Absagen, verschieben – oder doch spielen?
Pandemie Mitten in die Zeit der Winter-, Weihnachts- und Jahreskonzerte platzt die vierte Corona-welle. Das trifft auch
Musikvereine im Kreis Neu-ulm. Sie müssen sich fragen: Kann man in dieser kritischen Lage ein Konzert veranstalten?
Neuulm Es ist wieder so weit, jetzt muss wieder entschieden werden: Darf ein Konzert noch stattfinden oder nicht? Lässt die aktuelle Corona-lage das zu oder nicht? Auch die Feuerwehrkapelle Pfuhl hätte am Samstag gerne nach gut zwei Jahren ohne größeren Auftritt einmal wieder auf einer Bühne gespielt. Doch kurzfristig zog der Vorsitzende Maximilian Feyerabend die Reißleine. Und das, obwohl noch unter der Woche sich die Musikerinnen und Musiker bei einer gemeinsamen Abstimmung mehrheitlich für das Konzert ausgesprochen hatten – unter Einhaltung der 2G-regel. Feyerabend sagt: Er sei „ratlos“und „völlig überfordert“mit dieser Situation. Ein Dilemma, das vielen Vereinen auf kurz oder lang das Genick brechen könnte?
Gerne hätte Feyerabend seinen Vereinsmitgliedern am Wochenende wieder einmal ermöglicht, gemeinsam auf einer Bühne zu musizieren. „Wir hätten zur Not auch ohne Publikum gespielt. Wir wollten einfach mal wieder zusammen auf eine Bühne“, sagt er. Doch die Corona-lage spitzt sich wieder zu. Nach der Abstimmung am Dienstag hätten vier Musiker von sich aus gesagt, sie wollen das Risiko nicht eingehen und nicht am Konzert teilnehmen. „Das hat den Stöpsel gezogen“, sagt Feyerabend.
Was ihm aber auch aufgestoßen ist: Wenn die derzeitige Lage auf den Intensivstationen schon so schlimm ist, hätte er von jenen, die die Vorgaben machen, auch erwartet, dass es eine klare Ansage gibt. Dass die Politik nicht die große Verantwortung an die Vereine weiterschiebt. „Wir sind Laien und stehen bei den rechtlichen Vorgaben in der Schwebe“, sagt Feyerabend, hauptberuflich Koch in einem Seniorenheim. Er kenne zwar die Regeln und sei im Kontakt mit dem Gesundheitsamt gewesen. Doch von dort sei weder ein Verbot noch eine Empfehlung gekommen. Nur ein persönlicher Rat der dortigen Mitarbeiterin: „Sagt es ab!“
Am Ende habe ihn das „unsichere Gefühl“zum Entschluss gebracht, das Event absagen zu müssen – auch im Wissen, dass es der eine oder andere gerne gespielt hätte, unter Einhaltung der notwendigen Sicherheitsvorkehrungen. Jedoch seien bislang die meisten Rückmeldungen zu seiner Entscheidung positiv. Ein Vertreter des Neu-ulmer Stadtrats habe auf die Absage gleich geantwortet und nach der Kontonummer für eine Spende gefragt. Geld, das der Verein gut gebrauchen kann. Wenngleich es vom Dachverband „Fördergelder“für abgesagte Veranstaltungen gibt. Allerdings lief die Werbung ja schon, Programmhefte waren bereits gedruckt. „Es war schon ein guter Batzen, der da flöten gegangen ist.“
Wann nun also der nächste Auftritt ansteht? „Vielleicht noch auf dem Neu-ulmer Weihnachtsmarkt. Aber ob das noch klappt?“, fragt Feyerabend. Vielleicht stellen sie sich auch um die Weihnachtsfeiertage einfach in Pfuhl auf und spielen dort. Die Musikerinnen und Musiker der Feuerwehrkapelle wollen vorbereitet sein und sich auch weiterhin zum Proben treffen – geimpft oder genesen und alle getestet.
