Mit Selbstsicherheit und Farbgefühl
Porträt Luise Reinholz ist 24 Jahre alt, Malerin, Ulmerin, Mensch mit Down-syndrom – und seit Kurzem Ehrenpreisträgerin des Förderpreises „Junge Ulmer Kunst“. Was sie zur Malerei gebracht hat
Ulm Als Luise Reinholz ihre Malerei ausbreitet, ihre farbenprächtigen Postkarten auf dem Tisch eines Cafés auslegt – da wischt sie einen Irrtum gleich weg vom Tisch und aus dem Weg: „Ich bin keine Außenseiterin“, sagt die junge blonde Frau und wirft dabei einen selbstbewussten Blick durch die Brillengläser. Sie betont diesen Satz, weil sie ihn immer wieder in ihrem Leben betonen muss. Es gefällt ihr nicht, dass Kunst von Menschen mit Behinderung oft den Titel „Outsider-art“verpasst bekommt. „Außenseiter-kunst“? Dass sich Reinholz jetzt mit Recht als ausgezeichnete Künstlerin bezeichnen darf, ist doch der beste Gegenbeweis: Sie ist in der Mitte der Kunstszene angekommen. Luise Reinholz ist 24 Jahre alt, Malerin, Ulmerin, Mensch mit Down-syndrom. Und seit Kurzem Ehrenpreisträgerin des Förderpreises „Junge Ulmer Kunst“.
Für alle, die tapsig nach einer Schublade für diese Kunst suchen, und für die Menschen hinter den Werken, hat die Künstlerin einen freundlichen Tipp: „Einfach nicht groß drauf ansprechen.“Warum auch? Ihren Postkartenbildern widmet das renommierte Museum Ulm gerade eine eigene Ausstellung, ganz selbstverständlich. Und allein die Tatsache, dass sie ihre Bilder hier zeigt, kann schon ein Türöffner sein. Denn mit ihrem Werk, und ohne überflüssige Worte, will Reinholz Menschen Mut geben. Sie ist überzeugt: Wirklich jeder kann das Recht ergreifen, Kunst zu schaffen, Kunst zu zeigen – auch jene, die sich das aus falscher Schüchternheit nicht trauen, nur weil es die Gesellschaft ihnen nicht zutraut. Also: Missverständnis geklärt, freie Bahn für Luise Reinholz’ Kunst.
„Unbeschreiblich glücklich“– so habe sie sich gefühlt, als sie von der Auszeichnung erfuhr. Der Ehrenpreis ist eine neue Kategorie des Förderpreises „Junge Ulmer Kunst“und Luise Reinholz die erste Gewinnerin in dieser Sparte. Was der Titel mit sich bringt: Viel Ehre, Öffentlichkeit und mediales Gewimmel – sowie einen Platz im Museum Ulm. Für Stefanie Dathe, die als Chefin des Hauses in der Preisjury mit entschied, hatte Reinholz gleich eine Auswahl von 50 Werken parat.
Linien, Bögen, Kreise, Felder,
Ecken, Spiele mit Geometrie und Farbenvielfalt prägen Reinholz’ Malerei – und zwischendrin hoppeln Kaninchen und blühen Blumen im Bild, Wiesenidyll unter strahlender Sonne. Solche abstrakten Formen und auch konkreten Szenen malt sie seit 2018. Dabei hat Reinholz ihre Liebe zur Kunst schon Jahrzehnte früher entdeckt, 1997 kam sie in Ulm-söflingen zur Welt und begann mit 4 Jahren zu malen.
Wer heute in ihre Bilderwelt taucht, der blickt zum Beispiel auf den Schein der bunten Kirchenfenster des Ulmer Münsters. Solche konkreten Eindrücke aus dem Leben inspirieren die Künstlerin. Und wie klar geschnittene Kirchenglasmalerei formt sie aus reinen Farbfeldern auch abstrakte Kunst.
Aus Filmen zieht sie Stoff für ihre konkreten Motive. Luise Reinholz’ Lieblingsstreifen? Allesamt von Disney. Sie liebt und studiert die Filme, von Schneewittchen bis „Cap und Capper“. Wenn sie malt, ruft sie Szenen aus diesen Zeichentrick-klassikern vor ihr geistiges Augen, in ihr eigenes Kopfkino. Zum Beispiel: Alice im Wunderland. Den Moment, in dem die Reise beginnt, als Alice dem hoppelnden Kaninchen in den Bau unter die Erde folgt, um in eine magische Welt zu stürzen – diese Szene hat Reinholz auf eine Postkarte gebracht. Unverkennbar Alice. Trotzdem findet sie: „Abstraktes zu malen, ist viel einfacher als Menschen und Tiere.“
Das Postkartenformat wirkt auf den ersten Blick klein und fast bescheiden. Aber die Ulmerin verfolgt ihre Kunst mit Ernst, Ziel und Selbstsicherheit. „Ich habe kein Atelier, ich habe einen Schreibtisch“, erklärt sie. An diesem Fleck arbeitet sie jeden Tag mit Buntstiften und auch Schablonen wie Geodreiecke und Gläser. Klingt simpel? Nein, es müssen die exakt richtigen Stifte sein, von bestimmter Stärke und Sorte und nicht jedes Papier taugt.
Schließlich steht Reinholz bei jedem Bild vor der Wahl aus einer Palette von 20 Buntstift-farben. Den richtigen Ton zu treffen, „das geht automatisch“, erzählt sie. Mal nutzt sie die volle Farbbandbreite in einer Postkarte, dann puzzelt sie Formen nur in Rot und Rosa aneinander, sodass eine eigene Stimmung und Temperatur entsteht. Franz Marc ist ihr Vorbild, durch dessen Bilder
Pferde in vielen Farbtönen reiten, und berühmt möchte sie auch werden – „wie Michelangelo“.
Den Rückhalt, die eigene Kunst mit so viel Stolz zu präsentieren, gibt ihr auch die eigene Familie. Ihr Vater Henning Reinholz, der für das Ulmer Roxy und das Neu-ulmer Edwinscharff-museum arbeitet, unterstützt sie auf ihrem Weg. Ebenfalls verbriefte Fans ihrer Kunst: Ihre Mutter und auch der Bruder Paul, ein Dokumentarfilmer.
So viel Rückendeckung macht stark. Vor Kameras habe sie keine Angst, verrät Reinholz, und sie bezeichnet sich selbst, mit einem Lächeln, als „Rampensau“. Als Teil des Redaktionsteams der Sendung „All Inclusive“hat sie auch schon für den Ulmer Radiosender „Freefm“gearbeitet. Luise Reinholz geht ihren Weg und möchte ihre Zukunft „außerhalb des Werkstattsystems eigenständig und kreativ gestalten“. Ihre ersten Ausstellungen fanden in den
Räumen der Neu-ulmer EUTB statt, nun folgt der Schritt ins Museum Ulm. Ein Ziel für die Zukunft fasst sie fest ins Auge: Sie möchte einmal von der Kunst leben können.
Und bis dahin? Immer wieder Neues wagen. In nächster Zeit wolle sie weg vom A4-format und von den Postkarten, sich wieder an große
Formate herantrauen, dabei noch mehr Raum für ihre Kunst in Anspruch nehmen. Und was soll ihr schon im Weg stehen? „Ich zweifle nie an meiner Kunst.“
Info Luise Reinholz’ Postkartenbilder sind noch bis zum 30. Januar im Mu seum Ulm zu sehen.