Berauschende Aussichten für Hanf
Konsum Die Ampelparteien bereiten die Legalisierung von Cannabis vor. Unternehmen würde das Milliarden bringen. Mit erlaubten Produkten
sind in Bayern und Baden-württemberg längst Firmen und Landwirte am Markt. Sie könnten ihr Sortiment schnell erweitern
Augsburg/kempten Ein Cannabisschaumbad gibt es für 4,80 Euro, Bio-hanfnudeln für 4,60. Das Hanfsamenöl kann man in der Küche verwenden, es schmeckt nach Heu und grünem Tee. „Sehr gut über dem Salat, zum Anbraten eignet es sich weniger“, sagt Wenzel Vaclav Cerveny, 60, Inhaber des Geschäfts „Hanf – der etwas andere Bioladen“, das im Augsburger Helio-center am Hauptbahnhof untergebracht ist. Filialleiter Robert Majetic, 43, reicht einen Löffel zum Probieren. Das bekannte grüne Hanfblatt findet sich in der Filiale überall, auf Verpackungen, Büchern, Fläschchen. Das Thema Hanf – oder Cannabis, wie die Pflanze auch genannt wird – ist zu einem regen Geschäft geworden. Jetzt sieht es so aus, dass sich die Ampelparteien in den Koalitionsverhandlungen auf eine Legalisierung von Cannabis einigen werden. Dies könnte dem Geschäft mit Hanf neuen Schub geben.
Ersten Berichten zufolge haben sich SPD, Grüne und FDP in der Koalitionsarbeitsgruppe Gesundheit und Pflege darauf verständigt, den Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken zu legalisieren. Dadurch werde die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Das bedeutet, dass Privatleute Cannabis am Ende in Fachgeschäften kaufen könnten, um es daheim zu rauchen oder anderweitig zu sich zu nehmen.
Wenzel Cerveny ist für Hanf Feuer und Flamme. Geboren ist er in Tschechien, in München, Boston und San Francisco aufgewachsen. In der bayerischen Hauptstadt betrieb er mehrere Lokale, bis das Rauchverbot ihn veranlasste aufzugeben. 2013 kandidierte er für die Bayernpartei für den Landtag, wurde auf das Thema Cannabis angesprochen, machte es zu seiner Lebensaufgabe. Heute ist er Vorstand des Cannabisverbandes Bayern und betreibt 16 Läden. Dabei rauche und kiffe er selbst gar nicht, sagt der Familienvater. „Es wird heute viel über den Freizeitkonsum von Cannabis gesprochen“, kritisiert Cerveny. Dabei könne man tausende andere Produkte aus der alten Nutzpflanze herstellen. Hanf als Textilfaser.
Hanf als Dämmmaterial. Hanf als Müslizutat. Hanf als Speiseöl.
Eine berauschende Wirkung haben diese Produkte nicht. Was aber dann? Was am Hanf interessiert die Kifferszene? Warum gilt er als problematisch? Hier lohnt es sich, einige Unterscheidungen zu treffen.
Interessant für viele Verbraucherinnen und Verbraucher hier im Hanfladen sind kleine Fläschchen hinter einer Theke aus Glas. Ein Pärchen interessiert sich dafür, eine Dame mit Rollator. Es sind Produkte, die Cannabidiol enthalten, kurz CBD. Psychoaktiv ist dieser Stoff nicht. CBD wird eine beruhigende Wirkung zugeschrieben, es soll bei Migräne, Schlafproblemen, schlechter Verdauung, Menstruationsbeschwerden helfen. Die Weltgesundheitsorganisation stellte 2018 positive medizinische Eigenschaften fest. Die Verbraucherzentrale sieht die Produkte kritisch. Eine Zulassung als neuartiges Lebensmittel fehle, medizinische Versprechen dürfen nicht gegeben werden. Häufig werden die Öle als Kosmetika oder Wellness-produkte verkauft.
Dann gibt es noch Tetrahydrocannabinol, kurz THC, den Stoff, der high macht, wenn man ihn raucht oder isst. Der Verkauf von Thc-reichem Hanf ist in Deutschland nicht legal. Zugelassen sind nur Nutzhanfpflanzen, die maximal 0,2 Prozent THC enthalten dürfen – zu wenig, um high zu werden. Lediglich Apotheken dürfen seit 2017 Cannabis für medizinische Zwecke auf Rezept abgeben, zum Beispiel gegen Schmerzen. Die meisten Bundesländer verzichten derzeit bei dem Besitz geringer Mengen Cannabis zum Eigenbedarf aber bereits auf eine Strafverfolgung. In vielen Ländern liegt die Grenze bei sechs Gramm, in Berlin bei 15 Gramm.
