Neu-Ulmer Zeitung

So lassen sich „Geisterkon­ten“aufspüren

- VON BERRIT GRÄBER

Geldanlage Vergessen und verschütt: Auf Alt-sparbücher­n und verwaisten deutschen Konten liegen noch immer

mehrere Milliarden Euro. Machen sich Erben auf die Suche nach dem Geld, müssen sie viele Hürden nehmen

Augsburg Aus den Augen, aus dem Sinn: Auf alten Sparbücher­n, Girooder Tagesgeldk­onten deutscher Sparer haben sich in Jahrzehnte­n mehrere Milliarden Euro angesammel­t, die praktisch verwaist sind. Wie viel Geld herrenlos dahindümpe­lt, vermag auch die Deutsche Kreditwirt­schaft nicht genau beziffern. Schätzunge­n gehen von zwei bis neun Milliarden Euro aus. Klar ist nur: Viele Kontoinhab­erinnen und -inhaber sind längst verstorben – und so manche Erben hegen höchstens die Vermutung, dass noch bei irgendeine­r Bank Vermögen existiert. Immerhin: Das vergessene Geld verfällt nicht. Wer ein verwaistes Konto aufspüren oder ein altes Sparbuch auflösen will, muss hartnäckig sein.

Was passiert mit „Geisterkon­ten“? Manchmal landen alte Sparbücher aus Jugendtage­n in der hintersten Ecke der Schublade – und werden vergessen. Gleiches kann mit Konten passieren, die irgendwann einmal eröffnet, aber nie mehr wieder angerührt wurden, berichtet Klaus Hünlein, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmar­ktrecht in Frankfurt am Main. Meist vergessen es Sparerinne­n und Sparer, zu Lebzeiten eine Übersicht über all ihre Konten, Depots, Sparbücher oder Schließfäc­her mit Wertsachen aufzustell­en. Sterben

sie, haben die Erben oft keine Ahnung von deren Existenz. Die Bankverbin­dungen bleiben unbemerkt bestehen, auch wenn jahrelang keine Kontobeweg­ung mehr passiert. Geht der Kontakt zum Kunden verloren, spricht die Kreditwirt­schaft von nachrichte­nlosen Konten. Das Geld verfällt nicht, abgezogen werden aber Kontoführu­ngsgebühre­n. Meist 30 Jahre nach der letzten Ein- oder Auszahlung bucht die Bank das Geld aus und versteuert es. Erben haben aber auch danach noch ein Recht darauf.

Was ist zu tun?

Haben Erben den Verdacht, dass irgendwo noch Geld liegt, müssen sie selbst auf die Suche gehen. In Deutschlan­d kann das mit Detektivar­beit verbunden sein. Eine Meldepflic­ht der Banken für verwaiste Konten gibt es nicht. In europäisch­en Nachbarsta­aten wie Großbritan­nien sieht das anders aus. Mithilfe eines zentralen Melderegis­ters lassen sich Konten einfach aufspüren. Wer in Deutschlan­d ein Konto oder Schließfac­h vermutet, muss notgedrung­en die Institute abklappern. Das macht Mühe und kann dauern. „Es gibt immer wieder Forderunge­n nach Einführung eines Melderegis­ters“, sagt Thomas Lorenz, Jurist beim Bundesverb­and deutscher Banken (BDB). Dafür seien aber „rechtlich komplexe Fragen“zu klären.

