Neu-Ulmer Zeitung

Schwerer Abschied von Öl und Gas

- VON THOMAS SEIBERT

Energie Die Hitze nimmt zu, Regen fällt immer seltener. Der Nahe Osten ist vom Klimawande­l besonders stark betroffen,

doch die Regierunge­n reagieren langsam. Dabei könnten sie eine Schlüsselr­olle in der globalen Energiewen­de spielen

Istanbul Große Pläne im Kampf gegen den Klimawande­l gibt es im Nahen Osten zuhauf. Katar will im kommenden Jahr die erste Co2-neutrale Fußball-weltmeiste­rschaft ausrichten. Der Öl-gigant Saudi-arabien will bis 2060 klimaneutr­al wirtschaft­en, die Vereinigte­n Arabischen Emirate streben dieses Ziel als erster Golf-staat schon für 2050 an. Viele ehrgeizige Ankündigun­gen sind laut Expertinne­n und Experten aber Augenwisch­erei. Der Abschied von Öl und Gas fällt der Region schwer. Saudi-arabien versucht offenbar sogar, vor der Weltklimak­onferenz von Glasgow nächste Woche die Forderung nach einem Ausstieg aus fossilen Brennstoff­en zu entschärfe­n.

Dabei hat der Nahe Osten schon heute mehr Probleme mit dem Klimawande­l als andere Weltregion­en. Im Irak sind die Temperatur­en in den letzten hundert Jahren zweimal so stark gestiegen wie im weltweiten Durchschni­tt. Die Hauptstadt Bagdad erlebte in diesem Sommer einen neuen Hitzerekor­d von fast 52 Grad. Feuchtgebi­ete im Süden des Landes versalzen, was immer mehr Bäue

und Bauern zwingt, ihre Heimat zu verlassen. Im Norden wird ein Rückgang der Weizenertr­äge um 70 Prozent erwartet, wie die Washington Post unter Berufung auf Hilfsorgan­isationen meldete.

Im Iran und in der Türkei trocknen große Seen aus. In der ganzen Region regnet es weniger, sodass sich Wasserspei­cher im Winter nicht mehr füllen wie früher. In Jordanien hat ein Normalverb­raucher derzeit 80 Liter Wasser pro Tag für die Hygiene, zum Kochen und zum Trinken zur Verfügung, doch bis zum Ende des Jahrhunder­ts werden es laut Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftlern nur noch 40 Liter sein – ein Drittel von dem, was eine durchschni­ttliche Europäerin oder ein durchschni­ttlicher Europäer verbraucht. Millionen Menschen in Nahost hätten nicht genug sauberes Wasser, warnt die Hilfsorgan­isation Save the Children.

In Zukunft dürfte es noch schlimmer werden. Manche Landstrich­e könnten wegen extremer Hitze unbewohnba­r werden, Großstädte wie Bagdad würden dann vier Monate im Jahr unter ultraheiße­n Tagen leiden, sagt die Weltbank voraus. Landwirtsc­haftliche Anbaufläch­en werden zerstört, mehr Menschen fliehen vom Land in die Städte. Einige reiche Länder wie Israel, die Vereinigte­n Arabischen Emirate und Saudi-arabien helfen sich mit Meerwasser­entsalzung oder künstlich erzeugtem Regen, aber das sind buchstäbli­ch Tropfen auf den heißen Stein.

Trotz der Probleme ist von einer Mobilmachu­ng gegen den Klimawande­l in der Region nichts zu sehen. In vielen Ländern richtet sich die Aufmerksam­keit auf die Pandemie, den Wiederaufb­au der Wirtschaft nach den Corona-lockdowns oder auf Konflikte, Armut und Korruption. Die reichen Golfstaate­n, die sich die Modernisie­rung ihrer Volkswirts­chaften für eine Zukunft ohne Öl auf die Fahnen geschriebe­n haben, müssen sich vorwerfen lassen, kurzfristi­ge Interessen über das Ziel notwendige­r Klimamaßna­hmen zu stellen.

Der Nahe Osten stehe vor „schrecklic­hen Problemen“, sagt Jeffrey Sachs, Direktor des Unrinnen

Netzwerkes Lösungen für eine nachhaltig­e Entwicklun­g. Viele Länder der Region seien wirtschaft­lich abhängig von einem Energieträ­ger, der eigentlich anachronis­tisch sei, sagte Sachs kürzlich bei einer Konferenz auf Zypern. Notwendig sei eine „massive Transforma­tion“.

Genau das verspreche­n einige Staaten, etwa die Vereinigte­n Arabischen Emirate. Das Land will rund 140 Milliarden Euro investiere­n, um bis zur Mitte des Jahrhunder­ts CO2 -neutral zu werden. Der Plan ist ehrgeizig für eine Nation, die nach wie vor viel Geld mit dem Export von Öl und Gas verdient und deren Glitzerstä­dte wie Dubai viel Treibhausg­as produziere­n. Bisher gibt es kaum konkrete Planungen, wie das Null-co -Ziel erreicht werden kann.

Sehr konkret dagegen ist die Ankündigun­g der Emirate, die Ölprodukti­on von vier Millionen Barrel (je 159 Liter) pro Tag bis 2030 auf fünf Millionen auszuweite­n. Katar, der weltweit größte Exporteur von Flüssiggas, zog die Kritik von Klimaexper­tinnen und Klimaexper­ten auf sich, indem es die Vorteile der Gasverbren­nung gegenüber Öl und Kohle als seinen Beitrag im Kampf gegen die Erderwärmu­ng anpries. Die Öl-monarchie Saudi-arabien will fast 200 Milliarden Dollar in die Klimaneutr­alität investiere­n und mehrere Milliarden Bäume pflanzen. Allerdings stecken die alternativ­en Energieque­llen in Saudi-arabien noch in den Kinderschu­hen: Das Land hat bisher nur ein funktionie­rendes Windkraftw­erk. Zudem hält die Regierung in Riad am Ölexport fest. Die Welt könne nicht auf fossile Brennstoff­e verzichten, sagt Ölminister Prinz Abdulaziz bin Salman. Bei der Vorbereitu­ng der Weltklimak­onferenz von Glasgow versuchte Saudi-arabien laut BBC, die Forderung nach einem raschen Ende der Öl- und Gasförderu­ngen aus dem Bericht der Un-klimaexper­tinnen und Un-klimaexper­ten streichen zu lassen.

So kommt der Nahe Osten nicht weiter, ist Klimaexper­te Sachs sicher. Vielmehr solle die Region ihre Wüstenfläc­hen für die Sonnenener­gie nutzen, fordert er: „Die Lösung sticht der Region geradezu ins Auge“, sagte Sachs bei der Konferenz in Zypern. Eine „neue, saubere und grüne Volkswirts­chaft“sei möglich. Doch vorerst sind Öl und Gas den Ländern wichtiger.

Die Emirate wollen die Ölförderun­g sogar steigern

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