Geht es nach Wenzel Vaclav Cerveny, ist es höchste Zeit für einen liberaleren Umgang mit Cannabis. Zu viele junge Menschen gerieten auf die schiefe Bahn, weil sie mit Cannabis erwischt und zu Kriminellen abgestempelt worden seien oder den Führerschein verlören, argumentiert er. Er selbst darf in seinem Laden nur Cannabis-blüten des Nutzhanfs verkaufen. Sie werden gern als Tee genossen. Trotzdem habe er Razzien der Polizei erlebt, kistenweise wurden abgepackte Blüten beschlagnahmt. Von einer Legalisierung, wie sie die angehende Ampel-koalition nun offenbar plant, erhofft sich Cerveny, Hanf die Stigmatisierung zu nehmen. Er macht sich für einen Verkauf von Thchaltigem Cannabis in Fachgeschäften an über 18-Jährige stark.
Ob Cannabis komplett harmlos ist, ist umstritten. Es seien psychische Schäden zu beobachten, gibt die kritische Ärzteschaft zu bedenken. Während aber weltweit jährlich Millionen Alkoholtote gezählt werden, gebe es bei Cannabis kaum Fälle, halten Befürwortende dagegen. Auf einen liberalen Kurs setzen auch viele junge Firmen.
Eine Fahrt nach Landsberg am Lech. Dominik Bivec, 29, und Daniel Erhard, 30, gehört dort das Start-up Canoa, mit dem sie seit 2018 Cannabis-erzeugnisse herstellen. „Damals gab es einen ersten Hype um legale Cannabis-produkte“, erinnert sich Bivec. Beide machten eine Marktstudie, stiegen dann selbst ein. Heute verkaufen sie sechs Produkte, streng in Bio-qualität. Da sind einmal Lebensmittel: Hanfsamen für das Müsli, Hanfsamenöl, Hanfkräutertee. Erzeuger ist ein Landwirt aus Niederbayern. Dazu kommen drei CBD-ÖLE, angebaut und gepresst in Österreich. Die beiden Unternehmer füllen die Fläschchen eigenhändig ab. Etwa zehn bis 15 Einzelhändlerinnen und -händler in der Umgebung zählen sie zu ihren Kunden, dazu kommt ihr Online-versand. „Hauptzielgruppe sind Menschen zwischen 40 und 50 Jahren, hauptsächlich Frauen“, sagt Wirtschaftsstudent Bivec. Sein Mitgründer Erhard ist studierter Fitnesstrainer und arbeitet in eithc-reiches ner Physiotherapie-praxis. Canoa betreiben sie nebenberuflich. „Das Geschäft hat an Fahrt aufgenommen“, sagt Bivec. „Wir sind glücklich, dass das Interesse der Leute da ist und diese eigenverantwortlich mit den Produkten umgehen.“Dabei wären die Gründer bereit, ihr Produktspektrum zu erweitern, wenn es zur Legalisierung kommt: „Wir würden gerne auch Cannabisblüten vertreiben“, sagt Bivec. Ein geregelter Verkauf sei für Kundinnen und Kunden besser, als mit dem Schwarzmarkt in Berührung zu kommen. Dort werden auch harte Drogen gehandelt.
Die Expertenwelt sieht in Cannabis einen Milliardenmarkt. Der Düsseldorfer Ökonom Justus Haucamp schätzt den Jahresbedarf in Deutschland auf 250 Tonnen, Marktwert 2,5 Milliarden Euro. In Kanada, wo Cannabis bereits legalisiert worden ist, sind börsennotierte Konzerne entstanden.
Das Start-up Canoa ist dagegen eigenfinanziert und nicht von größeren Geldgebern abhängig. Dominik Bivec und Daniel Erhard setzen sich auch nicht für eine komplette Freigabe ein. Auf dem Schwarzmarkt seien heute überzüchtete Cannabis-pflanzen zu erhalten, die sehr viel von dem benebelnden
THC enthalten. Häufig seien die Blüten auch künstlich mit THC angereichert. „Ein Thc-gehalt von 25 Prozent würde in der Natur nicht vorkommen“, sagt Erhard. Diese Konzentrationen können Nebenwirkungen haben. Es gebe Menschen, die Psychosen entwickeln. Die Gründer befürworten deshalb eine Regulierung durch den Staat. Die Abgabe von Cannabis könnte dann in gesicherter Qualität in Fachgeschäften erfolgen, so, wie es jetzt geplant ist. Die Landsberger sehen Cannabis zudem als Chance für die heimische Landwirtschaft. Längst haben Bauern das Potenzial von Hanf erkannt.