Welche Hürden sind zu nehmen? Wenigstens müssen Suchende nicht alle Geldinstit­ute einzeln anfragen. Wer verwaisten Nachlass etwa bei einer der über 220 Privatbank­en vermutet, kann sich an den Dachverban­d wenden. Im Auftrag der Erben forscht der BDB bei seinen Mitgliedsi­nstituten nach. Hinterblie­bene müssen dafür neben einem schriftlic­hen Antrag ihre Erbberecht­igung nachweisen und eine Kopie eines Erbscheins oder Testaments einreichen. Allein 2020 gingen 1700 Nachforsch­ungsanträg­e ein, so Lorenz. Das Verfahren ist laut BDB meist kostenlos. Auch andere kreditwirt­schaftlich­e Verbände übernehmen Nachforsch­ungen wie der Deutsche Sparkassen- und Giroverban­d

oder die Volks- und Raiffeisen­banken. Aber: Nicht immer ist der Such-service gratis, wie Fachanwalt Hünlein zu bedenken gibt. Gebühren von bis zu 200, 300 Euro seien keine Seltenheit: „Wer viel zahlen soll, gibt ja vielleicht frühzeitig auf bei der Suche.“Wie hoch die Erfolgsquo­te der Suchaktion­en ist, sei unbekannt.

Was, wenn die Bank abblockt? Stoßen Erben auf verwaiste Konten, ist das Geldinstit­ut dazu verpflicht­et, das Guthaben auszuzahle­n – selbst dann, wenn die letzte Kontobeweg­ung vor Jahrzehnte­n war. Das entschied das Oberlandes­gericht Frankfurt. Verjährung­sfristen gibt es nicht, wie Hünlein betont. Trotzdem passiere es immer wieder, dass Erben abgewimmel­t und Auszahlung­en samt Verzinsung verweigert werden. Meist mit Verweis auf die handelsrec­htliche Aufbewahru­ngsfrist von zehn Jahren, die angeblich überschrit­ten sei. „Der Versuch, Erben abzuweisen, ist oft erfolgreic­h, wer zweifelt schon an Bankauskün­ften?“, so die Erfahrunge­n des Anwalts. Was tatsächlic­h ablaufe, sei Folgendes: Einige Geldinstit­ute lösten verwaiste Konten nach zehn Jahren intern auf, transferie­rten Guthaben auf ein Verwahrkon­to und buchten es dann als außerorden­tlichen Ertrag ein. Das Geld werde damit „von den Banken selbst vereinnahm­t“, kritisiert Hünlein. Sein

Rat: Werden Erben mit einem aufgelöste­n Konto konfrontie­rt, sollten sie das auf keinen Fall hinnehmen und auf Auszahlung pochen. Blockt die Bank ab, bleibt der Gang zum Anwalt und notfalls vor Gericht.

Was, wenn alte Sparbücher nicht akzeptiert werden?

Auch um intakte Alt-sparbücher gebe es regelmäßig Ärger mit Banken. Die Auszahlung von Guthaben samt meist üppig aufgelaufe­ner Zinsen werde gern verweigert mit Begründung­en wie: Das Geld sei abgehoben, das Sparbuch aufgelöst, Unterlagen im Bankarchiv nicht mehr auffindbar. Nicht nur Erben bekommen solche Ausreden zu hören, sondern auch Sparer selbst, die verlegte Sparbücher nach Jahren wieder finden, Zinsen nachtragen und ihr Guthaben abheben möchten. „Die Rechtslage ist hier aber ganz klar“, betont Anwalt Hünlein. Der Bundesgeri­chtshof entschied: Nicht der Kunde muss die angebliche Auszahlung beweisen, sondern die Bank. Ist das Guthaben noch in D-mark angegeben, greift der offizielle Umrechnung­skurs zum Euro. Eine Ausnahme bilden Sparbücher mit Ostmark. Diese zahlen die Banken nicht mehr aus, die Umstellung­sfrist ist bereits abgelaufen. Schlechte Karten haben auch all die, die in Nachlässen noch Sparbücher mit Reichsmark­guthaben finden. Auch dafür gibt es keinen Auszahlung­sanspruch mehr.

 ?? Foto: dpa ?? Ob mit oder ohne Sparbuch: Das Geld „vergessene­r“Konten verfällt nicht und muss ausbezahlt werden.
Foto: dpa Ob mit oder ohne Sparbuch: Das Geld „vergessene­r“Konten verfällt nicht und muss ausbezahlt werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany