen. Seit den Anfängen der Pandemie lag dem Kreml nicht viel daran, Verantwortung zu übernehmen.
Russland ist mit vollem Tempo und ebenso vollem Bewusstsein in die Katastrophe gesteuert. Seit Wochen steigen die Zahlen der Infizierten an. Niedrig waren sie letztlich nie. Am Montag meldeten die Behörden 37930 Neu-infizierte und 1069 Tote innerhalb eines Tages. Es war wieder ein Rekord. Dabei zählt Russland seine Corona-toten sehr konservativ. Nach einer Pflicht-obduktion entscheiden Pathologen, ob nicht eine andere Erkrankung des Patienten ausschlaggebender war. Unabhängige russische Demografen sprechen davon, dass die Übersterblichkeit längst bei 3000 Toten täglich liege.
Nun versucht das Land eine Vollbremsung. Ob es bei einer Woche bleibt, ist ungewiss. Das Dilemma dabei: Die schwache Wirtschaft kann es sich kaum leisten, länger Pause zu machen. Am Wochenende vor dem Lockdown strömen die Menschen in die Restaurants und Cafés, sie machen noch einen Kurztrip, auf Abstände und Maskentragen wurde in Russland seit jeher wenig geachtet. In manchen Regionen entstand oft der Eindruck, die Pandemie gebe es gar nicht. Doch die Krankenhäuser sind voll, 96 Prozent der Covid-betten sind mittler
belegt, Ärzte berichten davon, dass sie ihre Patienten auf den Fluren behandeln müssten. Mancherorts fehlt es an Sauerstoff.
Mit Tv-spots und Werbung à la „Es reicht mit der Angst, lass dich impfen!“versuchen die Behörden, die Menschen zu einer Impfung zu bewegen. Lediglich ein Drittel der Russen ist vollständig geimpft. Russlands Regierung feierte vor einem Jahr ihr Vakzin Sputnik V als ersten weltweit zugelassenen Impfstoff. Doch der Stoff genießt wenig Vertrauen, ausländische Vakzine sind in Russland nicht zugelassen. Nach der jüngsten Umfrage des unabhängigen Moskauer Meinungsforschungsinstituts „Lewada-zentrum“wollen sich 54 Prozent der Befragten nicht impfen lassen.
Russlands Staatspropaganda tat seit den Anfängen der Pandemie so, als sei Corona nicht viel schlimmer als Grippe. Mit Schmutzkampagnen machte das Staatsfernsehen Stimmung gegen ausländische Impfstoffe – und schwächte so auch das Vertrauen in den eigenen Impfstoff.
„Alle Stoffe sind unsicher“, setzte sich in den Köpfen vieler fest, selbst unter der Ärzteschaft gibt es viele Impfgegner. Der sonst so öffentlichkeitsbewusste Präsident ließ sich offenbar heimlich und leise impfen. In der Öffentlichkeit trägt Putin nie Maske.
Russland ist nicht das einzige Land im Osten, das derzeit mit gewaltigen Problemen bei der Bewältigung der Pandemie kämpft. Rumäniens Gesundheitswesen wird seit Tagen mit der Versorgung einer steil anwachsenden Zahl von Covid19-patienten kaum noch fertig. Dutzende schwerkranker Patienten wurden bereits in Nachbarländer gebracht, weil es in den Intensivstationen keinen Platz mehr gibt. Die 7-Tage-inzidenz stieg zuletzt auf über 540 und blieb eine der höchsten in der EU. Die Todesrate an und mit Covid-19 blieb weltweit mit Abstand die höchste: 20,33 pro eine Million Einwohner, errechnete das Portal „ourworldindata.org“.
Wie auch in Russland ist die Impfbereitschaft in Rumänien vergleichsweise niedrig – obwohl es im Eu-mitgliedsland keinen Mangel an Impfstoffen gibt. Doch das Misstrauen in die Spritzen ist gigantisch, im Land kursieren wilde Verschwöweile rungstheorien, befeuert von den unterschiedlichsten Kanälen.
Die Regierung reagiert wie auch in Russland auf die Corona-notlage – nämlich mit strengeren Regeln. Seit Montag gilt landesweit eine Maskenpflicht in geschlossenen öffentlichen Räumen wie auch im Freien. Schulen, Kindergärten und Kinderkrippen werden zwei Wochen lang geschlossen. Zugang zu allen Geschäften, Gaststätten und Kultureinrichtungen haben nur noch Geimpfte, Genesene oder Getestete. Nur Lebensmittelläden und Apotheken stehen allen offen – ebenso die Kirchen. Nachts gelten Ausgangsbeschränkungen: Von 22.00 Uhr Ortszeit bis 5.00 Uhr morgens dürfen nur noch Geimpfte oder Genesene frei ihre Wohnungen verlassen. Wer nicht dazugehört, muss einen triftigen Grund nachweisen. Negative Corona-testnachweise allein berechtigen nicht dazu, nachts auf die Straße zu gehen. Bars und Tanzlokale werden geschlossen.
Die Regierung will auch eine Impfpflicht für Beamte und öffentliche Bedienstete durchsetzen. Ministerpräsident Florin Citu darf dies aber nicht per Verordnung verfügen, weil er nur noch kommissarisch im Amt ist. (mit dpa)
Das Gesundheitswesen gerät an seine Belastungsgrenzen