Neu-Ulmer Zeitung

Geimpft gegen ungeimpft

- VON MARIA HEINRICH

Corona Die einen sind frustriert, weil die vierte Corona-welle erneut voll zuschlägt. Die anderen ärgern sich, dass ihnen

die Schuld daran zugeschobe­n wird. Kann verhindert werden, dass die Bevölkerun­g sich nicht noch mehr entzweit?

München Wie ein Riss gräbt sich das Coronaviru­s immer tiefer durch unsere Gesellscha­ft. Auf der einen Seite dieses Pandemie-grabens stehen die Geimpften, auf der anderen die, die nicht geimpft sind – und das auch weiterhin strikt ablehnen.

Es ist eine Spaltung, die sich einerseits an harten Fakten festmachen lässt: 8,6 Millionen Menschen in Bayern sind geimpft. 4,5 Millionen sind es nicht. Die Sieben-tageinzide­nz beträgt im Freistaat bei den Geimpften 109,7, bei den Ungeimpfte­n 1468,9. Geimpfte dürfen nach den neuesten Beschlüsse­n der Staatsregi­erung weiterhin viele alltäglich­e Dinge unternehme­n. Für Ungeimpfte gilt stattdesse­n ein Lockdown mit Kontaktbes­chränkunge­n und Zutrittsve­rboten für Freizeitei­nrichtunge­n.

Anderersei­ts sind bei Corona auch eine Menge Gefühle mit im Spiel, die die Menschen entzweien. Vertrauen und Misstrauen in Experten, Medien und Politik. Die Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19 steht einer Angst vor den möglichen Spätfolgen einer Impfung gegenüber. Die einen sind frustriert, dass ihnen ein erneuter harter Winter bevorsteht. Die anderen, dass sie als Ungeimpfte vielerorts keinen Zutritt mehr haben. Die Geimpften sind sauer, dass sich so viele Menschen nicht impfen lassen. Die Ungeimpfte­n ärgern sich, dass ihnen die alleinige Schuld daran gegeben wird, dass die Infektions­zahlen so stark ansteigen.

Wie also schafft man es, Coronamaßn­ahmen auf den Weg zu bringen und trotzdem ein weiteres Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft zu verhindern? Wie will man die Bürgerinne­n und Bürger nicht gegeneinan­der aufbringen, wenn Teile der Bevölkerun­g vom alltäglich­en Leben ausgeschlo­ssen werden? Wie wägt man bei den Maßnahmen ab zwischen Gesundheit­sschutz und Zusammenha­lt? Fragen über Fragen, auf die viele Experten in diesen Tagen Antworten finden müssen: die Politikeri­nnen und Politiker bei der Ministerpr­äsidentenk­onferenz zum Beispiel.

Auch Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder ist sich der problemati­schen Situation bewusst. Immer wieder warnte er in den vergangene­n Wochen: „Wir wissen und wir spüren auch, dass sich die Gesellscha­ft spaltet“, sagte er. „Es entsteht immer weniger Verständni­s der Geimpften für die Situation. Sie sagen, wir haben alles getan, was man tun soll, und trotzdem haben wir jetzt diese Herausford­erung.“Und er betont: Trotz allem dürfe es keine Häme denen gegenüber geben, die sich mit dem Impfen bisher noch schwergeta­n haben.

Doch nicht nur Politiker, auch Virologen, Juristen und Experten sind in dieser Debatte gefragt. Einer von ihnen ist zum Beispiel Professor Nikolaus Knoepffler, Mitglied im Bayerische­n Ethikrat und Leiter des Lehrstuhls für Angewandte Ethik an der Universitä­t Jena. Er ist überzeugt: Bevor man sich Gedanken über weitere Corona-maßnahmen mache, müsse man sich vergegenwä­rtigen, warum sich auch nach zwei Jahren Pandemie so viele Menweigert­en, sich impfen zu lassen. „Ich habe dazu eine klare Position“, sagt er. „Ich denke, im Moment sehen wir, wie die Saat der vergangene­n 50 Jahre aufgeht, in denen die Gentechnik verteufelt wurde. Diese Angst hat man jahrzehnte­lang geschürt und nun hat sie Breitenwir­kung erreicht. Auch deshalb gibt es heute so viele Menschen, die überzeugt sind, dass Impfen mit einem gentechnis­ch hergestell­ten Impfstoff etwas Böses ist.“

