Streit um Impfpflicht spitzt sich zu
Pandemie CSU pocht auf Immunisierung für alle. Die Ampelparteien sind eher skeptisch
Berlin Was vor wenigen Wochen von fast allen Parteien noch entschieden ausgeschlossen wurde, wird peu à peu zu denkbarer Politik. Im Angesicht der vierten Welle mit ihrer bisher nicht gekannten Ausbreitungsgeschwindigkeit fordern immer mehr Politiker, dass die Impfung gegen das Coronavirus für alle zur Pflicht wird. Unter den Spitzenpolitikern bezieht CSU-CHEF Markus Söder am deutlichsten Position: „Nur eine allgemeine Impfpflicht kann die Corona-dauerschleife beenden und gesellschaftlichen Frieden schaffen“, sagt der bayerische Ministerpräsident.
Söder hat damit seine Position geändert. Er gehörte zwar zu den ersten, die verpflichtende Immunisierungen für Pflegerinnen und Pfleger in Altenheimen ins Spiel brachten, lehnte eine Impfpflicht für jedermann bislang aber ab. Der Grund für seinen Meinungswechsel ist die Sorge, dass Deutschland ohne Durchimpfung der Bevölkerung immer wieder von Corona-wellen überspült wird mit all dem menschlichen Leid, der Überforderung der Krankenhäuser und wirtschaftlichen Schäden wegen geschlossener Kneipen, Hotels, Theater oder Kinos. Söders Stellvertreter Hubert Aiwanger stellt sich nicht gegen eine generelle Impfpflicht, sieht aber viele ungeklärte Fragen bei dem sensiblen Thema. „Mit der Polizei abholen und zwangsweise impfen? Wohl nicht. Geldstrafe? Wie hoch, wie oft, für wen“, fragt der Vorsitzende der Freien Wähler rhetorisch.
Die scheidende Bundesregierung hat eine Impfpflicht bis zuletzt abgelehnt. Bei der Konferenz mit den Ministerpräsidenten in der vergangenen Woche haben Bund und Länder die Einführung der obligatorischen Impfung gegen den Coronaerreger für das Personal in Altenheimen und Krankenhäusern beschlossen. Nicht überzeugt davon ist bis heute der noch amtierende Gesundheitsminister
Jens Spahn. „Sie kennen meine skeptische Haltung. An der hat sich auch nichts verändert“, sagte der Cdu-politiker. Er befürchtet, dass sich in der Altenpflege ein Teil des Personals weigert und nicht mehr zur Arbeit erscheint. Seine Skepsis bezieht sich aber auch auf die Durchsetzung einer allgemeinen Pflicht. Das nur noch geschäftsführend amtierende Kabinett von Angela Merkel wird nach den Worten von Regierungssprecher Steffen Seibert in dieser Frage keine Entscheidung mehr treffen. Vom Tisch ist sie damit aber nicht. Das Justizministerium hält eine Impfpflicht mit dem Grundgesetz jedenfalls vereinbar.
In den Ampelparteien ist der Pflicht-piks umstritten. So spricht sich zum Beispiel der Spd-gesundheitsexperte Karl Lauterbach mittlerweile dafür aus. „Die Impfpflicht beendet den Horror“, sagt er und verweist darauf, dass Deutschland in einem Jahr ansonsten wieder vor der gleichen Situation stehe. Seine Parteifreundin Sabine Dittmar hingegen lehnt die weit in das Private reichende Vorschrift für alle ab. Sie will die Impfpflicht auf Seniorenheime, Krankenhäuser und Kindergärten begrenzen. „Denn es geht darum, die besonders vulnerablen Gruppen, zu denen es beispielsweise in Pflegeheimen und in Kitas engen körperlichen Kontakt gibt, bestmöglich zu schützen“, sagte Dittmar unserer Redaktion. Die Grünen unterstützen diese Position – und auch FDP-CHEF Christian Lindner hat angedeutet, dass er mit der auf bestimmte Einrichtungen begrenzten Pflicht leben kann.
In Deutschland gilt für Kindergärten und Schulen eine verpflichtende Masern-impfung - sowohl für die Kinder als auch für Erzieher und Lehrer. Wer sein Kind nicht impfen lassen will, kann es nicht in Kita oder Schule schicken. Pädagogen, die sich keine Impfung geben lassen wollen, droht ein Bußgeld von 2500 Euro.