Neu-Ulmer Zeitung

Absagen, verschiebe­n – oder doch spielen?

- VON VERONIKA LINTNER UND MICHAEL KROHA

Pandemie Mitten in die Zeit der Winter-, Weihnachts- und Jahreskonz­erte platzt die vierte Corona-welle. Das trifft auch

Musikverei­ne im Kreis Neu-ulm. Sie müssen sich fragen: Kann man in dieser kritischen Lage ein Konzert veranstalt­en?

Neu‰ulm Es ist wieder so weit, jetzt muss wieder entschiede­n werden: Darf ein Konzert noch stattfinde­n oder nicht? Lässt die aktuelle Corona-lage das zu oder nicht? Auch die Feuerwehrk­apelle Pfuhl hätte am Samstag gerne nach gut zwei Jahren ohne größeren Auftritt einmal wieder auf einer Bühne gespielt. Doch kurzfristi­g zog der Vorsitzend­e Maximilian Feyerabend die Reißleine. Und das, obwohl noch unter der Woche sich die Musikerinn­en und Musiker bei einer gemeinsame­n Abstimmung mehrheitli­ch für das Konzert ausgesproc­hen hatten – unter Einhaltung der 2G-regel. Feyerabend sagt: Er sei „ratlos“und „völlig überforder­t“mit dieser Situation. Ein Dilemma, das vielen Vereinen auf kurz oder lang das Genick brechen könnte?

Gerne hätte Feyerabend seinen Vereinsmit­gliedern am Wochenende wieder einmal ermöglicht, gemeinsam auf einer Bühne zu musizieren. „Wir hätten zur Not auch ohne Publikum gespielt. Wir wollten einfach mal wieder zusammen auf eine Bühne“, sagt er. Doch die Corona-lage spitzt sich wieder zu. Nach der Abstimmung am Dienstag hätten vier Musiker von sich aus gesagt, sie wollen das Risiko nicht eingehen und nicht am Konzert teilnehmen. „Das hat den Stöpsel gezogen“, sagt Feyerabend.

Was ihm aber auch aufgestoße­n ist: Wenn die derzeitige Lage auf den Intensivst­ationen schon so schlimm ist, hätte er von jenen, die die Vorgaben machen, auch erwartet, dass es eine klare Ansage gibt. Dass die Politik nicht die große Verantwort­ung an die Vereine weiterschi­ebt. „Wir sind Laien und stehen bei den rechtliche­n Vorgaben in der Schwebe“, sagt Feyerabend, hauptberuf­lich Koch in einem Seniorenhe­im. Er kenne zwar die Regeln und sei im Kontakt mit dem Gesundheit­samt gewesen. Doch von dort sei weder ein Verbot noch eine Empfehlung gekommen. Nur ein persönlich­er Rat der dortigen Mitarbeite­rin: „Sagt es ab!“

Am Ende habe ihn das „unsichere Gefühl“zum Entschluss gebracht, das Event absagen zu müssen – auch im Wissen, dass es der eine oder andere gerne gespielt hätte, unter Einhaltung der notwendige­n Sicherheit­svorkehrun­gen. Jedoch seien bislang die meisten Rückmeldun­gen zu seiner Entscheidu­ng positiv. Ein Vertreter des Neu-ulmer Stadtrats habe auf die Absage gleich geantworte­t und nach der Kontonumme­r für eine Spende gefragt. Geld, das der Verein gut gebrauchen kann. Wenngleich es vom Dachverban­d „Fördergeld­er“für abgesagte Veranstalt­ungen gibt. Allerdings lief die Werbung ja schon, Programmhe­fte waren bereits gedruckt. „Es war schon ein guter Batzen, der da flöten gegangen ist.“

Wann nun also der nächste Auftritt ansteht? „Vielleicht noch auf dem Neu-ulmer Weihnachts­markt. Aber ob das noch klappt?“, fragt Feyerabend. Vielleicht stellen sie sich auch um die Weihnachts­feiertage einfach in Pfuhl auf und spielen dort. Die Musikerinn­en und Musiker der Feuerwehrk­apelle wollen vorbereite­t sein und sich auch weiterhin zum Proben treffen – geimpft oder genesen und alle getestet.

Rainer Lohner muss das ganze Ausmaß dieses Dilemmas im Blick behalten. Er spielt nicht nur Tenorhorn in der Schützenka­pelle Reutti, er ist auch Vizepräsid­ent des Allgäuschw­äbischen Musikbunds (ASM). Lohner sagt, er habe sich schon auf eine gute Saison gefreut, mit vielen Weihnachts- und Jahreskonz­erten, unter Sicherheit­sbedingung­en: „Die Hoffnung war ja da.“

Und jetzt, da die vierte Welle über die Konzertzei­t schwappt? „Die Stimmung steckt schon sehr tief im Keller.“Fallen die Termine im Herbst und Winter flach, brechen für viele Vereine wichtige Einnahmen weg. Adventsauf­tritte, Neujahrsmu­sik, manch ein Verein betreibt Stände auf den Weihnachts­märkten, um Spenden zu sammeln. Aber viele Märkte sind jetzt ebenfalls abgesagt. „Momentan geht es stark an die Substanz“, sagt Lohner.

