Neu-Ulmer Zeitung

„Selbst Bayern‰hasser müssen diesen Fußball mögen“

-

Interview Dazn-experte Sebastian Kneißl, 38, über Münchner Stärken, Augsburger Hoffnung und Kimmich-kritik

Wie viel Fußball schauen Sie pro Woche?

Sebastian Kneißl: Schon stundenwei­se. Wobei ich nicht nur Spiele aus dem ,Tagesgesch­äft‘ anschaue. Auf Analysepla­ttformen informiere ich mich über Mannschaft­en und deren Spieler. Ich schaue die Spiele oft mit doppelter Geschwindi­gkeit an, damit es nicht ganz so lange dauert.

Sie gelten als sehr akribisch vorbereite­t.

Kneißl: (Lacht) Würde jemand meinen Vorbereitu­ngszyklus begleiten, würde er sagen: ,Der hat einen an der Waffel‘. Kommentier­e ich eine Mannschaft zum ersten Mal in einer Saison, bereite ich mich acht bis zehn Stunden vor. Ich erstelle Excel-listen zu Spielern, der Klubhistor­ie, Vereinspol­itik, Transfers, sportliche­r Entwicklun­g, Saisonvorb­ereitungen oder einzelnen Spielen. Die Nachbereit­ung dauert dann noch rund eineinhalb Stunden.

Sie mussten als Nachwuchsp­rofi bei Chelsea dem französisc­hen Welt- und Europameis­ter Marcel Desailly die Schuhe putzen. Warum war das für Sie ein Schlüssele­rlebnis?

Kneißl: Später wurde das abgeschaff­t, aber das Prinzip dahinter finde ich genial: Einerseits lernt man Demut. Wobei noch besser wäre, die Profis würden selbst putzen. Noch viel wertvoller fand ich: den täglichen Kontakt zu einem Weltstar. Mit der Zeit kamen wir ins Gespräch, er hat sich für mich interessie­rt. Ich habe nicht nur geantworte­t, sondern ihm Fragen gestellt. Das ist unglaublic­h wertvoll für junge Spieler und nicht mit Geld zu bezahlen.

Was fällt taktisch beim FCA auf? Kneißl: Ich finde die Systemwech­sel von Fünfer- und Viererabwe­hrkette spannend. Trainer Weinzierl setzt jetzt gegen den Ball auf ein klassische­s 4-4-2. Das ist das System mit der klarsten Verteilung, das gibt den Spielern Orientieru­ng. Tatsächlic­h ist der Trend positiv. Zwar hat der FCA ein Torproblem, aber die Anzahl und die Qualität der Chancen steigen.

Womit können Sie FCAFANS Hoffnung auf ein gutes Ergebnis machen?

Kneißl: Selbst Bayern-hasser müssten diesen Fußball mögen, so mutig und offensiv tritt Nagelsmann­s Mannschaft auf. Für mich sind die Bayern Mitfavorit auf den Champions-leaguetite­l.

Aber selbst bei Bayern haben Spieler Schwachste­llen. Augsburg sollte sich auf sein Umschaltsp­iel und die Standardsi­tuationen fokussiere­n.

Wenn Sie analysiere­n: Was sind Ihre Schwerpunk­te?

Kneißl: Ich feiere lieber gelungene Aktionen, als Fehler zu kritisiere­n. Man kann nach einem Tor Abwehrverh­alten kritisiere­n, kann aber auch die Offensivak­tion loben. Es ist schwierige­r, eine Lösung mit Ball zu finden als ohne. Das lässt sich auch auf gute Verteidigu­ng übertragen.

Für Diskussion­en sorgen aktuell ungeimpfte Bayern-spieler. Ist die Vorbereitu­ng von Kimmich und Co. vor dem Spiel in Augsburg gestört?

Kneißl: Das beeinfluss­t jeden Spieler, auch einen Weltklasse­spieler wie Kimmich. Automatisc­h bist du etwas abgekapsel­t von der Mannschaft und vom Spiel.

Öffentlich will keiner der Mitspieler Kritik äußern, aber die Meinungen zum Impfen dürften innerhalb der Bayern-mannschaft auseinande­rgehen.

Kneißl: Die Spieler halten sich an einen Ehrenkodex. Aber ich gehe davon aus, dass in der Kabine die eine oder andere Frage gestellt und eine Erklärung gefordert wurde.

Im öffentlich-rechtliche­n Fernsehen hat man mitunter den Eindruck, der Name eines Experten zählt mehr als dessen Kompetenz.

Kneißl: Ich habe weder ein Bundesliga­spiel noch ein Premier-leaguespie­l bestritten, muss also mit anderen Qualitäten überzeugen. Mein Mehrwert sind meine Tätigkeit als Spieler-coach und Taktikwiss­en.

Interview: Johannes Graf sondern der FC Bayern. Doch selbst wenn die Impfpflich­t nicht eingeführt wird, müsste Trainer Julian Nagelsmann in den kommenden Monaten immer wieder spontan auf Ausfälle seiner ungeimpfte­n Viererkett­e reagieren. Blöd für ihn, gut für die Liga.

Die Münchner schlagen so einen neuen Weg ein, um die Liga spannend zu gestalten. Je höher die Inzidenzen, desto größer die Wahrschein­lichkeit einer personell gerupften Bayern-mannschaft. Wo Schatten ist, scheint auch Licht.

 ?? Foto: Lukas Mengeler, DAZN ??
Foto: Lukas Mengeler, DAZN

Newspapers in German

Newspapers from Germany