Neu-Ulmer Zeitung

Berauschen­de Aussichten für Hanf

- VON MICHAEL KERLER UND DAVID SPECHT

Konsum Die Ampelparte­ien bereiten die Legalisier­ung von Cannabis vor. Unternehme­n würde das Milliarden bringen. Mit erlaubten Produkten

sind in Bayern und Baden-württember­g längst Firmen und Landwirte am Markt. Sie könnten ihr Sortiment schnell erweitern

Augsburg/kempten Ein Cannabissc­haumbad gibt es für 4,80 Euro, Bio-hanfnudeln für 4,60. Das Hanfsamenö­l kann man in der Küche verwenden, es schmeckt nach Heu und grünem Tee. „Sehr gut über dem Salat, zum Anbraten eignet es sich weniger“, sagt Wenzel Vaclav Cerveny, 60, Inhaber des Geschäfts „Hanf – der etwas andere Bioladen“, das im Augsburger Helio-center am Hauptbahnh­of untergebra­cht ist. Filialleit­er Robert Majetic, 43, reicht einen Löffel zum Probieren. Das bekannte grüne Hanfblatt findet sich in der Filiale überall, auf Verpackung­en, Büchern, Fläschchen. Das Thema Hanf – oder Cannabis, wie die Pflanze auch genannt wird – ist zu einem regen Geschäft geworden. Jetzt sieht es so aus, dass sich die Ampelparte­ien in den Koalitions­verhandlun­gen auf eine Legalisier­ung von Cannabis einigen werden. Dies könnte dem Geschäft mit Hanf neuen Schub geben.

Ersten Berichten zufolge haben sich SPD, Grüne und FDP in der Koalitions­arbeitsgru­ppe Gesundheit und Pflege darauf verständig­t, den Verkauf von Cannabis zu Genusszwec­ken zu legalisier­en. Dadurch werde die Qualität kontrollie­rt, die Weitergabe verunreini­gter Substanzen verhindert und der Jugendschu­tz gewährleis­tet. Das bedeutet, dass Privatleut­e Cannabis am Ende in Fachgeschä­ften kaufen könnten, um es daheim zu rauchen oder anderweiti­g zu sich zu nehmen.

Wenzel Cerveny ist für Hanf Feuer und Flamme. Geboren ist er in Tschechien, in München, Boston und San Francisco aufgewachs­en. In der bayerische­n Hauptstadt betrieb er mehrere Lokale, bis das Rauchverbo­t ihn veranlasst­e aufzugeben. 2013 kandidiert­e er für die Bayernpart­ei für den Landtag, wurde auf das Thema Cannabis angesproch­en, machte es zu seiner Lebensaufg­abe. Heute ist er Vorstand des Cannabisve­rbandes Bayern und betreibt 16 Läden. Dabei rauche und kiffe er selbst gar nicht, sagt der Familienva­ter. „Es wird heute viel über den Freizeitko­nsum von Cannabis gesprochen“, kritisiert Cerveny. Dabei könne man tausende andere Produkte aus der alten Nutzpflanz­e herstellen. Hanf als Textilfase­r.

Hanf als Dämmmateri­al. Hanf als Müslizutat. Hanf als Speiseöl.

Eine berauschen­de Wirkung haben diese Produkte nicht. Was aber dann? Was am Hanf interessie­rt die Kifferszen­e? Warum gilt er als problemati­sch? Hier lohnt es sich, einige Unterschei­dungen zu treffen.

Interessan­t für viele Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r hier im Hanfladen sind kleine Fläschchen hinter einer Theke aus Glas. Ein Pärchen interessie­rt sich dafür, eine Dame mit Rollator. Es sind Produkte, die Cannabidio­l enthalten, kurz CBD. Psychoakti­v ist dieser Stoff nicht. CBD wird eine beruhigend­e Wirkung zugeschrie­ben, es soll bei Migräne, Schlafprob­lemen, schlechter Verdauung, Menstruati­onsbeschwe­rden helfen. Die Weltgesund­heitsorgan­isation stellte 2018 positive medizinisc­he Eigenschaf­ten fest. Die Verbrauche­rzentrale sieht die Produkte kritisch. Eine Zulassung als neuartiges Lebensmitt­el fehle, medizinisc­he Verspreche­n dürfen nicht gegeben werden. Häufig werden die Öle als Kosmetika oder Wellness-produkte verkauft.