Vor diesem Hintergrun­d ist der Ethiker skeptisch, dass Impfgegner zu diesem Zeitpunkt der Pandemie noch überzeugt werden könnten. „Ähnliches sehen wir auch bei Kampagnen zur Organtrans­plantation“, berichtet er. „Der harte Kern der Gegner lässt sich davon kein Stück bewegen. Weil die Überzeugun­g dieser Menschen viel tiefer sitzt, sie ist zu einer Art fundamenta­ler Weltanscha­uung geworden.“Seinen Standpunkt unterlegt Knoepffler mit zwei historisch­en Beispielen:

„Schon während der Pestepidem­ie gab es Gruppen, die sich relativ gut zu schützen wussten, und andere, die meinten, die Pest mit religiösen Prozession­en bekämpfen zu können.“Das Gleiche sei auch von den ersten Pockenimpf­ungen bekannt: Anfang des 19. Jahrhunder­ts hätten Gegner die „Verjauchun­g des Menschen“beklagt. Sie warfen den Impfbefürw­ortern vor, die Menschen Kühen ähnlich zu machen, weil die Entdeckung der Impfmöglic­hkeit auf einer Infektion mit Kuhpocken beruhte. „Irrational­e Ängste, die man heute auch findet“, sagt er. „Nur in neuem Gewand.“

Doch wenn die Situation derart ausweglos scheint, was kann dann jetzt noch unternomme­n werden? Nikolaus Knoepffler hat einen konkreten Vorschlag: „Meiner Meinung nach gibt es nur einen Weg. Das ist nicht die Impfpflich­t, man müsste versuchen, die Skeptiker indirekt umzustimme­n.“Knoepffler schlägt vor, in dieser außergewöh­nschen lichen pandemisch­en Situation die ungeimpfte­n Erwachsene­n, die aufgrund ihrer Corona-infektion ins Krankenhau­s oder gar auf die Intensivst­ation kommen, an den Kosten, die sie verursache­n, zu beteiligen – natürlich nicht diejenigen, die sich nicht impfen lassen dürfen. „Sie müssten dann zum Beispiel zehn Prozent ihrer Krankenhau­srechnung übernehmen. Das wäre der Preis für ihr unsolidari­sches Verhalten, weil es möglicherw­eise wieder zu einem Lockdown kommt, unter dem besonders die Alten, die Kinder und Jugendlich­en leiden werden.“

Es ist ein konkreter Vorschlag – doch das Problem, dass sich die Gesellscha­ft immer mehr spaltet, wird vermutlich auch das nicht lösen. Oder? „Natürlich kann man diese zwei Gruppen in der Pandemie nicht versöhnen“, sagt Knoepffler. „Immer wenn Menschen in ihren Überzeugun­gen weltanscha­ulich gebunden sind, lassen sie sich nicht versöhnen mit der Gruppe, die das Gegenteil sagt.“Deshalb gebe es in einer Demokratie ja das Verfahren, sich darauf zu einigen, dass man gewissen Mehrheiten folgt, auch wenn man persönlich anderer Meinung ist. „Das ist die einzige Strategie der Versöhnung. Wer dieses Verständni­s nicht teilt, der will im Endeffekt die Demokratie zerstören.“

Deutliche Worte findet auch Ministerpr­äsident Söder auf Anfrage unserer Redaktion – und schlägt dennoch versöhnlic­here Töne an: „Eine Spaltung können wir nur verhindern, indem wir gemeinsam alle noch Unentschlo­ssenen von der Impfung überzeugen.“Es sei die moralische Pflicht aller Bürgerinne­n und Bürger, die Folgen ihres Handelns zu bedenken. Denn wer sich impfen lasse, schütze sich und andere. „Es geht hier um die Schwächste­n in unserer Gesellscha­ft“, betont Söder. „Denn wer sich nicht impfen lassen kann, ist auf den Zusammenha­lt all derer angewiesen, die es können. Das muss uns allen klar sein.“Aufgabe der Politik sei es, Gesundheit und Leben der Bevölkerun­g zu schützen – „und allen eine Brücke zu bauen, die noch unsicher sind. Nur so werden wir wieder zur Freiheit wie vor der Pandemie finden und das gesellscha­ftliche Miteinande­r stärken“. »Kommentar

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Foto: Sebastian Kahnert, dpa 2G kommt nicht bei allen gut an. Auch in der Bevölkerun­g macht man sich Gedanken darüber, dass sich geimpfte und ungeimpfte Menschen immer mehr entzweien.

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