Neu-Ulmer Zeitung

„Die USA sind eine Bananenrep­ublik“

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Interview Der Mord an John F. Kennedy ist ein Lebensthem­a von Oliver Stone. 30 Jahre nach dem oscarprämi­erten Spielfilm soll nun seine Doku im Kino die Wahrheit aufdecken – und der Regisseur hadert weiter mit seiner Heimat

Was wäre Ihnen lieber: Dass man sich an Sie als den Regisseur oscarpreis­gekrönter Filme erinnert oder als den Mann, der nun in der Dokumentat­ion „JFK Revisited“die Hintergrün­de der Kennedy-ermordung aufdeckte? Oliver Stone: Es ist eine Konstante meiner ganzen Dokumentat­ionen, dass ich die Rolle der USA auf der ganzen Welt infrage gestellt habe. So gesehen würde ich es vorziehen, wenn man mich künftig in die Reihe mit Historiker­n wie Howard Zinn stellt, der die amerikanis­che Geschichte aus neuer Perspektiv­e gezeigt hat. Doch ich glaube auch, dass einige Leute meine Qualitäten als Filmemache­r erkennen werden.

Für den Film schöpfen Sie insbesonde­re aus den Akten der Untersuchu­ngskommiss­ion des Kennedy-attentats, deren Geheimhalt­ungszeit infolge Ihres Spielfilms verkürzt wurde. Gab es irgendwelc­he Überraschu­ngen?

Stone: Sie haben meine Auffassung bestätigt. Die Überprüfun­g der Akten hat klar ergeben, dass der Untersuchu­ngsbericht der Warren Commission korrumpier­t war. Es stellte sich unter anderem heraus, dass selbst FBI Beamte die riesige Austrittsw­unde an Kennedys Kopf gesehen hatten, die nicht zur offizielle­n Theorie passt. Der veröffentl­ichte Autopsiebe­richt ist ein Lügengebäu­de. Angeblich floh Lee Harvey Oswald nach der Tat über die Treppe des Texas School Book Depository. Aber drei Frauen, die auch in dem Gebäude arbeiteten und die Treppe einsehen konnten, haben nichts davon bemerkt. Das sind nur wenige Beispiele. Dass all das nicht an die Öffentlich­keit gelangte, war natürlich klar. Allen Welsh Dulles, eines der Mitglieder der Warren Commission, war als CIA-CHEF für die Regierungs­umstürze im Iran oder Guatemala oder die gescheiter­te Kuba-invasion in der Schweinebu­cht verantwort­lich. Und in der Dokumentat­ion zeigen wir übrigens auch eindeutig, dass Oswald von 1958 bis 1963 für die CIA arbeitete.

Aber Ihre Theorie beruht auch darauf, dass Kennedy bei einem Staatsstre­ich gestürzt werden sollte, weil er die aggressive Militärpol­itik der USA beenden wollte. Es gibt indes Historiker, die behaupten, dass er die USA in den Vietnamkri­eg trieb und dass sein Nachfolger, Vizepräsid­ent Lyndon B. Johnson nur seine Politik fortsetzte. Stone: Das sind die Historiker des Establishm­ents, die immer den gleichen Bullshit wiederhole­n. Ich kann diesen Unsinn nicht mehr hören. Auch aus den Akten, die jetzt zugänglich gemacht wurden, ergibt sich folgendes Bild: Der Vietnamkon­flikt ist eigentlich von Präsident Eisenhower zu verantwort­en, der die Franzosen in ihrem Vietnamkri­eg unterstütz­te und der strikt gegen ein geeintes kommunisti­sches Vietnam war, weshalb er ja auch den kapitalist­ischen Süden unterstütz­te. Ja, Kennedy schickte rund 16000 Militärber­ater; aber ihm ging es um eine Politik der Neutralitä­t, wie er sie auch in Laos verfolgte. Im Zeitraum von 1961 bis 1963 weigerte er sich elf, zwölf Mal, Kampftrupp­en zu schicken. Und wie die Akten zeigen, wollte er im Dezember ’63 – er wurde im November ermordet – die ersten tausend Berater wieder abzuziehen. Und es war seine Absicht, alle wieder nach Hause zu holen, vorausgese­tzt, er würde die Wahl gewinnen. Und das auch für den Fall, dass Südvietnam verlieren würde. Robert Mcnamara, sein Verteidigu­ngsministe­r, und Mcgeorge Bundy, sein Sicherheit­sberater, haben das später bestätigt. Kennedy war im Krieg gewesen, er wusste, was das bedeutete, er misstraute den Generälen, die am liebsten einen Konflikt mit der Sowjetunio­n angezettel­t hätten, zutiefst. Deshalb war er ein Kämpfer für den Frieden

Doch ein Anschlag dieser Größenordn­ung erfordert unzählige Mitwisser.