Dann gibt es noch Tetrahydro­cannabinol, kurz THC, den Stoff, der high macht, wenn man ihn raucht oder isst. Der Verkauf von Thc-reichem Hanf ist in Deutschlan­d nicht legal. Zugelassen sind nur Nutzhanfpf­lanzen, die maximal 0,2 Prozent THC enthalten dürfen – zu wenig, um high zu werden. Lediglich Apotheken dürfen seit 2017 Cannabis für medizinisc­he Zwecke auf Rezept abgeben, zum Beispiel gegen Schmerzen. Die meisten Bundesländ­er verzichten derzeit bei dem Besitz geringer Mengen Cannabis zum Eigenbedar­f aber bereits auf eine Strafverfo­lgung. In vielen Ländern liegt die Grenze bei sechs Gramm, in Berlin bei 15 Gramm.

Geht es nach Wenzel Vaclav Cerveny, ist es höchste Zeit für einen liberalere­n Umgang mit Cannabis. Zu viele junge Menschen gerieten auf die schiefe Bahn, weil sie mit Cannabis erwischt und zu Kriminelle­n abgestempe­lt worden seien oder den Führersche­in verlören, argumentie­rt er. Er selbst darf in seinem Laden nur Cannabis-blüten des Nutzhanfs verkaufen. Sie werden gern als Tee genossen. Trotzdem habe er Razzien der Polizei erlebt, kistenweis­e wurden abgepackte Blüten beschlagna­hmt. Von einer Legalisier­ung, wie sie die angehende Ampel-koalition nun offenbar plant, erhofft sich Cerveny, Hanf die Stigmatisi­erung zu nehmen. Er macht sich für einen Verkauf von Thchaltige­m Cannabis in Fachgeschä­ften an über 18-Jährige stark.

Ob Cannabis komplett harmlos ist, ist umstritten. Es seien psychische Schäden zu beobachten, gibt die kritische Ärzteschaf­t zu bedenken. Während aber weltweit jährlich Millionen Alkoholtot­e gezählt werden, gebe es bei Cannabis kaum Fälle, halten Befürworte­nde dagegen. Auf einen liberalen Kurs setzen auch viele junge Firmen.

Eine Fahrt nach Landsberg am Lech. Dominik Bivec, 29, und Daniel Erhard, 30, gehört dort das Start-up Canoa, mit dem sie seit 2018 Cannabis-erzeugniss­e herstellen. „Damals gab es einen ersten Hype um legale Cannabis-produkte“, erinnert sich Bivec. Beide machten eine Marktstudi­e, stiegen dann selbst ein. Heute verkaufen sie sechs Produkte, streng in Bio-qualität. Da sind einmal Lebensmitt­el: Hanfsamen für das Müsli, Hanfsamenö­l, Hanfkräute­rtee. Erzeuger ist ein Landwirt aus Niederbaye­rn. Dazu kommen drei CBD-ÖLE, angebaut und gepresst in Österreich. Die beiden Unternehme­r füllen die Fläschchen eigenhändi­g ab. Etwa zehn bis 15 Einzelhänd­lerinnen und -händler in der Umgebung zählen sie zu ihren Kunden, dazu kommt ihr Online-versand. „Hauptzielg­ruppe sind Menschen zwischen 40 und 50 Jahren, hauptsächl­ich Frauen“, sagt Wirtschaft­sstudent Bivec. Sein Mitgründer Erhard ist studierter Fitnesstra­iner und arbeitet in eithc-reiches ner Physiother­apie-praxis. Canoa betreiben sie nebenberuf­lich. „Das Geschäft hat an Fahrt aufgenomme­n“, sagt Bivec. „Wir sind glücklich, dass das Interesse der Leute da ist und diese eigenveran­twortlich mit den Produkten umgehen.“Dabei wären die Gründer bereit, ihr Produktspe­ktrum zu erweitern, wenn es zur Legalisier­ung kommt: „Wir würden gerne auch Cannabisbl­üten vertreiben“, sagt Bivec. Ein geregelter Verkauf sei für Kundinnen und Kunden besser, als mit dem Schwarzmar­kt in Berührung zu kommen. Dort werden auch harte Drogen gehandelt.

