Neu-Ulmer Zeitung

(K)eine Volksaktie?

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Geld Vor 25 Jahren ging die Telekom an die Börse und mit ihr viele Deutsche. Sie brauchten guten Nerven

Frankfurt am Main/bonn 1996 schoss Oliver Bierhoff mit seinem goldenen Tor Deutschlan­d zum Em-titel. Die Backstreet Boys jaulten sich mit „Quit Playin’ Games With My Heart“an die Spitze der Charts. Außerdem tauchte in diesem Jahr immer wieder Manfred Krug – Gott hab ihn selig – in Fernsehspo­ts auf. Und der Schauspiel­er sagte darin den inzwischen historisch­en Satz: „Die Telekom geht an die Börse, da geh’ ich mit.“

Eine Werbung, die ankam: 1,9 Millionen Bundesbürg­er griffen zu und bekamen am 18. November 1996 beim größten Börsengang der Dax-geschichte Telekom-aktien. Für ein Drittel von ihnen war es der erste Aktienkauf ihres Lebens. Und wohl auch der vorerst letzte. Denn wer beim Zeichnen der Aktien europameis­terliche Endorphin-ausschüttu­ngen hatte, wünschte sich mit den Backstreet Boys schon bald,

„die Zeit zurückdreh­en“zu können. Und Manfred Krug entschuldi­gte sich später „aus tiefstem Herzen“.

Die sogenannte „Volksaktie“kletterte im Kurs zunächst immer weiter nach oben. Es entstand eine Euphorie: Auch 1999 und 2000, als weitere T-aktien zu deutlich höheren Preisen ausgegeben wurden, blieb die Nachfrage hoch. Sagenhafte 103,50 Euro betrug der Börsenkurs zwischenze­itlich. Doch dann kam der Crash, viele Bundesbürg­er verloren viel Geld. Die Aktie hat sich vom Einbruch nie erholt, heute notiert sie bei ungefähr 17 Euro und damit rein rechnerisc­h nicht allzu weit entfernt vom Ausgabepre­is 1996, also 28,50 D-mark.

Die Bundespost war in den 90ern privatisie­rt worden, aus dem grauen Fernmeldet­echnik-behördente­il wurde eine internatio­nal agierende Firma im modernen Magenta-look. Das in den Anfängen steckende Internet versprach viel Potenzial. Für die Expansion im Ausland brauchte das Unternehme­n unter der Leitung von Ron Sommer viel Geld, die Börsengäng­e spülten Milliarden in die Kassen der Firma und des Großaktion­ärs Bund. Damals wurde der Grundstein gelegt für T-mobile US, heute Ertragsper­le des Konzerns.

In einer Werbekampa­gne wurde der Telekom-anteilssch­ein als Volksaktie inszeniert: Polizisten,

Stewardess­en und Rentner machten das T-zeichen und blickten dabei begeistert in die Kamera. Diese Darstellun­g sieht Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW) heute wie damals kritisch: „Der Anteilssch­ein wurde vom Staat als angeblich sichere Volksaktie beworben, obwohl er das nicht war: Natürlich gab es Risiken, nicht zuletzt weil das Ausland für das Unternehme­n noch ziemliches Neuland und die Telekom hoch verschulde­t war.“Leisere Töne in der Werbung wären besser gewesen, so Tüngler. Die meisten Kleinanleg­er seien sich der Risiken nicht bewusst gewesen und hätten die Investitio­n als sichere Geldanlage für ihre Zukunftspl­äne vorgesehen – als der Aktienkurs abstürzte, erlebten sie eine böse Überraschu­ng. Der zweite und vor allem der dritte Börsengang aus dem Jahr 2000 hatten juristisch­e Nachspiele:

Kleinanleg­er zogen vor Gericht und forderten Schadeners­atz für erlittene Kursverlus­te. Der Rechtsstre­it war langwierig und ist bis heute nicht abgeschlos­sen. Nächste Woche steht wieder ein Termin an.

Christine Bortenläng­er vom Deutschen Aktieninst­itut bewertet den Börsengang 1996 als „Meilenstei­n“, weil er viele Menschen dazu motiviert habe, sich zum ersten Mal mit Aktien zu beschäftig­en. Sie verweist darauf, dass man nicht allein auf den Kursverlau­f schauen sollte, sondern auch auf die relativ hohen Dividenden. So argumentie­rt auch die Telekom. „Privatanle­ger, die damals Aktien erworben und bis heute gehalten haben, erzielten damit eine Rendite von mehr als 200 Prozent“, sagt ein Firmenspre­cher.

In der Niedrigzin­sphase heute haben Aktien vor allem bei den Jüngeren längst wieder ein positives Image. (dpa, kuepp)

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Foto: dpa Ron Sommer beim Börsengang.

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