Ortswechsel, von Landsberg geht es ins Allgäu. Christian Rottmar, 41, betreibt im württembergischen Leutkirch einen Milchvieh- und Biogasbetrieb. Seit kurzem kommt eine neue Einnahmequelle dazu: Hanf. „Hanf ist gerade ein absolutes Lifestyle-produkt. Es ist das, was die Bevölkerung will.“Also säen es die Bauern aus. „Wir Landwirte sind da flexibel“, sagt er. Auf einem 2,2 Hektar großen Acker am Waldrand, knapp 300 Meter von der Grenze zu Bayern entfernt, ragten die Pflanzen mit den markanten, fingerförmig angeordneten Blättern diesen Sommer erstmals in die
Höhe. Als Rottmar die Hanfsamen säte, war die Legalisierung erst ein Unterpunkt in den Wahlprogrammen. Die Pflanzen, die Rottmar auf seinem Acker anbaut, sind von der Diskussion auch nur am Rande betroffen. Es handelt sich um Nutzhanf mit weniger als 0,2 Prozent THC – „spaßbefreit“nennt der Landwirt ihn augenzwinkernd.
Das THC ist es aber auch nicht, für das Rottmar die Pflanze anbaut. Diese bietet auch ohne den Wirkstoff genügend Möglichkeiten: Aus den Nüssen werde Öl gepresst, der übrig bleibende Presskuchen zusammen mit den getrockneten Hanfblättern zu Futtermittel verarbeitet und Stängel und Fasern der Pflanze als Rohstoff an die Bau- und Dämmstoffindustrie verkauft.
Erarbeitet haben dieses Konzept vier Allgäuer Unternehmer, die dafür eine Firma gegründet haben: die Hanfu Gmbh. In Zusammenarbeit mit dieser haben neben Rottmar noch fünf weitere Landwirte Hanf auf rund 25 Hektar angebaut – es war ein Testlauf für einen großflächigen Anbau. Mit der ersten Ernte sind die Landwirte rundum zufrieden. Dabei lief nicht alles glatt: Aufgrund des vielen Regens im Frühjahr konnten sie den Hanf erst spät anpflanzen.
Obwohl THC im Vermarktungskonzept der Allgäuer Hanfbauern zunächst keine Rolle spielt, blicken sie gespannt auf die Koalitionsverhandlungen. „Ich bin zuversichtlich, dass es in den nächsten ein bis drei Jahren eine Gesetzesänderung geben wird, die den Landwirten viele Möglichkeiten eröffnet“, sagt Christoph Roßner. Der 51-Jährige ist einer der Gründer der Hanfu Gmbh. Er hat seine schulterlangen grau-weißen Haare meist zum Pferdeschwanz gebunden und nennt sich selbst „interdisziplinärer Hanfsachverständiger“. Für Schlagzeilen sorgte er, als er im Rahmen eines Forschungsprojekts Hanf in einem ungenutzten Bunker des ehemaligen Militärflughafens in Memmingerberg anbaute. Die Bunker Pflanzenextrakte Gmbh verkaufte er später an die börsennotierte kanadische Firma Xphyto Therapeutics.
Wenn Roßner beginnt, über Hanf und dessen Möglichkeiten zu reden, sprudeln die Worte nur so aus ihm heraus. Dann zitiert er Studien über den medizinischen Einsatz von Cannabis, erzählt von der Geschichte
Hanf macht nicht automatisch high
Die Bauern sind beim Anbau flexibel
des Hanfs als Nutzpflanze und von der seiner Meinung nach unsinnigen Verteufelung der Pflanze in den vergangenen 100 Jahren.
Was könnte sich durch die Legalisierung für die Allgäuer Hanfbauern ändern? „Wir könnten Sorten anpflanzen, die besser an die Region angepasst sind und so einen höheren Ertrag erzielen“, sagt Roßner. Er holt sein Handy aus der Hosentasche und zeigt ein Bild. Darauf posiert eine Gruppe mit einer Pflanze, die aufgrund ihrer Höhe von mehr als sechs Metern fast wie ein kleiner Baum wirkt. „Das ist Hanf“, sagt Roßner triumphierend. Das Bild zeige, was mit den richtigen Sorten möglich wäre. Freunde aus Amerika hatten es ihm geschickt.
Aber auch die Herstellung von Thc-haltigen Hanfextrakten für die Pharmaindustrie sei bei einer Gesetzesänderung eine Möglichkeit. Der Wirkstoff könne beispielsweise in Hautcremes und Pflastern zum Einsatz kommen.
Auch Christian Rottmar könnte sich vorstellen, künftig Thc-haltigen Hanf anzubauen. „Aber es kommt auf die Auflagen an. Die Bürokratie war jetzt schon sehr groß.“Der Anbau von Hanf wird genau überwacht, die Landwirte müssen Fristen beachten und Meldungen an Behörden abgeben. „Falls man etwas vergisst, drohen empfindliche Strafen“, sagt Rottmar. Dennoch: „Machbar ist alles. Wenn es gewünscht ist, bauen wir es an.“