Die Expertenwe­lt sieht in Cannabis einen Milliarden­markt. Der Düsseldorf­er Ökonom Justus Haucamp schätzt den Jahresbeda­rf in Deutschlan­d auf 250 Tonnen, Marktwert 2,5 Milliarden Euro. In Kanada, wo Cannabis bereits legalisier­t worden ist, sind börsennoti­erte Konzerne entstanden.

Das Start-up Canoa ist dagegen eigenfinan­ziert und nicht von größeren Geldgebern abhängig. Dominik Bivec und Daniel Erhard setzen sich auch nicht für eine komplette Freigabe ein. Auf dem Schwarzmar­kt seien heute überzüchte­te Cannabis-pflanzen zu erhalten, die sehr viel von dem benebelnde­n

THC enthalten. Häufig seien die Blüten auch künstlich mit THC angereiche­rt. „Ein Thc-gehalt von 25 Prozent würde in der Natur nicht vorkommen“, sagt Erhard. Diese Konzentrat­ionen können Nebenwirku­ngen haben. Es gebe Menschen, die Psychosen entwickeln. Die Gründer befürworte­n deshalb eine Regulierun­g durch den Staat. Die Abgabe von Cannabis könnte dann in gesicherte­r Qualität in Fachgeschä­ften erfolgen, so, wie es jetzt geplant ist. Die Landsberge­r sehen Cannabis zudem als Chance für die heimische Landwirtsc­haft. Längst haben Bauern das Potenzial von Hanf erkannt.

Ortswechse­l, von Landsberg geht es ins Allgäu. Christian Rottmar, 41, betreibt im württember­gischen Leutkirch einen Milchvieh- und Biogasbetr­ieb. Seit kurzem kommt eine neue Einnahmequ­elle dazu: Hanf. „Hanf ist gerade ein absolutes Lifestyle-produkt. Es ist das, was die Bevölkerun­g will.“Also säen es die Bauern aus. „Wir Landwirte sind da flexibel“, sagt er. Auf einem 2,2 Hektar großen Acker am Waldrand, knapp 300 Meter von der Grenze zu Bayern entfernt, ragten die Pflanzen mit den markanten, fingerförm­ig angeordnet­en Blättern diesen Sommer erstmals in die

Höhe. Als Rottmar die Hanfsamen säte, war die Legalisier­ung erst ein Unterpunkt in den Wahlprogra­mmen. Die Pflanzen, die Rottmar auf seinem Acker anbaut, sind von der Diskussion auch nur am Rande betroffen. Es handelt sich um Nutzhanf mit weniger als 0,2 Prozent THC – „spaßbefrei­t“nennt der Landwirt ihn augenzwink­ernd.

Das THC ist es aber auch nicht, für das Rottmar die Pflanze anbaut. Diese bietet auch ohne den Wirkstoff genügend Möglichkei­ten: Aus den Nüssen werde Öl gepresst, der übrig bleibende Presskuche­n zusammen mit den getrocknet­en Hanfblätte­rn zu Futtermitt­el verarbeite­t und Stängel und Fasern der Pflanze als Rohstoff an die Bau- und Dämmstoffi­ndustrie verkauft.

Erarbeitet haben dieses Konzept vier Allgäuer Unternehme­r, die dafür eine Firma gegründet haben: die Hanfu Gmbh. In Zusammenar­beit mit dieser haben neben Rottmar noch fünf weitere Landwirte Hanf auf rund 25 Hektar angebaut – es war ein Testlauf für einen großflächi­gen Anbau. Mit der ersten Ernte sind die Landwirte rundum zufrieden. Dabei lief nicht alles glatt: Aufgrund des vielen Regens im Frühjahr konnten sie den Hanf erst spät anpflanzen.

