Man gewöhnt sich an alles
Test Der Dacia Sandero, Deutschlands billigster Neuwagen, braucht keine anderen Argumente außer seinem Preisschild
Ist ja schön, dass den Menschen 7000 oder gar 9000 Euro an Prämie winken, wenn sie sich ein elektrifiziertes Auto kaufen. Pech nur für den nicht ganz so wohlhabenden Teil der Bevölkerung, dass er die fehlenden 30 000 Euro aus der eigenen Tasche drauflegen muss, um ein halbwegs brauchbares Elektroauto oder einen Plug-in-hybriden zu erwerben.
Sparen muss man sich leisten können, und das können nicht alle, sondern sind auf ein von Haus aus günstiges Fahrzeug angewiesen. Dass es diese große Zielgruppe entgegen manch ökosozialem Wunschdenken wirklich gibt, zeigt die Statistik: Mit 2096 Neuzulassungen war der Dacia Sandero im Juli 2021 der beliebteste Kleinwagen auf dem deutschen Pkw-privatmarkt.
Die Marke präsentiert ihn ganz offensiv als „günstigsten Neuwagen Deutschlands“mit einem Einstiegspreis von 8690 Euro und einer Leasingrate von weniger als drei Euro pro Tag. Sogar sein Wiederverkaufspotenzial kann sich sehen lassen. Autobild kürte den Sandero akzum Klassenbesten in der Kategorie „Preis/leistung“und attestierte ihm zudem den „geringsten Wertverlust“.
Der supergünstige Einstieg eröffnet selbst bei schmalem Budget die Chance auf das ein oder andere Extra – und einen größeren Motor als das 67-Ps-basistriebwerk. Wir gehen gleich in die Vollen und konfi
die Topmotorisierung (101 PS, Comfort, 11 890 Euro) mit Sitzheizung, Klimaautomatik, Rückfahrkamera und Einparkhilfe für insgesamt 12 840 Euro. Auf alles andere verzichten wir, etwa auf die elektrischen Fensterheber hinten. Was postwendend mit strahlenden Augen eines kleinen Kindes goutiert wird, das sich nicht vorstellen konntuell te, ein Fenster mit einer Kurbel zu öffnen! Den heute gerade für die jüngere Zielgruppe immens wichtigen Digital-job erledigt ohnehin das Smartphone, für das genügend Ladebuchsen vorhanden sind. Es arbeitet tadellos mit dem 8-Zolltouchscreen zusammen und lässt sich in einen Dacia Sandero ebenso einfach integrieren wie in ein Obergurieren klasse-fahrzeug. Die Funktionen sind ja dann identisch.
Das Fahrgefühl, wen wundert´s, eher nicht. Deutliche Windgeräusche um die A-säule, offenbar vom Antriebsstrang herrührende Vibrationen, surrende Geräusche aus der Lüftung, nüchternes Geiz-ist-geilinterieur – das würden Besitzerinnen und Besitzer von fünf- bis zehnmal so teuren Autos kaum tolerieren. Sie könnten sich im Gegenzug niemals über ein Schnäppchen freuen, das sie ebenso von A nach B bringt. Und nach einigen Tagen mit dem Dacia Sandero stellen wir fest: Man gewöhnt sich an alles.
Zumal der Kulturbruch so riesig gar nicht ist. Überraschend beispielsweise, wie viele Bedienelemente von der teureren Konzernschwester Renault 1:1 übernommen wurden, was mehr über Renault als über Dacia aussagt. Der Sandero hat Sitze, auf denen man sitzen kann, und offeriert im Interieur ein Platzangebot, das durchaus als familientauglich einzustufen ist. Der Kofferraum fasst ob seiner erstaunlichen Tiefe selbst Sperrgepäck.
Am Ende sammelt unser Testwagen sogar ein paar Ökopunkte. Die
Topmotorisierung kann nämlich zusätzlich mit Autogas betrieben werden, was eine Co2-einsparung von elf Prozent im Vergleich zum reinen Benziner bringen soll. Mit vollem Sprit- und vollem Gastank kommt der Wagen 1300 Kilometer weit – theoretisch. In der Praxis trüben Verbräuche von deutlich über sieben Litern die tadellose Wirtschaftsbilanz des Sandero. An der Tankstelle bekommen selbst Daciafahrende keine Tiefstpreise.