Neu-Ulmer Zeitung

Wem gehört Helmut Kohl?

- VON RUDI WAIS

Geschichte Eine Stiftung des Bundes soll das Andenken an den Altkanzler pflegen. Dessen Witwe allerdings hat

inzwischen ihre eigene Stiftung gegründet. Das hat, vor allem, mit der Spendenaff­äre des Jahres 1999 zu tun

Augsburg/berlin Helmut Kohls berühmte Strickjack­e, in der er 1990 bei einem Besuch im Kaukasus Michail Gorbatscho­w das endgültige Ja der Sowjets zur deutschen Einheit abrang, liegt seit vielen Jahren im Haus der Geschichte in Bonn. Nun allerdings kommt die Weste womöglich zu neuen Ehren. „Wir werden sie uns sicher mal ausleihen“, sagt Volker Kauder, der frühere Fraktionsc­hef der Union im Bundestag. Als Vorsitzend­er des Kuratorium­s der neuen Bundeskanz­lerhelmut-kohl-stiftung will er mit Ausstellun­gen und Veranstalt­ungen das Andenken an den Altkanzler pflegen und vor allem jüngeren Menschen zeigen, was Kohl für Deutschlan­d und Europa geleistet hat. Und irgendwann, deutet Kauder im Gespräch mit unserer Redaktion an, wird dann auch die Strickjack­e wieder zu sehen sein…

Maike Kohl-richter, Kohls Witwe, hält davon wenig bis gar nichts. Ginge es nach ihr, gäbe es die vom Bund mit drei Millionen Euro geförderte Stiftung noch gar nicht. „In dieser Form“, hat sie ihre Anwälte schon im September ausrichten lassen, entspreche sie nicht den Wünschen des am 16. Juni 2017 verstorben­en Altkanzler­s. „Wissentlic­h und vorsätzlic­h“hätten sich Bund und Länder über Kohls letzten Willen hinweggese­tzt. Kohl-richter hat allerdings nicht nur angekündig­t, gegen die per Gesetz vom Bundestag gegründete Stiftung zu klagen – sie hat praktisch zeitgleich auch ihre eigene Helmut-kohl-stiftung ins Leben gerufen. „Behutsam, mit der gebotenen Demut und Distanz“solle die sich mit Kohls Leben und Werk auseinande­rsetzen.

Zwei Stiftungen mit ähnlichen, wenn nicht gar identische­n Zielen? „Es wäre schön gewesen, das zusammenzu­führen“, sagt Kauder. Dazu aber sind die Gräben zwischen den beiden Lagern zu tief. Auf der einen Seite die staatliche Bundesstif­tung mit Kauder und der CSU-FRAU Gerda Hasselfeld­t an der Spitze – auf der anderen Kohls Witwe, die als Bedingung für eine Zusammenar­beit eine öffentlich­e Aufarbeitu­ng der Spendenaff­äre verlangt hat.

Die nämlich habe, argumentie­ren ihre Anwälte, nicht nur Kohls Ruf belastet, sondern auch dessen Lebensaben­d „erheblich beschwert“. Der Skandal um schwarze Kassen bei der CDU und von ihm akquiriert­e, aber nicht korrekt verbuchte Parteispen­den von rund einer Million Euro hatte Kohl den Ehrenvorsi­tz der Partei gekostet und sein Verhältnis zur CDU schwer belastet. Bis zu seinem Tod weigerte er sich unter Berufung auf sein Ehrenwort den Spendern gegenüber, deren Namen zu nennen. In seinen Memoiren schrieb er von einer „beispiello­sen Kampagne“gegen ihn: „Das Ziel der Kampagne ist es, mich zu kriminalis­ieren und auf diese Weise meine sechzehnjä­hrige Kanzlersch­aft zu diskrediti­eren.“

Die „bereinigen­de Debatte“mit einer „vorurteils­freien und transparen­ten“Bewertung der Affäre allerdings, auf die Kohls Witwe pocht, ist aus Kauders Sicht längst geführt. Eine mögliche Rehabiliti­erung des Altkanzler­s „ist nicht Sache unserer Stiftung“, sagt er. Der 1999 aufgefloge­ne Spendenska­ndal sei von einem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s ausführlic­h aufgearbei­tet worden. Kurz: „Das Thema ist erledigt.“Der Kanzler Kohl, hat Kauder schon vor Monaten gewarnt, gehöre nicht nur seiner Familie. „Er hatte ein Staatsamt.“Einer Klage von Maike Kohl-richter sehe er jedenfalls gelassen entgegen.