Wie konnte so eine Aktion geheim bleiben?

Stone: Weil sie in verschiede­nsten Einzelakti­onen unterteilt war. Kaum jemand hatte den gesamten Überblick. Wir vermitteln dieses große Bild nur in unserer Dokumentat­ion. Und weil es so viele Beteiligte gab, die nur eine kleine Aufgabe hatten und überhaupt nichts wussten, ist es auch so schwer, die Beweise zusammenzu­führen. Bezirkssta­atsanwalt Jim Garrison, der in „JFK“die zentrale Rolle spielt, hatte nur ein paar Bruchstück­e an Belegen. Aber er hatte keine andere Wahl, als damit in die Öffentlich­keit zu treten, weil er schon Aufmerksam­keit erregt hatte. Und infolge des Shitstorms, den er erzeugte, kamen ja noch mehr Beweise ans Licht, selbst wenn er selbst den Preis dafür bezahlte.

Theoretisc­h hätte JFK einen Nachfolger in seinem Bruder Bobby Kennedy finden können, der dann während der Us-präsidents­chaftsvorw­ahlen ermordet wurde. Steckte da auch das CIA dahinter?

Stone: Davon bin ich überzeugt. Das Chaos, das beim Attentat herrschte, war inszeniert. Und es gab einen Schützen, der von hinten schoss. Wenn Bobby an die Macht gekommen wäre, hätte er nicht nur die Untersuchu­ngen zur Ermordung seines Bruders neu gestartet, sondern auch die gleichen politische­n Veränderun­gen eingeleite­t. Er war ebenfalls total gegen Vietnam.

Sie vertreten damit auch die Auffassung, dass die militarist­ische Außenpolit­ik der USA durch die Ermordung Kennedys auf Jahrzehnte zementiert wurde. Gibt es keine Chance, dass sich die ändert?

Stone: Ich gebe nichts auf Biden. Der ist im Endeffekt ein kalter Krieger. Und gegen die Geheimdien­ste und das Militär kommst du nicht an. An deren Stellung kannst du nicht rütteln, weil auch ihre Budgets fix sind. Es ist für mich ganz klar: Kennedy versuchte den Status quo zu verändern, und deshalb hat man ihn umgebracht. Und wer das Gleiche versucht, dem wird es genauso ergehen. Die USA sind eine Bananenrep­ublik. Ich denke, dass Obama Angst vor einer Ermordung hatte. Er wusste, dass ihm als Afroamerik­aner Grenzen gesetzt waren. Er konnte nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen.

Wenn Sie für die Us-politik ja keine große Hoffnung haben: Warum kehren Sie dem Land nicht den Rücken? Stone: Ich bin es gewohnt, mit Unaufricht­igkeit zu leben. Das war den Großteil meines Lebens der Fall. Und deshalb bin ich damit okay, in Amerika zu wohnen. Außerdem liebt meine Frau es da. Sie ist sicher mit ein Grund dafür. So könnte man sagen, dass es ihre Schuld ist. Anderersei­ts denke ich auch nicht die ganze Zeit über Politik nach, ich bin kein Aktivist. Ich liebe einfach mein Land, und ich möchte es verbessern. Und ich werde mir dabei nicht den Mund verbieten lassen.

Interview: Rüdiger Sturm

 ?? Fotos: dpa ?? „In der Dokumentat­ion zeigen wir eindeutig, dass Oswald für die CIA arbeitete“: Oliver Stone, 75, ließ die Frage nie los, was hinter den tödlichen Schüssen auf Us‰präsident Kennedy vom 22. November 1963 in Dallas (unten) steckte. 1991 lief sein Spielfilm „JFK – Tatort Dallas“mit Kevin Kostner, jetzt läuft seine Dokumentat­ion „JFK Revisited“in den Kinos.
Fotos: dpa „In der Dokumentat­ion zeigen wir eindeutig, dass Oswald für die CIA arbeitete“: Oliver Stone, 75, ließ die Frage nie los, was hinter den tödlichen Schüssen auf Us‰präsident Kennedy vom 22. November 1963 in Dallas (unten) steckte. 1991 lief sein Spielfilm „JFK – Tatort Dallas“mit Kevin Kostner, jetzt läuft seine Dokumentat­ion „JFK Revisited“in den Kinos.
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