Rainer Lohner muss das ganze Ausmaß dieses Dilemmas im Blick behalten. Er spielt nicht nur Tenorhorn in der Schützenkapelle Reutti, er ist auch Vizepräsident des Allgäuschwäbischen Musikbunds (ASM). Lohner sagt, er habe sich schon auf eine gute Saison gefreut, mit vielen Weihnachts- und Jahreskonzerten, unter Sicherheitsbedingungen: „Die Hoffnung war ja da.“
Und jetzt, da die vierte Welle über die Konzertzeit schwappt? „Die Stimmung steckt schon sehr tief im Keller.“Fallen die Termine im Herbst und Winter flach, brechen für viele Vereine wichtige Einnahmen weg. Adventsauftritte, Neujahrsmusik, manch ein Verein betreibt Stände auf den Weihnachtsmärkten, um Spenden zu sammeln. Aber viele Märkte sind jetzt ebenfalls abgesagt. „Momentan geht es stark an die Substanz“, sagt Lohner.
Sorgen um die Vereinskasse lösen dabei nicht den größten Schmerz in diesen Tagen aus: „Ein Konzert ist für Musiker und Musikerinnen eine Bestätigung ihres künstlerischen Seins. Das heißt: Wir leben auch für den Applaus“, erklärt Lohner. Viele Kapellen richten ihre Probenarbeit, nach der Sommerpause, ganz auf ihre Jahreskonzerte aus. Doch proben und spielen dürfen aktuell nur jene, die vollständig geimpft sind. Spaltet das so eine Gemeinschaft?
„Natürlich will kein Verein eine Zwei-klassen-gesellschaft unter den Musikern. Das ist eine Gefahr“, sagt Lohner, er betont aber auch: „Unsere Vorstände und Musiker haben großes Verständnis für den Ernst der Lage.“Seine Schützenkapelle habe sich freiwillig für den 2G-plus-modus entschieden. Das bedeutet: Vor Proben und Auftritten lassen sich die geimpften Musiker und Musikerinnen auch noch zusätzlich testen.
Trotzdem spitzt sich die Pandemie-lage wieder einmal drastisch zu und die große Unsicherheit grassiert abermals in der gesamten Kulturszene. Lohner richtet da ebenfalls einen Wunsch in Richtung Politik: „Es wäre für alle hilfreich, wenn man mit der Entscheidung nicht allein stehen würde.“Hadern, verschieben, Konzert abblasen oder nicht – Lohner fällt spontan noch so ein aktueller Fall ein: „Die Musikvereinigung Senden-ay-oberkirchberg hat auch schweren Herzens abgesagt.“
Dreimal hat hier die Pandemie alle Pläne verhagelt. Dreimal stand das Jahreskonzert schon als Termin im Kalender des Blasorchesters Sendenay-oberkirchberg – und dreimal musste der Verein diesen Eintrag wieder ausradieren. Die erste Absage schlug im April 2020 ein, eine weitere im vergangenen November – und zuletzt traf es den Verein an diesem Donnerstag. Da stand auf der Facebook-seite der Kapelle: „Wir haben uns aufgrund der aktuellen Coronasituation entschieden, das am kommenden Samstag, 20. 11. 2021 geplante Herbstkonzert nicht durchzuführen.“
Der Vereinsvorsitzende Ralf Zanker klingt mehr als niedergeschlagen. „Jetzt, beim dritten Versuch, waren wir sicher, dass wir das Konzert durchziehen würden.“Rein theoretisch wäre das auch möglich gewesen
– aber Zanker hat anders entschieden. „Weil in dieser Frage Druck entstanden ist“, so erklärt er diesen Schritt. Die Musiker und Musikerinnen hätten mit großem Ernst über die Lage diskutiert, alle kritischen Argumente abgewogen. Dabei seien Zweifel laut geworden: Welches Signal sendet unser Musikverein aus, wenn er sich in diesen Tagen dafür entscheidet, ein Konzert über die Bühne zu bringen? „Es gab auch schon kritische, durchaus empörte E-mails an die Stadt“, weiß Zanker.
„Die Impfquote liegt bei unseren aktiven Mitgliedern bei 100 Prozent“, erklärt Zanker. „Andere Vereine stehen da vor viel größeren Problemen.“Doch jetzt muss das Blasorchester auf Anlauf Nummer vier hoffen – auch wenn sich die Coronalage wohl nicht so bald entspannen wird, das spürt Zanker. „Heute hat uns das Pflegeheim abgesagt“, erzählt der Vorstand. Traditionell spielen die Musiker und Musikerinnen jedes Jahr ein kleines Konzert für die Heimbewohner. Doch diesmal nicht. Zanker bleibt nur Verständnis und der Blick voraus auf bessere Tage: „Wir proben weiter.“