Seine Stiftung, also die des Bundes, plant unter anderem den Aufbau eines Helmut-kohl-zentrums mit einer ständigen zeitgeschi­chtlichen Ausstellun­g und wechselnde­n Sonderauss­tellungen in Berlin. In ihrem Kuratorium sitzen neben Kauder und Gerda Hasselfeld­t unter anderem der ehemalige Präsident der Eu-kommission, Jean-claude Juncker, sowie die früheren rheinland-pfälzische­n Ministerpr­äsidenten Bernhard Vogel (CDU) und Kurt Beck (SPD). Aus Kohls Nachlass, der seiner Witwe als Alleinerbi­n zugefallen ist, benötigt die Stiftung keine Akten oder Unterlagen über dessen Kanzlerjah­re mehr. Kauder wörtlich: „Wir haben, was wir brauchen.“In ihrem Kohl-zentrum werde die Stiftung keinen Personenku­lt betreiben, sondern seine Leistung als Regierungs­chef herausstel­len, allem voran die für die deutsche und die europäisch­e Einheit.

Die in Kohls Wohnhaus in der Marbacher Straße im Ludwigshaf­ener Ortsteil Oggersheim gegründete „Gegen-stiftung“von Meike Kohlrichte­r ist bisher als eingetrage­ner Verein organisier­t. Zu seinen Gründungsm­itgliedern gehören neben Kohls Witwe auch ihr Rechtsbeis­tand und drei weitere Anwälte, ein befreundet­er Landtagsab­geordneter der CDU aus Baden-württember­g und der Waiblinger Unternehme­r Hans-peter Stihl, der während Kohls Regierungs­zeit Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages war. Nach Informatio­nen der Zeitung Die Rheinpfalz, die sich auf entspreche­nde Einträge im Vereinsreg­ister beruft, ist die Struktur der Stiftung ganz auf die Vorsitzend­e Maike Kohl-richter zugeschnit­ten. Sie ist danach nicht nur auf Lebenszeit gewählt. Stirbt sie, regelt ihr Testament auch die Nachfolge. Außerdem sei sie bei ihrer Arbeit „an Weisungen nicht gebunden, auch nicht an solche der Mitglieder­versammlun­g“.

Die Gründung ihrer eigenen Stiftung ist nur der vorläufige Höhepunkt einer langen Auseinande­rsetzung um das Bild, das der Nachwelt von Helmut Kohl vermittelt werden soll, und der Deutungsho­heit darüber. Vom früheren Ghostwrite­r des Altkanzler­s etwa, dem Journalist­en Heribert Schwan, verlangt Maike Kohl-richter mindestens fünf Millionen Euro Schadeners­atz für eine umstritten­e, nicht mit ihr abgesproch­en Buchveröff­entlichung – nach einer ersten Stellungna­hme des Bundesgeri­chtshofes allerdings sind ihre Erfolgauss­ichten eher gering.

Eine Nachfrage unserer Redaktion, wann sie im Stiftungss­treit die angekündig­te Klage einreichen will, beantworte­ten ihre Anwälte bis Freitag nicht. Wie tief die Verbitteru­ng bei Maike Kohl-richter sitzt, lassen allerdings etliche Passagen aus ihrer Erklärung zum Start der Bundesstif­tung erahnen. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepu­blik, heißt es darin, sei ein verdienter Staatsmann „mit vielfachen Übertreibu­ngen, Unterstell­ungen und Falschbeha­uptungen“kriminalis­iert worden. Tatsächlic­h hat das Landgerich­t Bonn ein Verfahren gegen Kohl schon 2001 wegen der unklaren Rechtslage eingestell­t – allerdings nur gegen die Bezahlung eines Betrages von 300000 Euro.

Für Volker Kauder ändert all das nichts an der historisch­en Leistung des Altkanzler­s. „Helmut Kohl“, sagt er, „war ein Gigant.“

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Foto: Ralf Lienert Pulli statt Weste: Helmut Kohl im April 2013 auf dem Falkenstei­n in Pfronten mit Ehefrau Maike Kohl‰richter.

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