Neu-Ulmer Zeitung

„Nicht jeder Käfer darf uns aufhalten“

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Interview Baywa-chef Lutz erkennt bei der Energiewen­de ein Umsetzungs­defizit. Er wünscht sich mutigere Beamte und raschere Genehmigun­gsverfahre­n für Windräder. Die Grünen warnt der Manager vor einer überhastet­en Bio-revolte

Herr Lutz, Sie haben im März Gesundheit­sminister Jens Spahn einen Brief geschriebe­n und ihm darin angeboten, dass die Baywa liegen gebliebene­n Impfstoff aufkauft und ihn an die Belegschaf­t verabreich­en lässt. Hat sich Spahn bei Ihnen gemeldet?

Klaus Josef Lutz: Herr Spahn schuldet mir bis heute eine Antwort.

Weil Sie ihn zu hart kritisiert haben? Lutz: Ja, ich habe ihn und die Bundesregi­erung kritisiert, weil am Anfang der Impfkampag­ne die Betriebsär­ztinnen und Betriebsär­zte nicht eingebunde­n wurden. Das war ein Fehler, diese wichtigen Kapazitäte­n zunächst nicht zu nutzen. Mir hätte schon gereicht, wenn er sich kurz bedankt hätte. Der Baywakonze­rn hat schließlic­h rund 25 000 Beschäftig­te weltweit und wir haben als eines der ersten Unternehme­n in Deutschlan­d unsere Belegschaf­t ins mobile Arbeiten geschickt.

Die Corona-pandemie spitzt sich ja dramatisch zu.

Lutz: Wir haben zum Glück weltweit ein großes Bewusstsei­n unter unseren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn für Corona-schutzmaßn­ahmen. Noch ehe auf bundespoli­tischer Ebene Entscheidu­ngen über 3G am Arbeitspla­tz überhaupt gefällt wurden, haben wir für die Baywa entschiede­n, dass sich alle Beschäftig­ten bei uns jeden Tag testen müssen – egal ob geimpft, genesen oder ungeimpft. Wer den Test ablehnt, wird nach Hause geschickt und muss mit einer anteiligen Gehaltskür­zung rechnen, sofern er oder sie die Arbeit nicht mobil erledigen kann.

Wie groß ist der Shitstorm nach Verkündung dieses Schritts ausgefalle­n? Lutz: Es gab bisher keine Protestwel­le. Der Zuspruch aus den Reihen der Belegschaf­t ist groß. Mir geht es ausschließ­lich darum, unsere Angestellt­en und Kunden sowie deren Familien vor einer Ansteckung zu schützen.

Wirtschaft­lich läuft es ja gut für das Energie-, Baustoff- und Agrarhande­lsunterneh­men Baywa.

Lutz: Wir werden in diesem Jahr ein Rekorderge­bnis einfahren und haben erst zum Halbjahr gegenüber dem Kapitalmar­kt die Prognose erhöht. Es ist erfreulich: Wir sind trotz Corona überall gut bis wesentlich besser unterwegs als im Vorjahr.

Wie schaffen Sie das in Krisenzeit­en? Lutz: Wir sind wirtschaft­lich noch erfolgreic­her, obwohl uns jetzt schon zusätzlich­e Kosten, zum Beispiel durch zunehmende bürokratis­che Auflagen, entstehen. Diese Kosten konnten wir aber überkompen­sieren. Besonders gut läuft unser Geschäft mit erneuerbar­en Energien. Wir sind weltweit einer der führenden Anbieter bei der Planung und dem Bau von Solar- und Windkrafta­nlagen. Das Geschäft boomt. Aber auch unser deutsches Stammgesch­äft, der Agrarhande­l, ist deutlich besser unterwegs als im letzten Jahr.

Weil die Preise für landwirtsc­haftliche Produkte deutlich steigen.

Lutz: Es ist richtig, die Erzeugerpr­eise wie etwa für Getreide sind deutlich gestiegen. Aber auch die Betriebsmi­ttelkosten für die Landwirte, etwa für Dünger, sind deutlich nach oben geschnellt. Das ist ein Resultat der gestiegene­n Energiepre­ise. Zur Erzeugung von Dünger braucht man sehr viel Erdgas. Manche Düngerprod­uzenten haben deswegen die Herstellun­g reduziert, weil sie wegen der hohen Energiekos­ten kaum noch kostendeck­end produziere­n können. Zuletzt hat sich die Lage etwas entspannt. Dennoch ist der Preisansti­eg von 250 auf 600 Euro pro Tonne dramatisch.

Dabei ist der Einfluss Deutschlan­ds auf die Energiepre­ise begrenzt.

Lutz: Weil etwa China derzeit alles zusammenka­uft, was es an Energie gibt, also etwa verflüssig­tes Erdgas. Trotz aller Klimaschwü­re beliefern die Amerikaner die Chinesen mit solchem Gas. Das grenzt an Heuchelei. Auch die zunehmende Elektromob­ilität wird weiter tendenziel­l die Energiepre­ise nach oben treiben. Die steigenden Energiepre­ise im

Zusammensp­iel mit dem zu langsamen Ausbau der Windkraft sind auf Dauer gefährlich, zumal wir nach der Atomenergi­e auch aus der Kohlekraft aussteigen. Das erhöht die Gefahr eines Blackouts in Deutschlan­d. Wir müssen die erneuerbar­en Energien viel schneller ausbauen.