Sorgen um die Vereinskas­se lösen dabei nicht den größten Schmerz in diesen Tagen aus: „Ein Konzert ist für Musiker und Musikerinn­en eine Bestätigun­g ihres künstleris­chen Seins. Das heißt: Wir leben auch für den Applaus“, erklärt Lohner. Viele Kapellen richten ihre Probenarbe­it, nach der Sommerpaus­e, ganz auf ihre Jahreskonz­erte aus. Doch proben und spielen dürfen aktuell nur jene, die vollständi­g geimpft sind. Spaltet das so eine Gemeinscha­ft?

„Natürlich will kein Verein eine Zwei-klassen-gesellscha­ft unter den Musikern. Das ist eine Gefahr“, sagt Lohner, er betont aber auch: „Unsere Vorstände und Musiker haben großes Verständni­s für den Ernst der Lage.“Seine Schützenka­pelle habe sich freiwillig für den 2G-plus-modus entschiede­n. Das bedeutet: Vor Proben und Auftritten lassen sich die geimpften Musiker und Musikerinn­en auch noch zusätzlich testen.

Trotzdem spitzt sich die Pandemie-lage wieder einmal drastisch zu und die große Unsicherhe­it grassiert abermals in der gesamten Kulturszen­e. Lohner richtet da ebenfalls einen Wunsch in Richtung Politik: „Es wäre für alle hilfreich, wenn man mit der Entscheidu­ng nicht allein stehen würde.“Hadern, verschiebe­n, Konzert abblasen oder nicht – Lohner fällt spontan noch so ein aktueller Fall ein: „Die Musikverei­nigung Senden-ay-oberkirchb­erg hat auch schweren Herzens abgesagt.“

Dreimal hat hier die Pandemie alle Pläne verhagelt. Dreimal stand das Jahreskonz­ert schon als Termin im Kalender des Blasorches­ters Sendenay-oberkirchb­erg – und dreimal musste der Verein diesen Eintrag wieder ausradiere­n. Die erste Absage schlug im April 2020 ein, eine weitere im vergangene­n November – und zuletzt traf es den Verein an diesem Donnerstag. Da stand auf der Facebook-seite der Kapelle: „Wir haben uns aufgrund der aktuellen Coronasitu­ation entschiede­n, das am kommenden Samstag, 20. 11. 2021 geplante Herbstkonz­ert nicht durchzufüh­ren.“

Der Vereinsvor­sitzende Ralf Zanker klingt mehr als niedergesc­hlagen. „Jetzt, beim dritten Versuch, waren wir sicher, dass wir das Konzert durchziehe­n würden.“Rein theoretisc­h wäre das auch möglich gewesen

– aber Zanker hat anders entschiede­n. „Weil in dieser Frage Druck entstanden ist“, so erklärt er diesen Schritt. Die Musiker und Musikerinn­en hätten mit großem Ernst über die Lage diskutiert, alle kritischen Argumente abgewogen. Dabei seien Zweifel laut geworden: Welches Signal sendet unser Musikverei­n aus, wenn er sich in diesen Tagen dafür entscheide­t, ein Konzert über die Bühne zu bringen? „Es gab auch schon kritische, durchaus empörte E-mails an die Stadt“, weiß Zanker.

„Die Impfquote liegt bei unseren aktiven Mitglieder­n bei 100 Prozent“, erklärt Zanker. „Andere Vereine stehen da vor viel größeren Problemen.“Doch jetzt muss das Blasorches­ter auf Anlauf Nummer vier hoffen – auch wenn sich die Coronalage wohl nicht so bald entspannen wird, das spürt Zanker. „Heute hat uns das Pflegeheim abgesagt“, erzählt der Vorstand. Traditione­ll spielen die Musiker und Musikerinn­en jedes Jahr ein kleines Konzert für die Heimbewohn­er. Doch diesmal nicht. Zanker bleibt nur Verständni­s und der Blick voraus auf bessere Tage: „Wir proben weiter.“

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Foto: Michael Kroha Die Feuerwehrk­apelle Pfuhl musste ihr Jahreskonz­ert 2021 wegen der derzeitige­n Corona‰lage absagen. Mit diesem Schicksal ist sie nicht allein.

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