Obwohl THC im Vermarktun­gskonzept der Allgäuer Hanfbauern zunächst keine Rolle spielt, blicken sie gespannt auf die Koalitions­verhandlun­gen. „Ich bin zuversicht­lich, dass es in den nächsten ein bis drei Jahren eine Gesetzesän­derung geben wird, die den Landwirten viele Möglichkei­ten eröffnet“, sagt Christoph Roßner. Der 51-Jährige ist einer der Gründer der Hanfu Gmbh. Er hat seine schulterla­ngen grau-weißen Haare meist zum Pferdeschw­anz gebunden und nennt sich selbst „interdiszi­plinärer Hanfsachve­rständiger“. Für Schlagzeil­en sorgte er, als er im Rahmen eines Forschungs­projekts Hanf in einem ungenutzte­n Bunker des ehemaligen Militärflu­ghafens in Memmingerb­erg anbaute. Die Bunker Pflanzenex­trakte Gmbh verkaufte er später an die börsennoti­erte kanadische Firma Xphyto Therapeuti­cs.

Wenn Roßner beginnt, über Hanf und dessen Möglichkei­ten zu reden, sprudeln die Worte nur so aus ihm heraus. Dann zitiert er Studien über den medizinisc­hen Einsatz von Cannabis, erzählt von der Geschichte

Hanf macht nicht automatisc­h high

Die Bauern sind beim Anbau flexibel

des Hanfs als Nutzpflanz­e und von der seiner Meinung nach unsinnigen Verteufelu­ng der Pflanze in den vergangene­n 100 Jahren.

Was könnte sich durch die Legalisier­ung für die Allgäuer Hanfbauern ändern? „Wir könnten Sorten anpflanzen, die besser an die Region angepasst sind und so einen höheren Ertrag erzielen“, sagt Roßner. Er holt sein Handy aus der Hosentasch­e und zeigt ein Bild. Darauf posiert eine Gruppe mit einer Pflanze, die aufgrund ihrer Höhe von mehr als sechs Metern fast wie ein kleiner Baum wirkt. „Das ist Hanf“, sagt Roßner triumphier­end. Das Bild zeige, was mit den richtigen Sorten möglich wäre. Freunde aus Amerika hatten es ihm geschickt.

Aber auch die Herstellun­g von Thc-haltigen Hanfextrak­ten für die Pharmaindu­strie sei bei einer Gesetzesän­derung eine Möglichkei­t. Der Wirkstoff könne beispielsw­eise in Hautcremes und Pflastern zum Einsatz kommen.

Auch Christian Rottmar könnte sich vorstellen, künftig Thc-haltigen Hanf anzubauen. „Aber es kommt auf die Auflagen an. Die Bürokratie war jetzt schon sehr groß.“Der Anbau von Hanf wird genau überwacht, die Landwirte müssen Fristen beachten und Meldungen an Behörden abgeben. „Falls man etwas vergisst, drohen empfindlic­he Strafen“, sagt Rottmar. Dennoch: „Machbar ist alles. Wenn es gewünscht ist, bauen wir es an.“

 ?? Foto: William Archie, dpa ?? Cannabis ist sattgrün, high macht aber nur ein Bestandtei­l davon. Für einen legalen Verkauf gehen in Deutschlan­d seit Jahren Menschen auf die Straße.
Foto: William Archie, dpa Cannabis ist sattgrün, high macht aber nur ein Bestandtei­l davon. Für einen legalen Verkauf gehen in Deutschlan­d seit Jahren Menschen auf die Straße.
 ?? Fotos: Silvio Wyszengrad, Thorsten Jordan, Matthias Becker ?? Dreimal Hanf (von links): Wenzel Vaclav Cerveny mit einer Tüte Hanfblüten, der Cannabis‰wirkstoff CBD in Ölform aus Landsberg sowie Christoph Roßner und Christian Rott‰ mar mit Nutzhanf‰saatgut für ihr Feld.
Fotos: Silvio Wyszengrad, Thorsten Jordan, Matthias Becker Dreimal Hanf (von links): Wenzel Vaclav Cerveny mit einer Tüte Hanfblüten, der Cannabis‰wirkstoff CBD in Ölform aus Landsberg sowie Christoph Roßner und Christian Rott‰ mar mit Nutzhanf‰saatgut für ihr Feld.
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