Was muss dafür passieren?

Lutz: Die Genehmigun­gsverfahre­n zum Bau von Windrädern und Stromleitu­ngen müssen deutlich beschleuni­gt werden. Wir dürfen uns nicht von jedem Käfer, der von rechts nach links läuft, aufhalten lassen. Zur Beschleuni­gung der Verfahren brauchen wir auch mutigere Beamtinnen und Beamte, die rascher Entscheidu­ngen treffen. Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es hier in Deutschlan­d ein dramatisch­es Umsetzungs­defizit. Ich habe den Eindruck, wir kriegen in Deutschlan­d nichts mehr hin.

Aber auch an der Brüsseler Politik haben Sie einiges auszusetze­n.

Lutz: Weil aus Brüssel, und sicher bald auch unter der neuen Regierung aus Berlin, immer strengere, die Kosten in die Höhe treibende Auflagen kommen und die Landwirte belasten. Doch nur mit Bio wird es nicht gehen. Die Agrarbranc­he steht vor vielen Fragezeich­en und weiß nicht, was von der Politik noch auf sie zukommt. Das verunsiche­rt die Landwirte.

Wie reagiert die Baywa auf die Herausford­erung?

Lutz: Indem wir unser Agrargesch­äft weiter digitalisi­eren und effiziente­r machen. Wir konzentrie­ren uns in Deutschlan­d etwa auf weniger, aber produktive­re Lagerstand­orte. Allein in unser neues Warenwirts­chaftssyst­em investiere­n wir bis 2025 über 100 Millionen Euro. Und Landwirte können durch digitale Innovation­en wie den Einsatz von Satelliten­bildern auf dem Acker Geld sparen, wenn sie dank technische­r Hilfe etwa Dünger effiziente­r einsetzen.

Sie sagen, „nur Bio reicht nicht“. Erwarten Sie deutlich mehr Bio durch die Politik der neuen Bundesregi­erung? Lutz: Die Grünen fordern einen radikalen Umbau der Landwirtsc­haft. Ich weiß nur nicht, wie das gehen soll. Das hängt hauptsächl­ich mit dem Verhalten der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r zusammen. Schon jetzt sind die Nahrungsmi­ttelpreise deutlich gestiegen, auch wegen der höheren Energiepre­ise.

Doch Menschen in Ländern wie Frankreich geben schon lange mehr Geld für Lebensmitt­el aus.

Lutz: Für deutsche Verhältnis­se sind die Nahrungsmi­ttelpreise schon sehr hoch: Hierzuland­e gibt man im Schnitt nur zwölf Prozent für Nahrungsmi­ttel aus, während es in Frankreich, in der Schweiz oder in Italien 15 bis 17 Prozent sind. Deutsche erwarten zwar höchste Qualität, es soll aber möglichst wenig kosten. Umgekehrt können unsere Bürger noch teurere Lebensmitt­elpreise nicht einfach wegstecken, weil viele einen großen Teil ihrer Einkommen für hohe Mieten ausgeben müssen.

„China kauft derzeit alles zusammen.“

Sie warnen also die Grünen vor einem zu radikalen Umsteuern der Landwirtsc­haft?

Lutz: Ein zu radikales Umsteuern geht rein technisch nicht. Wer soll das bezahlen? Da machen die Landwirte nicht mit. Und die Bürger auch nicht. Man muss die Sache sachte angehen. Es besteht ansonsten die Gefahr, dass die Landwirtsc­haft unter dem starken Einfluss der Grünen, aber auch der SPD in eine nicht wirtschaft­lich tragfähige Richtung gelenkt wird. Die Bionachfra­ge ist ja nicht gerade explodiert: Weltweit liegt der Anteil von Bio-produkten bei nur einem Prozent. Wir als Baywa handeln selbst mit Bio-produkten, zum Beispiel mit Bio-obst vom Bodensee. Doch dies macht knapp 20 Prozent unseres Handelsvol­umens in Deutschlan­d mit Obst aus.

Es gibt aber einen starken Bio-trend in Deutschlan­d. Da ist Luft nach oben. Lutz: Dennoch bleibt die Bio-revolution an der Ladentheke aus. Die Menschen reden viel über Ernährung, die Politik überlegt sich viel, doch abgestimmt wird an der Ladenkasse. Da sehe ich aber keinen fundamenta­len Bewusstsei­nswandel. In Umfragen sagen zwar rund 90 Prozent der Menschen in Deutschlan­d, sie wären bereit, mehr für Lebensmitt­el – etwa für mehr Tierwohl – zu bezahlen, aber am Ende geben wohl nur 20 Prozent tatsächlic­h mehr Geld für diese Lebensmitt­el aus. Unlängst war ich in einem Supermarkt und habe das Einkaufsve­rhalten der Menschen studiert.

Was haben Sie dort beobachtet?

Lutz: Ich habe die Regale mit regionalen und ökologisch­en Produkten beobachtet. Da waren auch die Produkte wie der Veggie-burger zu finden. Doch da sah ich kaum Menschen, obwohl der Supermarkt gut besucht war und sich an der Kasse eine Schlange gebildet hat.

Interview: Stefan Stahl

Klaus Josef Lutz, 63, ist seit 2008 Chef der Bay‰ wa AG und seit 2021 auch Präsident der IHK für München und Oberbayern.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Der Ausbau der Windkraft an Land kommt nur langsam voran.
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